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Zu Recht nicht mehr aufgelegt?

Beginnen wir die Geschichte von hinten. In seiner gestrigen Presseerklärung bedauert der Suhrkamp Verlag, dass er die Rechtfertigung des palästinensischen Terrors in Ted Honderichs neuem Buch nicht rechtzeitig bemerkt habe, sondern dazu erst auf der Homepage von Honderich nachschauen musste. Hat das Lektorat die Seite 236 nicht gelesen, wo Honderich in der Tat den palästinensischen Terror explizit für moralisch gerechtfertigt hält, und zwar Selbstmordattentate? Hier ist sogar noch eine Fußnote angefügt, die die Debatten nach der englischen Edition erläutert. Und die Übersetzerin bedankt sich beim Lektor Oliver Jahr für die sorgfältige Lektorierung.

Ein Beitrag von Hans-Martin Schönherr-Mann | 07.08.2003
    Jürgen Habermas hat dem Suhrkamp Verlag das Buch zur Veröffentlichung empfohlen. In der Frankfurter Rundschau versucht er gestern sich rechtfertigend von dieser Empfehlung Abstand zu gewinnen. Er habe es zunächst nur aus amerikanischer Perspektive betrachtet und nicht bedacht, wie es aus deutscher wirke – eben nach dem Holocaust. Vor allem habe das starke sozialdemokratische Anliegen des Autor auf ihn Eindruck gemacht.

    Allerdings muss man dann schon annehmen, dass er nicht besonderst gründlich gelesen hat. Denn der Autor hält nun mal angesichts des unendlichen Leidens in der Welt, das primär die westliche zu verantworten habe, Terror im Dienst des Humanismus unter bestimmten Umständen für gerechtfertigt. Doch dergleichen äußert er erst gegen Ende des Buches, während Honderich zuvor lange und ausführlich begründet, worauf sich Moral zu stützen hat, nämlich auf die weltweit ungerecht verteilten Lebenserwartungen und Leidenszeiten. Das mag den Postmarxisten Habermas erfreut und zu einem vorschnellen Urteil bewogen haben.

    Aber vielleicht hätte er doch wenigstens etwas gründlicher Honderichs Argumentation bezüglich der Terroranschläge vom 11. September 2001 nachlesen können, um die es dem Autor letztlich geht. Weil die westliche Welt unendliches Leiden global zulässt und verursacht hat, viel größeres Leiden als die 3000 Ermordeten an jenem Tag, trägt sie selbst – so Honderich – die Verantwortung für diese abscheulichen Taten. Natürlich rechtfertigt Honderich diese Taten damit nicht. Im Unterschied zum palästinensischen Terror hält er sie auch für moralisch abscheulich und verwerflich. Doch am Ende fühlt er sich selber schuldig, sollte sich jeder schuldig fühlen, wenn er wie Honderich lieber in die Ferien fliegt, anstatt die Urlaubsbörse für die Verdammten dieser Erde zu spenden. Nicht nur die Radikalität auch die Naivität solcher einfältiger Moral verwundert – legitimiert das indirekt und wider Willen die Terrorakte vom 11. September.

    Habermas reagiert dabei mit seiner eiligen Stellungnahme auf einen offenen Brief von Micha Brumlik, der am Tag zuvor ebenfalls in der Frankfurter Rundschau den Suhrkamp-Verlag aufgefordert hatte, das Buch vom Markt zu nehmen, da es Antizionismus und "philosophischen Judenhass" berge. Beides darf man wohl als gelinde Übertreibungen bezeichnen. Honderich erklärt sich eindeutig für die Gründung Israels und sieht Israel auch in den Grenzen von 1967 als legitim an – eine Position, die auch viele Israelis vertreten. Er kritisiert scharf die jüdischen Siedlungen und das militärische Vorgehen gegen die Palästinenser. Das ist Kritik an israelischer Politik und hat mit Judenhass nichts zu tun.

    Bezeichnend für die im Sommerloch eiligst geführte Debatte ist, dass mit dem im weiteren Sinne betrachteten Antisemitismusvorwurf über die eigentlichen problematischen Teile des Buches hinweggegangen wird. Denn die Legitimation des palästinensischen Terror entspringt gerade nicht einer dumpfen rassistischen Überlegung, sondern dient nur als Beispiel für eine vom Autor so propagierte, durch den 11. September wachgerüttelte rigide Ethik der vermeintlichen Humanität, eines schier religiösen Büßerbewusstseins, die doch gar nicht so pazifistisch ist, wie sie von ihrer Haltung her tut. Aber Moralisten – das wussten wir immer schon - sehen sich am Ende häufig auch zur Gewalttat berechtigt, für die Professor Honderich natürlich zu alt und zu wohlbegütert ist.

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