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Zu Besuch im vertikalen Dorf

Platznot in den Ballungsräumen, Hochhausburgen aus Beton: Vor allem in Asien gibt es viele sogenannte "Megastädte". Fantasievolle Alternativen für die Metropolen von morgen gibt es seit Freitag in der Hamburger Austellung "The Vertical Village" zu sehen. Dabei geht es auch um die Frage, wie Großstadtmenschen leben und wohnen wollen.

Mit Udo Taubitz | 05.08.2013
    Udo Taubitz: Winy Maas, die Ausstellung hier in Hamburg heißt "The Vertical Village". Was eigentlich soll das sein, ein vertikales Dorf?

    Winy Maas: "The Vertical Village" ist eine Ausstellung, wo wir versuchen zu zeigen, auf welche Weise wir uns eine Stadt vorstellen können, in der man individuell sein kann – und das kombinieren kann mit einer sicheren Dichte. Es ist eine Ausstellung, die in Taipeh und Seoul entstanden ist, wo man heute so eine riesen Block-Bebauung macht. Man braucht so viele Bauten, die Bebauung ist sehr dicht, und all diese Bauten sind völlig gleich, oder ähnlich. Mit diesem Wachstum, auch dem Wachstum der Wirtschaft, ist der Moment da, in dem man sich fragt, ob das die Zukunft ist. Warum? Die Mittelklasse wächst, sie wünscht sich Individualität – ein eigenes Haus. Man will sich unterscheiden. Das ist ein interessanter Moment. In Europa haben wir das gemacht, seit hundert Jahren ungefähr. Heute geschieht das in Asien. Und die Frage ist, auf welche Weise können wir diese individuellen Wünsche kombinieren mit Gemeinschaft und Dichte. Das Wort "vertikales Dorf" hilft uns dabei, das zu explorieren – und vielleicht zu zeigen, wie wir das machen können.

    Taubitz: Wenn ich das richtig verstehe, geht es Ihnen darum, dörfliche Traditionen des Zusammenlebens in modernen Baustrukturen fortzuführen. Aber da gibt es eben all diese Widersprüche: Individualität und hohe Dichte, Freiheit und nachbarschaftliches Wohnen, anspruchsvolle Standards und erschwinglicher Wohnraum … Wie wollen Sie diese Widersprüche unter einen Hut bringen?

    Maas: Das Wort "paradox" ist in diesem Zusammenhang sehr wichtig. Wenn man in den großen Städten Individualität ermöglichen will, dann steckt man mittendrin in dieser paradoxen Frage. Das ist die Schönheit unserer Kultur heute, damit zu arbeiten – "zu lösen" wäre ein sehr großes Wort. Aber zu vermitteln – das versuchen wir heute. Zum Beispiel, wenn du ein Haus bauen willst: Kannst Du nicht, du brauchst einen Architekten. Nee, sage ich. Mann kann eine Software haben, wie bei der Küchenkonfiguration von IKEA, womit du dein Haus entwerfen kannst. Aber wo soll ich das Haus hinstellen? Dafür gibt es dann einen "Villagemaker", einen Dorfmacher, der kalkuliert, was du zu welchem Preis mit welcher Infrastruktur, mit welchen Fluchtwegen und welchem Sonneneinfall machen kannst. Das sind Hilfsmittel, um dieses Paradox zu begleiten.

    Taubitz: Sie planen derzeit eine komplette Stadt, einen radikalen Gegenentwurf: Auf einem neuen Polder in Holland sollen 20.000 Eigenheime entstehen, die künftigen Bewohner sollen ihre Stadt selbst mitgestalten und auch ihre Häuser entwerfen. Wie soll das gehen? Okay, das mit der Software haben Sie eben schon gesagt. Aber wie wollen Sie das städtebauliche Chaos bändigen?

