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Zukunft der Paulskirche
Historiker befürchten "Weihestätten-Charakter"

Die Paulskirche gilt als Wiege der deutschen Demokratie. 1848/49 tagte hier die erste deutsche Nationalversammlung. Der ideale Ort also für eine Gedenkstätte, ein "Haus der Demokratie"? Einige Historiker sehen das kritisch: Demokratiegeschichte in Deutschland brauche mehr als einen Ort des Gedenkens.

Von Eva-Maria Götz | 04.02.2021
Außenansicht der Paulskirche in Frankfurt am Main. In den kommenden Jahren stehen an dem historischen Gebäude umfangreiche Sanierungsarbeiten an.
Die Paulskirche in der Frankfurter Innenstadt muss erneut saniert werden. Eine Expertenkommission soll bis 2022 ein Konzept für die Kirche und das geplante Haus der Demokratie erarbeiten (picture alliance / dpa / Boris Roessler)
"Die bundesrepublikanische Demokratie ist symbolarm, hat sich nie besonders um Selbstinszenierung und Pomp gekümmert," sagt Herfried Münkler, Politikwissenschaftler und Mitglied der von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier berufenen Expertengruppe, die bis 2022 ein Perspektivkonzept für die Paulskirche ausarbeiten soll. Die vermeintliche Leerstelle in der bundesrepublikanischen Gedenkstättenlandschaft könnte dann geschlossen werden.
Allerdings beklagt Münkler: "Das Problem ist die Art und Weise, wie 1948 die Paulskirche wieder errichtet und dann eingeweiht worden ist, hat keinen Ort geschaffen, der 1848/49, also die Ereignisse der Revolution, die Beratungen über eine Verfassung und die Erklärung der Bürgerrechte sichtbar, erfahrbar macht."

Wie soll renoviert, an was soll erinnert werden?

Der Ort, an dem sich 1848 die Abgeordneten der Nationalversammlung trafen, um erstmals ein geeintes Deutsches Reich mit demokratischer Verfassung auf den Weg zu bringen, brannte im Bombenhagel im März 1944 vollständig aus. Nur die Außenmauern und der angrenzende Turm blieben übrig. Der Wiederaufbau des klassizistischen Gebäudes wurde im Inneren betont sachlich angelegt, ein nüchterner Versammlungsort entstand, kein Monument des Gedenkens.
Die Paulskirche in der Frankfurter Innenstadt.
Debatte um Sanierung der Paulskirche - "Sehr problematisch, dieses Denkmal zu überschreiben"
Die Frankfurter Paulskirche gilt als Wiege der Demokratie. 1848 fand hier die Nationalversammlung statt. Im Krieg wurde die Kirche zerstört, 1948 nicht originalgetreu wieder aufgebaut. Der Bund fordert nun eine Teilrekonstruktion. Der Architekturtheoretiker Philipp Oswalt hält dies für schwierig.
Nun müssen der Bund als großzügiger Geldgeber und die Stadt Frankfurt als Eigentümerin eine Entscheidung darüber treffen, wie die stark renovierungsbedürftige Immobilie saniert wird: im Jetzt-Zustand oder aber mit historisierenden Elementen und einem angrenzenden Demokratie-Museum? Doch an was genau soll erinnert werden? Ist die Bedeutung des ersten deutschen Parlaments für die Entwicklung der Demokratie ausreichend?
Die Deutsche Nationalversammlung in der Paulskirche zu Frankfurt a.M. 1848. Farbdruck nach Aquarell von Albert Dierkes.
Professorenparlament oder zaghafter, gescheiterter Versuch - die Nationalversammlung erscheint im historischen Rückblick wenig glamourös (dpa/Picture alliance/akg)

"Professorenparlament" oder gar "einzige Peinlichkeit"?

