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Zivilcourage im Museum

Ein Boden aus Metall, ein paar Tische und Stühle, Lautsprecher - so schlicht präsentiert sich Paul Plampers Installation im Kölner Museum Ludwig. Wenn man sich hineinbegibt in den von der Bühnenbildnerin Evi Wiedemann gestalteten Raum, landet man mitten in einem Hörspiel. Denn an jedem der Tische wird geredet, auf jedem Tisch stehen Lautsprecher, aus denen je ein anderes Gespräch dringt.

Von Frank Olbert | 08.11.2008
    Im Zentrum steht ein Vorfall, der alle gleichzeitig verstummen lässt. Vor dem Café wird jemand verprügelt. Eingreifen, die Polizei anrufen oder einfach so tun, als ob nichts sei? Was geschieht in einer Gruppe in dem Moment, in dem Zivilcourage nötig wäre? Ich habe Paul Plamper und seine Installation im Museum Ludwig besucht.
    Herr Plamper, diese Arbeit ist etwas ganz Anderes als die Stücke, die wir sonst von Ihnen kennen. Wie sind Sie darauf gekommen?
    Ich habe eine Form gesucht, in der ich Gruppenverhalten darstellen kann. Es gibt ein paar Themen, die mich umtreiben und für die das Format auf einer einzigen Zeitleiste in Stereo nicht stimmt. Das reicht nicht aus um darzustellen, was mir vorschwebt. In der Installation kann man sich zwischen den zwölf Tischen hin und her begeben und sozusagen "Mäuschen spielen", die verschiedenen Gespräche belauschen.
    Die Texte der Dialoge sind ausgeschrieben?
    Genau. Ich habe schlaufenartige Dialoge entwickelt. Das heißt: ihr Ende führt wieder in den Anfang. Das ganze dauert 4 Minuten 57 Sekunden und ist dann wieder am Anfang. Man merkt den Schnitt zwischen Ende und Anfang aber nicht. Ich habe das für alle zwölf Gespräche als Handlungsgerüst entwickelt und auch ausgeschrieben, denn das Ganze ist ein komplexes Gewebe, das genau getimt sein muss. Dann habe ich aber die Gespräche gemeinsam mit den Schauspielern in Improvisationen überarbeitet. Das heißt, sie haben sich vom Text gelöst. Anschließend kam eine lange Nachbearbeitungsphase dazu. Wir haben monatelang geschnitten.
    Es sind sehr verschiedene Gesprächspartner, die da miteinander reden: eine Familie, ein älteres Paar, zwei Freundinnen, Geschäftsleute. Wollten sie auch vom Inhalt her einen kompositorischen Zusammenhang herstellen?
    Ja, es ist der Versuch, ein gesellschaftliches Panorama abzubilden. An jedem Tisch ist die Art und Weise anders, mit diesem Vorfall, der da draußen vor der Scheibe passiert, umzugehen. Es ist eine Art Studie über das Verhalten einer Gruppe. Das Aufregende für mich ist, dass ich das auffächern konnte. Es ist erlebbar. Man kann sich als Museumsbesucher bei einem Parcours durch diese zwölf Tische das Verhalten einer Gruppe auffächern und versuchen zu verstehen, warum keiner reagiert.
    Und wie ist das für Sie persönlich? Haben Sie sich nach Ihren Hörspielen nun eine Tür geöffnet und dahinter verbergen sich im wahrsten Sinne Räume, die Sie in Zukunft öfter betreten wollen?
    Ja, absolut. Ich habe mich mit Stereo jetzt zehn Jahre herumgeschlagen und mache auch gerne Stereo-Hörspiele. Ich bin aber jetzt sehr daran interessiert, neue Formen auszuprobieren. "Ruhe 1" ist der Anfang einer Reihe, die ich vorhabe. Ich will mich ausgehend von "Ruhe" mit bestimmten Themen beschäftigen. In diesem Fall ist es die Ruhe als ein unbegrenzter Raum für Möglichkeiten, in dem eine Gemeinschaft handeln könnte. Es ist die Ruhe als Schauplatz des Dramas, dass diese Möglichkeiten nicht wahrgenommen werden. Das ist die Ruhe in "Ruhe 1". Und in "Ruhe 2" wird es wahrscheinlich um Ruhe als unterdrückter Ton oder Inhalt gehen, also es wird im weitesten Sinne um Zensur gehen. Ich möchte eine Serie machen, die sich von "Ruhe" aus mit Dramatik beschäftigen.


    Die Klanginstallation "Ruhe 1" von Paul Plamper steht noch bis zum 25. Januar im Museum Ludwig in Köln. Auch eine Radiofassung wird es geben. WDR 3 sendet sie am Montag, den 15. Dezember um 23.05 Uhr, und 1 Live am Dienstag, den 23. Dezember um 23 Uhr.