    Maas Das ist eine sehr deutsche Frage – "bändigen". Es gibt einen Schlüssel dazu: Demokratie. Einerseits will man Freiheit haben, auf der anderen Seite soll man auch an die Nachbarn denken. Das ist unglaublich wichtig in unseren Gesetzen und in unserer Kultur. Das berücksichtigen wir auch bei unserem Projekt Freeland in Almere. Jeder kann machen was er will, solange er seinem Nachbarn kein Problem macht. Das haben wir auch in städtebauliche Gesetze übersetzt. Es ist Freiland, aber wir haben auch Gesetze gefunden, mit denen wir dieses Paradox von Freiheit und Verantwortlichkeit verbinden können.
    Taubitz: Bei Ihren Projekten geht es oft auch um den Gedanken, die Wohnbebauung von der Horizontalen in die Vertikale zu stellen. Warum sollen wir immer mehr in die Höhe bauen?

    Maas: Das ist ein bisschen abhängig von den Regionen. Es gibt Gebiete wie Ostdeutschland, wo nicht so ein Druck ist – wenn man das vergleicht mit einer Region wie Paris oder Amsterdam. Es gibt aber Regionen, auch in Europa, wo man Dichte haben will. Warum? Man will dort zusammen leben, zusammen arbeiten, und diese Dichte braucht man, um eine bestimmte Wirtschaft miteinander zu entwickeln. Ungefähr 50 Prozent der Europäer wollen das. Ich persönlich liebe es auch – auch kulturell: ins Theater gehen, mit dem Fahrrad meine Freunde besuchen, mal eben auf die Terrasse. Man sollte das auf diesem Gebiet verbessern, diese Dichte. Natürlich gibt es Kontroversen: Kann ich dann noch meinen Garten haben, im dreizehnten Stockwerk? Kann ich auch ein Landhaus haben? Ja, das ist möglich. Das ist unser Vorschlag – und das Vertikale Dorf ist eine Möglichkeit, diese Entwicklung zu begleiten.

    Taubitz: Viele Menschen klagen, dass heute so hässlich gebaut wird in den Städten – als ob man einfach Schuhkartons übereinanderstapelt: eckig, glatt, schnörkellos, ohne Seele. Ist diese Art zu bauen ein Spiegel unserer Gesellschaft? Oder wird die Ästhetik ökonomischen Zwängen untergeordnet?

    Maas: Das ist nicht in allen Ländern so. Und ja, es ist ein Spiegel der Gesellschaft. Es zeigt, dass man Ordnung haben will. Es zeigt auch, dass man für einen niedrigen Preis bauen will. Und es zeigt, dass man auch Angst hat vor etwas Anderem. Und das ist dann auch die Frage, die wir uns fragen sollen in unserer Gesellschaft: Wollen wir das, solch einen Kistenbau? Sind wir zufrieden damit? Und gibt es andere Möglichkeiten?

    Taubitz: Ihre Vertical Villages – was man hier im Museum auch sehen kann – das sieht sehr fantasievoll aus; allerdings auch sehr utopisch, wie ich finde. Berühmte Architekten gelten oft als sehr kreativ, aber leider – genau wie berühmte Modeschöpfer – nicht tragbar, nicht bezahlbar. Wie sehen Sie Ihre Rolle als Architekt in der Gesellschaft?

    Maas: In beidem. Man soll die Fantasie weiterbringen. Wir sollen unsere Träume zeigen. Und Teile dieser Träume auch bauen. Ich verstehe, dass man nicht alles bezahlen kann, nicht alles realisieren kann. Aber man kann Teile realisieren. Wenn ich an den holländischen Pavillon auf der Expo 2000 in Hannover denke, das ist so ein Beispiel. Oder der Wolkenkratzer, den wir heute in Jakarta bauen, das ist auch eine Interpretation so einer Vision. Also ja, es gibt Möglichkeiten! Und ich weiß auch, dass man nicht alles haben kann. Zwischen Realität und Fantasie – das ist die Arbeit der Architektur.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.