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Der besondere Fall
Plötzlich kann der Kleine nicht mehr laufen

Für Eltern ist es schlimm, wenn das eigene Kind krank ist. Im Fall des kleinen Karim wurde ein scheinbar harmloses Symptom nicht als das erkannt, was es war: Hinweis auf eine schwerwiegende Erkrankung. Die wurde erst entdeckt, als der Junge auf der Intensivstation lag.

Von Christina Sartori | 16.07.2019
Ein kleiner Junge liegt schlafend im Bett, seine Mutter befühlt seine Stirn
Die Mutter sieht ihr Kind ja tagtäglich, an eine schwerwiegende Krankheit denkt sie nicht (Symbolbild) (picture alliance / Bildagentur-online / Tetra Images )
Karim war in den ersten Monaten seines Lebens ein ganz normaler Junge, der sich normal entwickelte: Er wuchs, er nahm zu, er lernte krabbeln, er lernte laufen – ein fröhliches, offenes Kind, wie seine Mutter, Nadine El Cheik erzählt. Aber dann, als Karim 16 Monate alt war, begannen die Probleme, erinnert sich die junge Frau:
"Im September fing es an, dass er Durchfall hatte und immer weniger Lust hatte zu spielen. Und er hatte durchgehend Durchfall, mehrmals am Tag und es hat auch nicht aufgehört. Dann waren wir auch beim Kinderarzt. Wir dachten erst mal, es liegt an den Zähnen, weil er auch da gezahnt hat und wir hatten nicht gedacht, dass es irgendwas Schlimmeres wäre."
Tagsüber war alles normal
Auch die Kinderärztin vermutet kein größeres Problem und rät den Eltern abzuwarten. Im Oktober verreist die junge Familie nach Tunesien. Ferien, Sonnenschein, Freizeit – aber weiterhin quälen den kleinen Karim Durchfallattacken:
"Es war meistens in der Nacht, dass er starken Durchfall hatte, aber tagsüber war normal, hat gelacht, gespielt, es war alles okay, er hat auch gegessen. Nur nachts war es sehr schwer, er wirklich jede Nacht Durchfall hatte und geduscht werden musste, so schlimm war das und halt mehrmals."
Die Nächte sind für alle anstrengend, aber ein anderes Problem fällt den Eltern gar nicht auf, denn sie sehen ihr Kind ja tagtäglich.
"Dann sind wir nach Tunesien wieder nach Hause gekommen nach Berlin und da hat mein Papa, sein Opa, ihn gesehen und meinte zu uns: "Du Kind, dein Kleiner nimmt immer mehr ab, man sieht schon: Sein Hals ist ein bisschen zu dünn geworden."
Von Tag zu Tag verlor Karim Gewicht
Neujahr ging Nadine El Scheik zu einem anderen Kinderarzt:
"Der hat ihn gut kontrolliert, etwas rumtelefoniert und hat dann gesagt: 'Ich bin mit meinem Latein am Ende, ich weiß nicht genau, was der Kleine hat, ich würde schon ins Krankenhaus gehen'."
Und das taten sie dann auch, diesmal in die Charité, das Universitätsklinikum in Berlin. Sie gingen in die Notaufnahme, denn inzwischen ging es Karim Ben sehr schlecht, erinnert sich Professor Philip Bufler, Direktor der Klinik Pädiatrie mit Schwerpunkt Gastroenterologie und Stoffwechselmedizin, an der Charité.
"Die Eltern haben den kleinen Jungen in unserer Rettungsstelle vorgestellt, nachdem sie ihn eigentlich nicht mehr richtig erkannt haben, er war extrem schlapp und wollte nur noch wenig essen und war zu schwach um zu laufen. Obwohl er vorher schon gut gelaufen ist."
Die Blutanalyse zeigt, was Karim fehlt
Sofort wird Karim Blut abgenommen und das Ergebnis der Blutanalyse zeigt: Er leidet an starkem Eiweiß-Mangel. Philip Bufler:
"Dazu passend hatte er auch Ödeme, das heißt, Wassereinlagerungen, in den Händen und in den Beinen und auch im Gesicht."
Solche Wassereinlagerungen, die Karims Hände und Füße hatten anschwellen lassen, treten bei Kindern auf, wenn sie stark unterernährt sind.
"Er war zu dem Zeitpunkt der stationären Aufnahme extrem untergewichtig und er hat über drei Kilo an Gewicht verloren, das entsprach fast einem Viertel seines Körpergewichtes zu diesem Zeitpunkt."
