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Züchtung von Blastoiden gelungen
Forschende erhoffen sich mehr Wissen über menschliche Embryonalentwicklung

Forschenden in den USA und in Australien ist es gelungen, Blastoide zu erzeugen: künstliche Zellmodelle von frühen menschlichen Embryonen. Das eröffnet der Wissenschaft neue Möglichkeiten - etwa Untersuchungen, wie Medikamenten, Gifte oder Viren in diesem Stadium menschlicher Entwicklung wirken.

Von Magdalena Schmude | 18.03.2021
Illustration einer Blastozyste
Illustration einer Blastozyste - einer Zellkugel, aus der sich nach dem Einnisten in der Gebärmutter ein Embryo entwickeln kann. Blastoide sind künstliche Zellmodelle, die den natürlichen Blastozysten ähneln. (Imago/Science Photo Library)
Ein sechs Tage alter menschlicher Embryo besteht aus etwa 200 Zellen. Die winzige Zellkugel ist mit dem bloßen Auge nicht zu erkennen und wird Blastozyste genannt. Ein Teil der Zellen bildet später den Körper, aus zwei weiteren Zelltypen entstehen Plazenta und Dottersack, nachdem sich die Blastozyste in die Gebärmutterschleimhaut der Mutter eingenistet hat. Gelingt das, kann sich aus dem Zellball ein gesunder Embryo entwickeln. Doch schon kleine Fehler können schwere Auswirkungen haben.
"Die Zeit rund um die Einnistung ist entscheidend, um angeborene Defekte oder Fehlgeburten zu verstehen", erklärt Jun Wu, Professor für Molekularbiologie an der University of Texas Southwestern in Dallas. "Doch es ist sehr schwierig, die menschliche Entwicklung zu untersuchen, und besonders über diese frühe Phase wissen wir bisher kaum etwas. Unsere Fortschritte waren bisher sehr langsam, weil wir für Untersuchungen auf die Verwendung von echten menschlichen Embryonen angewiesen waren."
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Zellmodelle von frühen menschlichen Embryonen

Jun Wu untersucht die frühe menschliche Embryonalentwicklung und hat zusammen mit seinem Team ein Zellmodell für die Blastozyste entwickelt, sogenannte Blastoide.
"Wir haben bestimmte humane embryonale Stammzellen in einem dreidimensionalen Gel kultiviert. Wir haben sie angeregt, sich weiter zu entwickeln und räumlich anzuordnen, um so Blastozysten-artige Strukturen zu erhalten. Diese Blastoide ähneln den frühen Embryonen in Form, Größe und Zellzahl. Sie enthalten die gleichen drei Zellarten wie ein Blastozyst, und die sind ähnlich angeordnet."
Auch Jose Polo von der Monash University in Australien hat mit seinem Team solche Blastoide erzeugt. Eigentlich wollten die Forscher aus Hautzellen Stammzellen züchten. Doch dabei fiel ihnen eine besondere Übergangsform auf, die die Zellen annahmen:
"Wir entschieden, sie genauer zu untersuchen und kultivierten sie in einem dreidimensionalen Medium, damit sie miteinander interagieren konnten. Nach etwa sechs Tagen bildeten sich runde Strukturen, die wie Bälle aussahen. Als wir sie genauer untersuchten, haben wir verstanden, was sie sind und dass sie Blastozysten ähneln."
Schon seit einigen Jahren versuchen verschiedene Forschungsgruppen, Zellmodelle von frühen menschlichen Embryonen im Labor herzustellen. Ähnliche Modelle von Mäuseembryonen gibt es seit etwa drei Jahren. Dass der Schritt jetzt auch mit menschlichen Zellen gelungen ist, eröffnet viele Möglichkeiten für Wissenschaftler. Denn bisher waren sie auf die wenigen, durch künstliche Befruchtung erzeugten Embryonen angewiesen, die Paare nach dem Abschluss einer Kinderwunschbehandlung für die Forschung spenden. In Deutschland zum Beispiel ist die Forschung mit humanen Embryonen ganz verboten.

Unterschiede zu Blastozysten

"Jetzt können wir Hunderte davon herstellen und biochemische oder genetische Untersuchungen durchführen. Wir können außerdem die Wirkung von Medikamenten, Giften oder Viren in dieser frühen Entwicklungsstufe untersuchen. Und all das, ohne Embryonen von Menschen oder Tieren zu benutzen. Allein diese erhöhte Kapazität wird unser Wissen über die frühen Stufen der menschlichen Entwicklung revolutionieren."
Doch wie gut sind die Modelle? Um das herauszufinden, führten beide Forschungsgruppen sogenannte Einnistungs-Assays durch. Damit wird getestet, ob sich die Zellbälle an die Oberfläche einer Petrischale aus Plastik anheften können. In den Versuchen gelang das den Blastoiden ähnlich häufig wie menschlichen Embryonen, wenn sie im Labor kultiviert werden. Einzelne Blastoide veränderten außerdem in den Tagen danach ihre Form und bildete eine Aushöhlung, die zu diesem Zeitpunkt auch in Blastozysten sichtbar wird. Doch es gab auch deutliche Unterschiede, erzählt Jun Wu:
"Ein Unterschied ist, dass die Weiterentwicklung der Blastoide zum nächsten Stadium in unseren Laborversuchen sehr ineffizient verläuft. Und das, obwohl wir sie genauso behandelt haben, wie echte Embryonen in dieser Phase behandelt werden. Einige Blastoide können sich zwar anheften und ihre Form verändern, aber die Erfolgsrate dabei ist sehr niedrig. Bei weiteren Untersuchungen haben wir außerdem herausgefunden, dass es in den Blastoiden Zellarten gibt, die in menschlichen Embryonen in diesem Stadium nicht vorkommen."

Keine ethischen Regelungen bisher

Beide Forschungsgruppen brachen ihre Experimente mit den Zellmodellen nach spätestens fünf Tagen ab, obwohl es bisher keine rechtlichen oder ethischen Regelungen für den Umgang damit gibt. Jun Wu und Jose Polo orientierten sich dabei an den internationalen Vorgaben für die Forschung mit echten humanen Embryonen. Und die ist nur bis zum 14. Tag der Entwicklung erlaubt. Auch bei zukünftigen Experimenten wollen sie sich an diese Grenze halten. Trotzdem betonen die Wissenschaftler, dass die Blastoide lediglich Modelle sind.
"Es ist eine Ansammlung von Zellen, die die ersten Schritte der Embryonalentwicklung durchlaufen", so Jun Wu. "Aber es ist kein Embryo. Wir halten diesen Zellball für ein gutes Modell, das viele der aktuellen Probleme umgehen kann, die wir bei der Untersuchung dieser Entwicklungsstufen haben. Aber das ist auch alles."
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Auch wenn die Technik in den nächsten Jahren weiter verbessert wird, sei es unrealistisch, dass damit künstliche menschliche Embryonen erzeugt werden können, sagen die Forscher. Das haben bisher auch alle Versuche mit Mäuse-Blastoiden gezeigt. Wurden die in die Gebärmutter einer Maus eingesetzt, nisteten sie sich zwar ein und wuchsen etwa drei Tage lang weiter. Dann aber hörten sie auf, sich zu entwickeln.