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Znaider und Bronfman spielen Brahms

Die Kegelschwester ruft "Alle Neune"; der Würfelfreund "Kniffel"; und der Schiedsrichter beim Tennis brüllt "Matchball!" In der Sport- und Spielsprache mangelt es nicht an Vokabeln, die genau das benennen, worum es heute Morgen bei uns in der Kammermusik geht, um den großen Wurf. Nikolaj Znaider und Yefim Bronfman ist er gelungen.

Von Maja Ellmenreich | 01.07.2007
    Der junge Geiger und der erfahrene Pianist haben ihre erste gemeinsame CD eingespielt, haben sämtliche Werke für Violine und Klavier von Johannes Brahms aufgenommen - und das Ergebnis ist umwerfend!

    Spiel, Satz und Sieg für das Team Znaider/Bronfmann!

    " Johannes Brahms: Un poco presto con sentimento aus Sonate für Violine und Klavier d-moll, op. 108 "

    Fangen wir doch mal mit dem an, der naturgegeben bei einer Sonate für Violine und Klavier erst an zweiter Stelle genannt wird: Der Pianist. In diesem Fall: Yefim Bronfman, geboren in Tashkent, als Teenager nach Israel emigriert, Zubin Mehta und Isaac Stern sind seine Mentoren, Leon Fleisher sein wichtigster Lehrer. "Der kühl-virtuose Techniker" wird Yefim Bronfman von der Musikkritik genannt; sein Spiel für die physikalische Kraft, für die Härte und Dichte gelobt. Entsprechend logisch scheint es, dass ihm das russische Repertoire besonders liegt. Außerdem Béla Bartók, bei dem es ohne Kraft auch nicht geht.

    Doch vielleicht ist dieses Bild von Yefim Bronfman allzu eng und starr: Er ist weder auf Rachmaninow, Tschaikowsky, Schostakowitsch abonniert, noch ist er ein Tastentiger, der mit Brachialgewalt ans Ziel gelangt. Auf der "Neuen Platte", die bei dem Label RCA Red Seal erschienen ist, darauf ist Yefim Bronfman das genaue Gegenteil: ein Kammermusiker par excellence, ein Teamplayer, er ist Nikolaj Znaider ein gleichberechtigter Partner.

    Dass ihm die Kammermusik eine Herzenssache ist, das hört man dem Klavierspiel von Yefim Bronfman an; Bestätigung findet man in einem Interview. Dort hat Bronfman einmal gesagt, dass das Leben eines Solisten ohne all die Kammermusik sehr langweilig sei. Und: Er müsse, um wirklich Spaß daran zu haben, mit Freunden musizieren.

    Einen Freund hat Yefim Bronfman in dem dänischen Geiger Nikolaj Znaider offensichtlich gefunden: Die Fotos im Booklet der neuen CD sprechen dafür; sie zeigen Bronfman und Znaider in ausgelassener Stimmung. Aber da Fotos, wie wir wissen, gestellt sein können, glauben wir lieber der Musik. Zum Beispiel dem Adagio aus Brahms' Violinsonate Nr. 1 mit einem Yefim Bronfman, der seinem Gegenüber Platz lässt, sich seinen Raum aber auch nimmt.

    " Johannes Brahms: Adagio aus Sonate für Violine und Klavier G-dur, op. 78 (Ausschnitt) "

    Der Typus des "Ich weiß nicht, ich kann nicht, das war nichts". Vorzugsweise tritt er in Schulen in Erscheinung, behauptet mit dem Brustton der Überzeugung, dass er diese Klassenarbeit aber wirklich in den Sand gesetzt hat. Und am Ende kommt dann doch wieder eine 2 heraus. Johannes Brahms muss so ein Typ gewesen sein: von Selbstzweifeln zerfressen, vor lauter Erfurcht gegenüber Vorbildern fast in seiner Kreativität gelähmt. Mit Sinfonien etwa, mit Streichquartetten und Violinsonaten tat er sich schwer, nichts konnte seinem eigenen hohen Anspruch genügen! Drei frühe Sonaten hat er gleich wieder vernichtet. Die drei Kompositionen für Violine und Klavier, denen er dann aber seinen Segen gab, sind dafür umso meisterlicher. In ihnen gelingt Johannes Brahms die kompositorische Quadratur des Kreises. Schlichte Melodien, klare Motive, wieder erkennbare Themen, die meist aus seiner eigenen Feder stammten - dieses Material hat Brahms kunstvoll verarbeitet. Seine Musik fließt, bringt Neues aus Vertrautem hervor, deutet Bekanntes in Unbekanntes um, und lässt auch den Brahms-Nichtkenner schon beim ersten Hören Aha-Erlebnisse erfahren. Irgendwie vertraut ist einem seine Musik und dabei alles andere als abgedroschen!

