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Zonenmensch trifft US-Amerikaner

Unspektakulär und dabei detailgenau schildert Joochen Laabs ein in vieler Hinsicht typisches Leben in der DDR. Dann wird der sensible Ich-Erzähler unmittelbar nach der Wende in die USA eingeladen. Dort konfrontieren ihn die Amerikaner mit ihren teils sehr schlichten Vorstellungen über die DDR. Joochen Laabs Buch " Späte Reise" zeigt den staunenden Blick auf das Eigene und das Fremde.

Von Sabine Peters | 08.06.2006
    Was haben ein Navajo-Indianer und ein Dresdener gemeinsam? Joochen Laabs neuer Roman "späte Reise" erzählt von einem ostdeutschen Ingenieur, der unmittelbar nach der Wende in die USA eingeladen wird. Er soll an dortigen Universitäten über die DDR berichten. Einer der Zuhörer vermutet, den Ostdeutschen sei ein ähnliches Schicksal beschieden wie den Indianern: Eine aussterbende Spezies.

    Dieses kleine Detail aus dem Roman "späte Reise" zeigt, was für ein weiter Weg es ist zwischen der ehemaligen DDR und den USA. Joochen Laabs wurde 1937 in Dresden geboren; er war Straßenbahnführer, studierte Ingenieurswissenschaften und war jahrelang Mitarbeiter eines verkehrstechnischen Instituts. 1971 erschien sein erster Gedichtband, "eine Straßenbahn für Nofretete"; seit 1975 lebt und arbeitet Laabs als Schriftsteller in Berlin und Mecklenburg. Noch kurz vor der Wende war er als "writer in residence" erstmals in den USA.

    In der DDR selbst galt Laabs weder als Dissident, noch als eines der ganz großen Aushängeschilder der Regierung. Solch eine politische Unauffälligkeit bezahlten Ost-Autoren oft mit der Nichtwahrnehmung im Westen. So fiel sein Name selten, wenn es um die Literatur aus der DDR ging. Laabs Roman "Der Schattenfänger", die Lebensbilanz eines Mannes, der an sich selbst, aber auch an den Zuständen in seinem Land scheiterte, wurde 1987 beendet. Das Manuskript hing zwei Jahre lang in der bürokratischen Warteschleife. Sein Erscheinen fiel in die Zeit des Umbruchs und teilt das Schicksal zahlreicher gleichzeitig veröffentlichter Bücher: Sie wurden schlicht von den Ereignissen überrollt. Laabs war von 1993 bis 1998 Generalsekretär des Ost-PEN, danach Vizepräsident des gemeinsamen deutschen PEN.

    Mag sein, hier liegt ein weiterer Grund, warum seine Bücher im Literaturbetrieb wenig Aufmerksamkeit fanden: Ein gängiges Urteil besagt, wer eine Funktion in Institutionen wahrnehme, könne, von Ausnahmen abgesehen, kein "richtiger" Autor sein. Und schließlich haben gerade Bücher von Autoren seiner Generation und Herkunft es heute auch deshalb nicht einfach im Literaturbetrieb, weil das Interesse an der DDR kontinuierlich abnimmt. Als skurrile Kulisse mag sie gelegentlich taugen, im übrigen ist sie eben "vorbei", und fertig. Wie sagt in dem Roman "späte Reise" eine Zuhörerin in den USA zu dem ostdeutschen Ingenieur: Er möge sich sein Interesse an Indianern abschminken, sie seien unwichtig, von ihnen komme nichts Neues.
    Was "vorbei" ist, ist deshalb noch lange nicht vorüber, es hat sich in den Zeitzeugen ausgewirkt. Davon erzählt die "späte Reise", ein Buch, das sicherlich zahlreiche autobiographische Bezüge hat, ohne deshalb in einer Autobiographie aufzugehen.

    Der Ich-Erzähler erinnert sich, wie er als Kind aus Flugzeugen etwas rieseln sah, was ihm erst wie Getreidekörner erschien, dann wie Brote. Dresden wurde bombardiert. Wenn es für das Kind eine Flucht vor Krieg und Nachkrieg gab, dann war es die in Lektüre. Die führte in die weite Welt, zu Lederstrumpf und Unkas, in die Arktis, nach Peking. Tatsächlich war der Horizont für den jungen Erwachsenen verstellt. Er lenkte Straßenbahnen, später nahm er an der Organisation des gesamten DDR-Verkehrsbetriebs teil. Unspektakulär und dabei detailgenau schildert Laabs ein in vieler Hinsicht typisches Leben. Wie man sich einrichtet mit Frau und Kind. Wie der Anspruch, "Welt" zu erleben, zusammenschrumpft auf den Wunsch nach einer Kinokarte, auf den Wunsch nach einer der neuen Wohnungen, auf den nach einer Schrankwand, für die der Erzähler die halbe Nacht ansteht. Diese Bescheidung auf das Machbare, Naheliegende ist ein Prozess, der wohl in jedem erwachsenen Leben so oder so stattfindet. Nur wird bei der Lektüre deutlich: In der BRD konnte ein Straßenbahnfahrer denken, eine Reise etwa in die USA sei ihm, wenn er das Geld zusammenkratzen könnte, jederzeit möglich. In der DDR verbot man sich die Gedanken daran, und doch kreisten die Träume um das Unmögliche. Der Ich-Erzähler und sein Freund verstehen sich zwar nicht als politische Menschen, trotzdem kreisen ihre Debatten aus jeweiligen Anlässen immer wieder um weltpolitische Probleme.