Wo liegt die Ursache des Problems?
Die große Frage für die Ärzte war nun: Woher kam die Unterernährung, der Eiweiß-Mangel? Eine Möglichkeit: Die Niere funktioniert nicht richtig und so wird das wichtige Eiweiß über den Urin ausgeschieden. Aber die Analyse des Urins zeigte: Kein Problem, kein Eiweiß im Urin, die Niere funktionierte gut. Erfreulich, aber: Die Ärzte mussten weitersuchen.
"Dann muss man sich überlegen, ob eventuell die Leber schlecht funktioniert, weil diese Eiweiß-Stoffe sämtlich in der Leber gebildet werden."
Die entsprechenden Untersuchungen ergaben: Die Leber funktionierte, auch im Ultraschall sah sie gesund aus. Erfreulich, aber: Man musste weitersuchen.
"Eine weitere Möglichkeit wäre, dass diese Eiweißmoleküle über den Darm verloren werden. Und wir kennen auch bei kleinen Kindern eine sogenannte chronisch entzündliche Darmerkrankung, z.B. im Sinne eines Morbus Crohn oder einer Morbus Crohn ähnlichen Erkrankung."
Die Zeit wird knapp
Dann müsste man im Stuhl Eiweiße und bestimmte Entzündungsanzeichen finden. Aber noch während Stuhlproben von Karim analysiert wurden, bereiteten die Ärzte eine weitere Untersuchung vor: Eine Magen-Darm-Spiegelung, bei der Gewebeproben von der Darmschleimhaut genommen werden, um sie anschließend im Labor zu untersuchen. Eine Untersuchung, die bei Kindern mit einer Vollnarkose verbunden ist und die daher normalerweise erst gemacht wird, wenn alle anderen Tests keine brauchbaren Ergebnisse liefern. Doch jetzt drängte die Zeit: Karim ging es inzwischen so schlecht, dass er auf die Intensivstation verlegt werden musste. Seine Mutter erinnert sich:
"Dann waren wir auf der Intensivstation und Karim wurde halt durch ganz viele Schläuche ernährt mit Vitaminen und alles, damit der Körper halt nicht schlapp macht und wir waren 2,5 Tage in der Intensivstation, er war auch gar nicht ansprechbar, er hatte immer noch Durchfall."
Endlich kommen die Ergebnisse der Gewebeproben, die bei der Magen-Darm Spiegelung entnommen worden waren: Und damit auch die Lösung, die Erklärung für Karims Unterernährung:
Aus dem Labor kommt die Erklärung
"Die Untersuchung dieser Schleimhautproben hat dann letztlich die Diagnose ergeben, nämlich das Vollbild einer Zöliakie."
Eine Zöliakie ist eine Magen-Darm Krankheit, bei der der Körper das Eiweiß Gluten nicht verträgt. Gluten kommt in vielen Getreidesorten, aber auch in anderen Lebensmitteln vor. Es führt dazu, dass die Darmschleimhaut ständig entzündet ist, wodurch mit der Zeit die Ausstülpungen der Darmschleimhaut, die Zotten, über die wichtige Nährstoffe aus der Nahrung in den Körper gelangen, verkümmern. Ohne die Zotten bekommt der Körper keine wichtigen Nährstoffe, Vitamine und Mineralien – und wird so krank wie im Fall von Karim.
"Das Tolle, das Gute, ist die Tatsache, dass man durch eine strikte Diät die Erkrankung heilt. Die Patienten sind anschließend gesund, die Kinder haben eine völlig normale Lebensprognose.
Die Ursache ist bekannt, die Lösung einfach
So war es auch bei Karim: Einige Tage lang wurde er im Krankenhaus noch aufgepäppelt. Und mit jedem Gramm, das er zunahm, ging es ihm besser.
"Und als wir dann zu Hause waren, haben wir mit dieser Diät angefangen, dass wir ihm alles gekocht haben, glutenfrei und das klappt ziemlich gut. Er wiegt jetzt wieder ganz normal, sieht auch wieder ganz normal aus, Anfang Februar hat er wieder angefangen zu laufen, musste man ihm langsam das wieder beibringen.
Und jetzt ist er wieder ganz der Alte: Er spielt, er rennt er isst ganz normal, er hat wieder gut zugenommen und ist wieder ganz der Alte. Zum Glück."