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Zitronen zu vergeben

Es ist ein rühmliches und ein unrühmliches Jubiläum zugleich – seit zehn Jahren schon vergibt der Verein zur Förderung des bewegten und unbewegten Datenverkehrs Foebud e.V. in Bielefeld den Big Brother Award für Feinde des Datenschutzes aller Art. Vergangenen Freitag wurden die aktuellen Preisträger bekannt gegeben.

Von Wolfgang Noelke | 25.10.2008
    "Ich werde den Award mit mir nehmen, da er mich an diesen Abend erinnert, der schwer genug war. Dass er uns daran erinnert, im Unternehmen, dass wir los gelaufen sind und nicht aufhören dürfen, zu laufen, solange, bis wir dieses Vertrauen dann auch rechtfertigen, das Sie eingefordert haben. Und das ist unser Ziel in Zukunft. Danke!"

    Dr. Claus Ulmer, der Datenschutzbeauftragte der Deutschen Telekom bewies Mut, den Preis, den keiner haben will, persönlich entgegenzunehmen. Bis auf eine Ausnahme hatte sich noch niemals ein Betroffener der Jury und dem Publikum während der Preisverleihung gestellt. Angesichts der Datenpannen, mit denen die deutsche Telekom in den letzten Monaten in die Schlagzeilen geriet, wollte Ulmer ein Zeichen setzen, die berechtigte Kritik ernst zu nehmen:

    "Der Gang hierher ist mir sehr schwer gefallen, muss ich sagen. Es gab eine Wahrscheinlichkeit, dass wir den Big Brother Award erhalten. Trotzdem, für einen Datenschützer ist es immer schwer, einen solchen Preis entgegenzunehmen. Das ist keine leichte Aufgabe. Der Big Brother Award ist ein sehr wichtiges Ereignis, um einfach zu sensibilisieren und viele täten gut daran, den ebenso anzunehmen und auch hier die Atmosphäre zu erleben und zu wissen, was hinter dieser Kritik steht."

    Das ist nicht weniger als die Kritik an Unternehmen und Institutionen, die allzu leichtfertig mit den ihnen anvertrauten Daten umgegangen sind und es ist ein Appell der Veranstalter, künftig sensibler mit Daten umzugehen, allein um die Demokratie zu erhalten, die ohne das Vertrauen der Bürger nicht funktionieren würde, sagt Rena Tangens, Mitbegründerin des Vereins zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs, kurz FoeBuD eV. Dem Bielefelder Verein gelingt es mittlerweile, Bevölkerung und auch die Unternehmen für den Datenschutz zu sensibilisieren:

    "Der Preis wird ganz unbedingt ernst genommen. Wir sehen das auch an den Reaktionen der Presse. Wir müssen nicht mehr hinterher telefonieren oder erklären, warum Datenschutz eigentlich wichtig ist und wir werden von Firmen angesprochen, die schon mal vorsichtig sich erkundigen, ob sie etwa in diesem Jahr einen Big Brother Award bekommen."

    Das war in diesem Jahr die Deutsche Angestelltenkrankenkasse, die Daten ihrer Kunden an private Unternehmen weitergab, was gesetzlich nicht erlaubt ist. Auch der Arbeitskreis Deutscher Markt und Sozialforschungsinstitute, der telefonische Befragungen durchführen lässt, wurde ausgezeichnet, weil die telefonisch Befragten nicht erfahren, dass sogar der Auftraggeber der jeweiligen Befragung, das Gespräch heimlich mithören darf. Falls also zufällig Angestellte dieses Auftraggebers befragt werden würden, erhielte deren Arbeitgeber intime Kenntnisse des Privatlebens seiner Angestellten. Für die Veranstalter bedenklich – und somit würdig für den diesjährigen Big Brother Award, ist die vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie verantwortete "Zwangseinführung der elektronischen Signatur". Damit wäre es eines Tages möglich, sämtliche Dokumente die jemand mit seiner elektronischen Signatur jemals unterschrieben hat, aufzuspüren und nach Bedarf für eine spätere Datenrecherche zu nutzen.

    "Datenschutz Mangelhaft" auch für die Yello Strom GmbH. Sie schafft mit ihrer so genannten Digitalstrom-Initiative die Grundlage einer bedenklichen Datensammlung: Die neuen Stromzähler registrieren nicht nur den Verbrauch, sondern auch die Zeit und Dauer, wann welches Gerät an welcher Steckdose ein oder ausgestellt wurde. Damit entstünde ein komplexes Abbild der privaten Lebensgewohnheiten der Betroffenen. Spätere Begehrlichkeiten irgendwelcher Behörden, auf solche Daten zu zugreifen, sind nicht ausgeschlossen, zumal der Deutsche Bundestag für das wörtliche "Durchwinken mehrerer Gesetze" ebenfalls den Big Brother Award erhielt, in diesem Jahr für ein Gesetz, das die Erhebung und Weitergabe von Daten aller Menschen an Bord von Passagier-, Fähr- und Küstenschiffen gestattet. Alles natürlich zur so genannten "Gefahrenabwehr ". Im so genannten Kampf gegen den Terror schießt aus Sicht der Veranstalter der Rat der Europäischen Union den Vogel ab: wer einmal - und sei es nur durch eine Namensverwechslung auf der von der EU-Terrorliste steht, hat, so Dr. Rolf Gössner von der Internationalen Liga für Menschenrechte, keine Chance mehr auf ein normales Leben:

    "Er ist quasi vogelfrei, wird politisch geächtet, wirtschaftlich ruiniert und sozial isoliert. Das gesamte Vermögen wird eingefroren, alle Konten und Kreditkarten werden gesperrt, Barmittel beschlagnahmt, Arbeit- und Geschäftsverträge faktisch aufgehoben. Weder Arbeitsentgeld noch staatliche Sozialleistungen dürften weiter ausbezahlt werden. Hinzu kommen, Passentzug und Ausreisesperre, sowie staatliche Überwachungs- und Fahndungsmaßnahmen."

    Eine unabhängige Beurteilung, auf Grundlage von gesicherten Beweisen findet jedenfalls nicht statt, weshalb der, vom Europarat beauftragte Sonderermittler Dick Marty mit Entsetzen feststellt: er habe selten etwas so Ungerechtes erlebt wie die Aufstellung dieser Listen, deren Verfahren ehr als pervers bezeichnet. Wenigstens die Parlamentarische Versammlung des Europarats und der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof haben inzwischen erkannt, dass selbst ein Serienkiller mehr Rechte besäße als ein auf diese Weise vorsorglich Bestrafter, der auch keinen Anspruch auf Entschädigung habe, falls er irrtümlich auf die Antiterrorliste geriete. Für die Zuhörer gestern Abend ein erschreckendes Beispiel dafür, was für Folgen es haben kann, wenn Daten aus der Kontrolle geraten und von Behörden falsch interpretiert werden.