    Sprecher: ...unsere Mauer, da stimme etwas nicht, sagte ich.... Ob ich meine, dass es sonst irgendwo stimme? ... Die DDR sei gute Mittellage. ... Die ganze Gemengelage sich widersprechender Empfindungen rotierte in mir, genährt aus den nicht abreißenden Ärgernissen, den alltäglichen und den grundsätzlichen, den inszenierten Ritualen, den nichts zur Wahl stellenden Wahlen, den Jubelorgien der Parteitage, der pompösen Selbstbeweihräucherung, der verordneten Spontaneität der Demonstrationen, den martialischen Militäraufmärschen, den Manövern und den Drohgebärden... In die sich eine beschwichtigende Stimme mischte: Es hätte dich auch schlimmer erwischen können. In Südafrika, in einem Slum von Dhaka, in einer Bambushütte in Vietnam, die von Agent Orange weggeätzt wird. Vietnam machte mir zu schaffen. So penetrant die einseitige Berichterstattung auch war, dass das Ergebnis von Bomben und Flammenwerfern Befreiung und Demokratie sein könnte, oder wofür auch die Amerikaner sich ins Zeug zu legen behaupteten, dem widersprach die einfache Tatsache, dass Tote nicht in der Lage sind, das in Anspruch zu nehmen.

    Sprecherin: Als Joochen Laabs symphatisch skrupelhafter, sensibler Ich-Erzähler unmittelbar nach der Wende in die USA eingeladen wird, konfrontieren ihn die Amerikaner mit ihren teils sehr schlichten Vorstellungen über die DDR. Man fragt ihn, wie lange er inhaftiert gewesen sei; man kann sich nicht denken, dass in der DDR so etwas wie Leben stattgefunden haben könnte. Und wenn er selbst nicht als Mauerzertrümmerer gefeiert wird, dann muss er repräsentativ für die gescheiterte DDR-Gesellschaft stehen, als ein Versager und Mittäter. Und überhaupt habe erst Reagan die Mauer zum Einsturz gebracht, indem er Gorbatschow unter Druck setzte. Laabs löst die Widersprüche nicht auf, er nimmt sich die Zeit, sie argumentativ zu entfalten. Das gibt diesem Buch seinen Wert, man kann aus dem zeitlichen Abstand noch einmal nachvollziehen, wie seinerzeit empfunden und diskutiert wurde. Andererseits ist es mitunter bedauerlich, dass Joochen Laabs kaum trennt zwischen seinem damaligen und seinem heutigen Wissen, dass er oft ohne Distanz schreibt. So wirkt das Buch teilweise etwas treuherzig; und es wird nicht unbedingt besser dadurch, dass diese Treuherzigkeit im Text selbst thematisiert wird. Denn sie wird dadurch nicht aufgebrochen, sondern eher noch befestigt. "Späte Reise" zieht den Leser vor allem da mit sich, wo Städte und Landschaften sehr plastisch und in doppeltem Wortsinn erfahren werden, ob es um den Harz geht oder um Iowa. Und natürlich hat man auch zu lachen, wenn Laabs in trockenem Witz beschreibt, wie der Zonenmensch auf den US-Mensch trifft; wie man um Verständigung bemüht ist, etwa, wenn die Handwerker Cliff und Larry unerwartet auftauchen und ein kaum beschädigtes Fenster reparieren wollen.

    I´m from Germany, sagte ich, halb um mein Nichtbescheidwissen, halb um mein Misstrauen zu entschuldigen. That´s great. I lived in Emporia, Kansas, till seven years ago, revanchierte sich Cliff mit seiner geographischen Welterfahrung. Was wohl soviel hieß, er und ich seien bis unlängst benachbart gewesen. Very nice place, und er begann Schutzfolie auf dem Treppenabsatz auszulegen. Larry kannte auch Emporia nicht, aber seine Schwester wohne in Davenport, very nice place too. Sure, sagte ich.

    Sprecherin: Der Roman "Späte Reise" nimmt sich provozierend viel Zeit, und bei aller Sympathie dafür gibt es Passagen, die langatmig werden. Ein stilles Buch, dabei ein sehr reflektiertes Buch. So wird natürlich auch der schräge Vergleich zwischen Indianern und den Bewohnern der DDR diskutiert. Denn im Gegensatz zu den Indianern und den Kolonisatoren teilten Ost- und Westdeutsche eine jahrhundertelange Geschichte. Und was die sonderbare Kategorie des "Neuen" anlangt – Neues komme weder von den Indianern, noch von den Leuten mit DDR-Geschichte: Wer davon ausgeht, dass das "Neue" sich lediglich auf ökonomischer oder technologischer Ebene abspielt, wird wahrscheinlich wenig mit der "späten Reise" anfangen können. "Ver-Spätet" nimmt hier einer wahr, was außerhalb seines Landes stattgefunden hat. Aber gerade dieses Nachgehen, dieses Hinterhergehen erlaubt den staunenden Blick auf das Eigene und das Fremde. Die Bilder und Zerrbilder, die dabei herauskommen, die Ähnlichkeiten und Unterschiede, die Laabs zeigt, machen sein Buch lesenswert.