Da gibt es unterschiedliche Einschätzungen: "Nämlich erstens: Naja, die Paulskirche war ein Professorenparlament und was haben die gemacht: Geredet, geredet, hinbekommen haben sie eigentlich nichts. Und als sie dann nach Berlin gegangen sind, um dem preußischen König Friedrich Wilhelm die Kaiserkrone anzudienen, hat der sie abgelehnt, weil sie ‚mit dem Ludergeruch der Revolution‘ - so hat er sich ausgedrückt - behaftet sei. Und die linke Erzählung sagt: Naja, 48, gemessen an der Französischen Revolution von 1789, war ein sehr zaghafter, zu keinem Zeitpunkt erfolgreicher und dann auch gescheiterter Versuch und es ist eigentlich nur eine einzige Peinlichkeit. Da müssen wir jetzt nicht die große Trommel für rühren."
Dieser relativierenden Sichtweise müsse man etwas entgegensetzen. Sonst bliebe nach der ebenfalls gescheiterten Weimarer Republik und dem Ende der nur dem Namen nach Deutschen Demokratischen Republik DDR nur die Bundesrepublik als erfolgreiche Demokratie übrig. Und schließlich: "Die Verfassung, die in Frankfurt ausgearbeitet worden ist, hat in modifizierter Form erst in die Verfassung des Reiches, dann vor allen Dingen aber in die Weimarer Verfassung und schließlich auch in das Grundgesetz der Bundesrepublik Eingang gefunden."
Nun bringt sich auch Christoph Cornelißen, Professor für Neueste Geschichte an der Goethe-Universität Frankfurt in die Debatte ein: "Die Ankündigung, dass man gewissermaßen die Erfolgsgeschichte der Demokratie in den Vordergrund rücken möchte, das ist für uns eben einer der Anlässe gewesen, hier sozusagen doch eher kritischer darüber nachdenken zu wollen."
Cornelißen hat gemeinsam mit seinem Kollegen Dirk van Laak, Professor für die Geschichte des 19.-21. Jahrhunderts an der Universität Leipzig, ein Papier verfasst. Ihre Befürchtung: "Dass im Hinblick auf den Umbau, die Neustrukturierung der Ausstellung in der Paulskirche, überhaupt den Umgang mit den Orten der Demokratie in Deutschland gewissermaßen doch dieser Weihestätten-Charakter möglicherweise Überhand gewinnen könnte."
"Man müsste auf jeden Fall verhindern, dass es gewissermaßen einer älteren Auffassung von Gedenken und Bestätigung entspricht; womöglich noch mit nationalstaatlicher Komponente", ergänzt Dirk van Laak. Denn ein Ort für die Demokratie dürfe nicht "den Geist einer harmonisierenden Geschichtspolitik atmen".
Er müsse vielmehr "darauf hinweisen und immer wieder variieren, dass man sich auseinandersetzen muss, dass man sich engagieren muss, wenn man etwas verändern will, dass auch die Dinge nicht immer zum Guten laufen, dass Gewinner auch Verlierer hervorbringen."
Auf Transparenten fordern Teilnehmer des friedlichen Demonstrationszuges am 10.10.1989 durch die Leipziger Innenstadt immer wieder "Freiheit" - hier auf einem Banner mit drei Ausrufungszeichen zu lesen.
Ein anderes Kapitel deutscher Demokratiegeschichte - die Montagsdemonstrationen in Leipzig (picture alliance / Lehtikuva Oy)

Frankfurt und Leipzig konzeptionell zusammendenken?

Der aktuelle Streit um Einschränkungen der Grundrechte müsse dort ebenso thematisiert werden wie der Umgang mit extremistischen Parteien. Demokratie könne man nicht in einem Museum erfahrbar machen, sondern nur über den Blick auf die Herausforderungen, denen sie permanent ausgesetzt sei.
"Mit Herausforderungen an die Demokratie meinen wir den Sachverhalt, dass Demokratien immer umkämpfte politische Ordnung waren und sind. Das heißt, dass sozusagen der Streit natürlich zur Demokratie gehört. Der Streit, die Diskussion, auch die heftige Auseinandersetzung, die reguliert wird in der Regel durch natürlich auch entsprechende parlamentarische Verfahrensordnung und öffentliche Verfahrensregeln. Also Demokratie ist eben nicht einfach eine selbstverständliche und in sich ruhende Angelegenheit."
Cornelißen und van Laak halten es für falsch, sich nur auf Frankfurt als Gedenkort für Demokratiegeschichte zu fokussieren. Dass auch in Leipzig schon seit Jahren über ein "Haus der Demokratie" nachgedacht werde, solle man zum Anlass nehmen, beide Orte, Frankfurt und Leipzig, konzeptionell zusammenzudenken und jetzt schon eine "Diagonale der Demokratie" entwerfen.
Christoph Cornelißen: "Frankfurt, Leipzig haben vieles gemeinsam, sie sind eben Orte der Revolution: Leipzig als Ort der Montagsdemonstrationen, Frankfurt als Ort der Paulskirche. Beide Orte verbinden aber viele andere Dinge: Die Entwicklungsgeschichte, ihre auch demokratische Entwicklungsgeschichte und dann eben den Orten führender Intellektueller Zentren, Bibliotheken, als Gerichtsorte und vielem anderen mehr. Die Querverbindungen zu erkennen geben und dann eben auch begreifen lassen, warum an diesen Orten in spezifischen historischen Epochen eben im 19ten und zwanzigsten Jahrhundert der demokratische Geist besonders wirksam gewesen ist und hier eben dann auch förmlich zum Ausbruch kommen konnte."
Blick auf das Hambacher Schloss 
Das Hambacher Schloss war 1832 Schauplatz früher Demokratiebewegungen auf deutschem Boden (dpa, Uwe Anspach)

