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Zukünftiger Riesenring

Teilchenphysik. - Mit dem LHC besitzt das Cern den größten Beschleuniger aller Zeiten – einen Ring von 27 Kilometern Umfang. Doch nun wollen es die Physiker noch eine Nummer größer: Das Forschungszentrum hat kürzlich eine Studie präsentiert, die die Machbarkeit eines 100-km-Rings belegt. Dieser Mega-Ring würde gerade noch in die Region um Genf passen. Forschungspolitisch ist das ein durchaus heikler Plan. Denn er stellt ein anderes Megaprojekt der Teilchenforschung in Frage, einen gewaltigen Linearbeschleuniger.

Von Frank Grotelüschen | 24.05.2013
    "I would now say: I think we have it! Do you agree?"

    4. Juli 2012. Das Teilchenforschungszentrum Cern vermeldet seinen größten Triumph – die Entdeckung des Higgs-Teilchens. Doch das reicht den Physikern noch nicht. Sie haben noch weit mehr Elementarteilchen auf der Agenda, die sie gerne aufspüren würden – etwa die so genannten Susy-Teilchen. Diese könnten hinter der rätselhaften dunklen Materie stecken, von der es im Weltall nur so wimmeln soll.

    "Da wir die bis jetzt noch nicht gesehen haben, kann man nur hoffen, die bei höheren Energien zu sehen","

    sagt Cern-Physiker Oliver Brüning,

    ""weil diese Teilchen wahrscheinlich schwerer sind, braucht man eine Maschine mit höheren Energien, um die herstellen zu können."

    Maschinen wie der LHC beschleunigen Wasserstoffkerne, also Protonen, auf hohe Energien, um sie frontal aufeinanderprallen zu lassen. Bei diesen Kollisionen können neue Teilchen entstehen wie das Higgs. Will man aber andere, deutlich schwerere Teilchen erzeugen, bräuchte man höhere Energien, eventuell also einen größeren Beschleunigerring. Die 27 Kilometer des LHC reichen da vielleicht nicht mehr. Und deshalb schmiedet man am Cern schon neue Pläne. Brüning:

    "Wir denken jetzt über eine Tunnelgröße von 100 Kilometern nach. Die würde vom Cern anfangen, würde um den Genfer See herumgehen – also eine gewaltige Maschine sein."

    Super High Energy LHC, kurz SHE-LHC – so der Arbeitstitel für den neuen Giganten. Er würde gerade noch in die Genfer Ebene zwischen Alpen und Jura-Gebirge passen. Der SHE-LHC soll die Protonen mit mindestens sechsfacher Energie aufeinander schießen – was die Chancen, neue Teilchen zu entdecken, drastisch erhöhen würde. Gut möglich aber auch, dass man in einem ersten Schritt keine Protonenmaschine in den 100-Kilometer-Ring einsetzen würde, sondern einen Elektronenbeschleuniger. Der hätte zwar nicht so viel Energie, wäre aber technisch einfacher und deutlich billiger. Das Plus einer solchen Maschine: Sie könnte Higgs-Teilchen wie am Fließband produzieren und viel präziser unter die Lupe nehmen als heute der LHC. Brüning:

    "Man könnte das Higgs wirklich in großen Massen herstellen. Falls man sich von der Physik verspricht, dadurch ein besseres Bild vom Standardmodell zu bekommen, ist es eine sehr reizvolle Aufgabe."

    Aber ein durchaus heikler Plan. Denn er stellt ein anderes, lange geplantes Megaprojekt der Teilchenforschung in Frage – den ILC, einen 20 km langen Linearbeschleuniger für Elektronen. Seit Jahren gilt der ILC als eine Art legitimer Nachfolger des LHC. Der neue Riesenring am Cern ist nichts anderes als ein Alternativvorschlag – man könnte auch sagen eine Kampfansage. Denn beide Beschleuniger zu bauen, werden sich die Teilchenjäger wohl kaum leisten können. Oliver Brüning jedenfalls sieht gute Gründe für den Riesenring.

    "Kreisbeschleuniger haben wir seit Jahrzehnten gemacht. Wir wissen, die können wir toll machen. Für Linearbeschleuniger kann man das nicht sagen. Das wäre ein gewaltiger Schritt. Und da muss man jetzt abwägen: Will man jetzt wirklich das Wagnis machen für ein Projekt, wo man noch relativ viele Unsicherheiten hat? Oder sagt man sich, man geht den konservativen Weg: Kreisbeschleuniger, das ist alles Technologie, die man im Prinzip schon mal gemacht hat."

    Der Linearbeschleuniger ILC droht deutlich teurer zu werden als ursprünglich geplant. Mittlerweile gehen manche Experten von über 10 Milliarden Euro an Kosten aus. Der 100-Kilometer-Ring für Elektronen dagegen könnte für fünf Milliarden zu haben sein, hofft Brüning. Und er hätte das Potenzial, später zu einem Protonenbeschleuniger ausgebaut zu werden. Eines aber ist klar: Wenn es tatsächlich etwas wird mit dem Genfer Riesenring – vor 2035 dürfte er wohl kaum fertig sein.