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Zu Hause beim Sterben helfen

Unerträgliches Leiden, ohne Aussicht auf Heilung: Das sind in den Niederlanden die gesetzlichen Kriterien für Sterbehilfe. Doch viele Hausärzte weigern sich trotzdem, Todkranken beim Sterben zu helfen. Diesen Patienten erfüllt seit 2012 eine Klinik in Den Haag und ihre mobilen Sterbehilfeteams den Todeswunsch.

Von Kerstin Schweighöfer | 04.04.2013
    Unerträgliches Leiden, ohne Aussicht auf Heilung: Das sind in den Niederlanden die gesetzlichen Kriterien für Sterbehilfe. Doch viele Hausärzte weigern sich trotzdem, Todkranken beim Sterben zu helfen. Diesen Patienten erfüllen seit 2012 die "Levenseinde-Kliniek” in Den Haag und ihre mobilen Sterbehilfeteams den Todeswunsch.

    Ans Dekker spricht mit ihrem Sohn und mit einem Arzt der neuen Sterbehilfeklinik in Den Haag über ihren Todeswunsch. Die 89 Jahre alte Niederländerin leidet an Alzheimer. Sie möchte sterben, solange es noch Momente gibt, in denen sie einen klaren Kopf hat. Im Fernsehen können ihre Landsleute mitverfolgen, wie die letzten Wochen ihres Lebens verlaufen.

    Der Hausarzt von Ans Dekker ist nicht bereit, sie beim Sterben zu begleiten – obwohl die alte Dame alle gesetzlichen Kriterien erfüllt, um für Sterbehilfe infrage zu kommen. Denn auch Alzheimer ist in den Niederlanden als eine unheilbare Krankheit anerkannt, die Menschen ohne Aussicht auf Genesung unerträglich leiden lässt. Doch Ans Dekker hat eine Alternative gefunden: die neue Sterbehilfeklinik in Den Haag, die "levenseindekliniek”. Dort ist man bereit, ihr zu helfen, nachdem ihr Fall genauestens geprüft und zwei weitere Ärzte zurate gezogen wurden. Am 13. Februar 2013 kann Ans Dekker im Beisein ihrer Kinder friedlich einschlafen.

    Die "Levenseindekliniek” wurde im März 2012 gegründet. Für Patienten, die eigentlich unter die legale Sterbehilferegelung fallen, aber keinen Hausarzt finden, der ihnen helfen will. 17 ambulante Sterbehilfeteams, bestehend aus Ärzten und Krankenschwestern, reisen im Auftrag der Klinik kreuz und quer durchs Land und leisten Sterbehilfe – in den weitaus meisten Fällen Zuhause bei den betroffenen Patienten.

    "Wir machen da weiter, wo einige unserer Kollegen aufhören", sagt Constance de Vries. Die südniederländische Hausärztin gehört einem der 17 mobilen Sterbehilfeteams an. Diese ambulanten Teams prüfen jeden Fall erneut und halten sich dabei genau an die Richtlinien: So muss der Patient unerträglich und ohne Aussicht auf Genesung leiden. Er muss den Wunsch, sterben zu wollen, ausdrücklich selbst mehrmals geäußert haben.

    Es muss mindestens ein zweiter Arzt zurate gezogen werden, und der Fall muss anschließend umgehend bei einer der fünf regionalen Prüfkommissionen gemeldet werden: Die kontrollieren, ob der Arzt sorgfältig gehandelt hat, und schalten notfalls die Staatsanwaltschaft ein. Hausärztin Constance de Vries hat als Arzt der "Levenseindekliniek" seit März 2012 dreimal Sterbehilfe geleistet:

    "Eigentlich sollten wir überflüssig sein. Aber es gibt eine Anzahl von Ärzten, die keine Sterbehilfe leisten wollen und die ihre Patienten auch nicht an Kollegen verweisen, die im Gegensatz zu ihnen bereit sind, ihren Patienten beim Sterben zu helfen. Der ratlose Patient weiß dann nicht mehr, an wen er sich wenden soll!"

    Rund 17 Prozent aller niederländischen Ärzte lehnen Sterbehilfe aus Prinzip oder aus Glaubensgründen ab. Anderen ist die emotionale Belastung zu groß. Oder sie trauen sich nicht, weil sie die gesetzliche Lage nicht genau kennen und strafrechtliche Folgen fürchten. Das ist vor allem dann der Fall, wenn es um Alzheimer geht oder um Psychiatriepatienten. Obwohl ihnen das Gesetz auch in diesen Fällen dazu durchaus die Möglichkeit bietet, betont Hausärztin de Vries:

    Inzwischen melden sich bei der Lebensendeklinik jeden Monat bis zu 60 Menschen - weitaus mehr als erwartet. Die Klinik ist der Nachfrage nicht gewachsen, es gibt lange Wartelisten. Insgesamt hat die Klinik seit ihrer Gründung im März 2012 mehr als 700 Anfragen erhalten. Rund 200 Fälle wurden abgelehnt, sie fielen nicht unter die gesetzlichen Kriterien, dabei ging es zum Beispiel um lebensmüde Patienten.

    Rund 100 Menschen hingegen durften bereits wie gewünscht sterben. Wobei die meisten am Ende doch noch vom eigenen Hausarzt begleitet wurden: Die Kollegen von der Lebensendeklinik haben ihn informiert und konnten ihn davon überzeugen, dass alles rechtens sei und er keine strafrechtlichen Folgen zu fürchten brauche. Und die sind bislang auch nicht eingetreten.

    Die fünf regionalen Kommissionen sind noch dabei alle 100 Fälle zu überprüfen. "Aber”, so sagt die vorsitzende Juristin der Prüfkommissionen Willie Swildens: "Bislang können wir der Sterbehilfeklinik und ihren mobilen Teams bescheinigen, äußerst sorgfältig gehandelt zu haben."