    Meilensteine der Violinliteratur - das sind gewichtige Worte, aber bei Brahms' Violinsonaten op. 78/op.100 und op. 108 treffen sie den Nagel auf den Kopf. Sie sind Meilen- und Prüfsteine zugleich: Denn Brahms hat sie für den Konzertsaal geschrieben; nicht für die Hausmusikzirkel dilettierender Amateure: Sowohl Violin-, als auch Klavierpart bergen spieltechnische Tücken. Die größte Herausforderung aber besteht darin, das originär Vokale, das Sangliche herauszustellen.

    " Johannes Brahms: Allegretto grazioso (quasi Andante) aus Sonate für Violine und Klavier A-dur, op. 100 "

    Nikolaj Znaider versteht es, auf seiner Stradivari zu singen - und er bringt dabei immer wieder neue Klangfarben zum Vorschein: von strahlend-grell bis matt-fahl. Dabei bleibt sein Geigenton immer plastisch, fast dreidimensional wirkt er, scheint einen Körper in Höhe, Tiefe, Breite auszufüllen. Schlank, aber nicht aalglatt spielt Nikolaj Znaider. Itzhak Perlman nennt er als sein großes Vorbild. Und man muss Nikolaj Znaider wahrlich zu der Kunst gratulieren, ein Idol zu besitzen, aber nicht der Gefahr zu erliegen, es zu imitieren. Znaider übernimmt Perlmans Beweglichkeit und besagte Sanglichkeit, doch Perlmans überbordendes Vibrato, vermeidet er. Nikolaj Znaider spielt stets mit einem zarten Vibrato, das süßlich, aber niemals klebrig klingt.

    Er trifft einen ganz eigenen Ton, sehr reif und erwachsen. Mit gerade mal 32 Jahren ist der Sohn polnisch-israelischer Eltern, der in Dänemark geboren wurde, er ist ein Charakterkopf mit Charakterton. Nach mehreren Konzerteinspielungen widmet er sich in letzter Zeit vermehrt der Kammermusik: Zuerst eine CD mit Miniaturen und Zugaben, im letzten Jahr dann Mozart-Trios mit Barenboim und Zlotnikov. Dass er damit den richtigen Weg eingeschlagen hat, wird durch die jüngste CD bestätigt.

    Auch Yefim Bronfman hat sich richtig entschieden: Für ihn war es schließlich nicht die erste Aufnahme der Brahms-Sonaten. Mit der Geigerlegende Isaac Stern hat er sie seinerzeit eingespielt. Aber sein Mut, es noch einmal zu tun, mit einem knapp 20 Jahre jüngeren Duopartner, der wird belohnt.

    Znaider und Bronfman - ein Duo, das mit Sicherheit nicht die Plattenfirma zusammenbrachte; sondern, das sich selbst gesucht und zum Glück auch gefunden hat. Das Tüpfelchen auf dem i? Das ist das ihnen gemeinsame Gespür für Agogik: Ganz nonchalant, ganz souverän gehen sie mit dem Tempo um. Nur mit der Fußspitze berührt Znaider die Bremse, nur einen Hauch zieht Bronfman das Tempo an. Dadurch kommt es zu minimalen Verschiebungen, die den Eindruck erwecken, als würde es Noten überhaupt nicht geben, als würde die Musik im Moment erdacht

    " Johannes Brahms: Scherzo c-moll aus der F-A-E-Sonate, WoO 2 (Ausschnitt) "

    Nikolaj Znaider und Yefim Bronfman spielen sämtliche Werke für Violine und Klavier von Johannes Brahms auf ihrer ersten gemeinsamen CD. Erschienen ist sie vor kurzem bei dem Label RCA Red Seal - mit Nachdruck empfohlen.

    Diskographie

    Johannes Brahms - Nikolaj Znaider und Yefim Bronfman spielen sämtliche Werke für Violine und Klavier

    Johannes Brahms:
    Sonate für Violine und Klavier Nr. 1 G-dur, op. 78
    Sonate für Violine und Klavier Nr. 2 A-dur, op. 100
    Sonate für Violine und Klavier Nr. 3 d-Moll. op. 108
    Scherzo c-moll (3. Satz aus der "F-A-E"-Sonate, WoO2)

    Nikolaj Znaider, Violine
    Yefim Bronfman, Klavier

    RCA Red Seal 88697061062, LC 00316