"Netzwerk historischer Orte"

Von dieser inhaltlichen Verbindung beider Gedenkstätten könne Frankfurt nur profitieren, sei doch die Erinnerung an den Kampf um Demokratie in Leipzig viel präsenter als in Frankfurt. Diese "Diagonale der Demokratie" ließe sich aber auch verlängern hin zu anderen für die Entwicklung der Demokratie relevanten Stätten. Zum Beispiel Orten wie dem Hambacher Schloss oder dem Rastatter Museum für die Freiheitsbewegung während der badischen Revolution 1848. Beides Gedenkstätten, die allerdings sowieso schon in einer Arbeitsgemeinschaft "Orte der Demokratiegeschichte" verbunden sind.
Christoph Cornelißen: "Wenngleich man nicht übersehen kann, dass seit den letzten 40, 50 Jahren da eben auch vieles sich gewandelt hat. Vor dem Hintergrund erschien es dem Kollegen Laak und mir sinnvoll, stärker über ein sozusagen doch institutionalisiertes "Netzwerk historischer Orte" nachzudenken. Das mit Hilfe der natürlich dafür notwendigen Fördermaßnahmen des Bundes und des Landes oder auch der Bundesländer die Chance erhält, sozusagen demokratische Erinnerungen, demokratisches Erbe in der Öffentlichkeit in einer Weise zur Anschauung zu bringen, die unseren Seh-Gewohnheiten der Gegenwart und auch der mittleren Zukunft entgegenkommt. Also die wirklich modernisiert werden müssen."
Und auch die Entwicklung der europäischen Demokratie dürfe bei der Gestaltung eines oder mehrerer Gedenkorte nicht außer Acht gelassen werden. Dirk van Laak: "Also als Leipziger denkt man immer auch an Danzig, da gibt es auch enge Verknüpfung und Beziehungen zwischen den beiden Städten. Weil Danzig natürlich der ostdeutschen Bewegung vorangegangen ist, die Solidarnosz-Bewegung 1980/81 hat sich dort etabliert. Insofern ist da der ganze Aufbruch in Ostdeutschland zu lokalisieren."

"Aktualistische Schieflage" beim Alternativkonzept?

Eine breite und öffentlich geführte gesellschaftliche Diskussion darüber, wie und wo man eine Staatsform wie die Demokratie und deren Geschichte darstellen und würdigen könne, wünschen sich die beiden Historiker. Denkbar sei dabei auch eine Debatte im Bundestag über die bis dahin gesammelten Ideen - das wäre doch passend. Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler steht den Vorschlägen der beiden Kollegen zwar skeptisch gegenüber.
"Ich will nicht in Abrede stellen, dass Leipzig dabei eine Rolle spielen muss und bedeutsam ist, aber eine Achse Frankfurt-Leipzig ist, glaube ich, zu keinem Zeitpunkt angedacht worden und würde auch eine eigentümlich aktualistische Schieflage ins Spiel bringen." Aber auch er sagt: "Ja, es gibt so etwas wie einen roten Faden, der von der Paulskirche bis heute in den Bundestag hineinreicht."