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Zukunft von Horst Seehofer
"Niemand kann ihn zwingen zurückzutreten"

Ob man gegen den Willen Seehofers eine Trennung zwischen Parteivorsitz und Ministerpräsident hinbekomme, sei fraglich, sagte Günther Beckstein (CSU) im Dlf. Darüber werde aber ernsthaft zu diskutieren sein: "Denn es wird für uns eine große Herausforderung, dass wir bei der Landtagswahl wieder die absolute Mehrheit kriegen."

Günther Beckstein im Gespräch mit Silvia Engels | 27.09.2017
    CSU-Politiker Günther Beckstein (15.05.2014)
    CSU-Politiker Günther Beckstein (dpa / picture-alliance / Matthias Balk)
    Silvia Engels: In München tagt zur Stunde die CSU-Landtagsfraktion. Das miserable Abschneiden der CSU bei der Bundestagswahl von nur gut 38 Prozent erregt die Gemüter. Viele Abgeordnete treibt die Sorge um, dass es möglicherweise bei der im nächsten Jahr anstehenden Landtagswahl in Bayern auch nicht besser laufen könnte.
    – Am Telefon ist nun Günther Beckstein von der CSU. Von 2007 bis 2008 war er bayerischer Ministerpräsident, also der Vorgänger von Horst Seehofer. Nach der Landtagswahl von 2008, bei der die CSU nach Jahrzehnten ihre absolute Mehrheit verlor, war er zurückgetreten. Sein Nachfolger eben Horst Seehofer. Guten Tag, Herr Beckstein!
    Günther Beckstein: Grüß Gott.
    Engels: Ist das nun eine ähnliche Situation für Horst Seehofer wie für Sie 2008?
    Beckstein: Es ist jedenfalls eine sehr schwierige Situation, denn man muss wissen, dass wir in der CSU kalt erwischt worden sind. Wir hatten zwar erwartet, dass wir zwei, drei Prozent verlieren, aber dass es ein derart desaströses Ergebnis wird mit minus zehn Prozent, dass wir so viel an die AfD auch verlieren, dass die AfD in Bayern über zwölf Prozent kriegt, damit hat niemand gerechnet. Und entsprechend groß ist natürlich auch die berechtigte Aufregung.
    Engels: Der Ruf nach personeller Neuausrichtung kommt und er kommt vor allem aus dem CSU-Bezirk in Franken. Sie selbst sind Franke. Wie nehmen Sie die Stimmung derzeit wahr?
    Beckstein: In der Tat. Viele meinen, dass es Zeit wäre, dass Horst Seehofer das Feld räumt, um Markus Söder, der Finanzminister ist, und der ganz eindeutig ganz große Bataillone in der Landtagsfraktion hinter sich hat, dass der zum Nachfolger gekürt wird. Andererseits ist es so, dass es auch eine große Übereinstimmung gibt, dass die Koalitionsverhandlungen einen starken Parteivorsitzenden brauchen. Denn dass wir erst mit CSU und CDU festlegen, was die Grundlagen der gemeinsamen Union sind, und dann mit den Gelben und den Grünen arbeiten müssen, das ist etwas, was eine ungeheure Herausforderung ist. Und da will man ihn unter keinen Umständen schwächen.
    "Zunächst in Berlin vernünftige Koalitionsverhandlungen"
    Engels: Da will man ihn nicht schwächen. - Was denken Sie persönlich? Sollte er als Ministerpräsident zurücktreten, aber Parteichef bleiben?
    Beckstein: Ich meine, es wird jetzt darauf ankommen, dass man zunächst in Berlin vernünftige Koalitionsverhandlungen und einen Koalitionsvertrag bekommt. Dann wird darüber ein Parteitag zu entschließen haben. Und der muss dann auch gleichzeitig darüber befinden, wer ist derjenige, der die stärksten Chancen hat, im nächsten Jahr wieder eine absolute Mehrheit bei der Landtagswahl zu holen. Da sind auch regionale Unterschiedlichkeiten zu betrachten.
    In Franken ist Markus Söder sicher sehr stark. Viele Oberbayern wollen aber auf jeden Fall einen Oberbayern, einen Altbayern, wie Horst Seehofer das ist. Horst Seehofer hat auch ganz eindeutig große Verdienste um die Partei. Das wird dann eine Diskussion, wenn die Koalitionsverhandlungen vorüber sind und wir uns dann entscheiden müssen, in welcher Schlachtordnung treten wir bei der Landtagswahl an. Das wird im November, Dezember oder Anfang des nächsten Jahres entschieden werden.
    Engels: Aber die Reihenfolge wäre für Sie, CSU verhandelt den Koalitionsvertrag mit Seehofer an der Spitze, dann der Parteitag. Und dann ist Söder Ministerpräsident?
    Beckstein: Horst Seehofer hat immer ausgeschlossen, dass er in der Legislaturperiode zurücktritt. Er ist ja auch gewählt bis Ende dieser Legislaturperiode.
    Engels: Aber hat er noch die Möglichkeit, das durchzustehen?
    Beckstein: Wenn er nicht selber freiwillig zurücktritt – niemand kann ihn zwingen, zurückzutreten. Er hat immer erklärt, dass er die Legislaturperiode als Ministerpräsident gewählt ist und auch machen wird. Da glaube ich nicht, dass irgendeine Änderung ist. Die Frage des Parteivorsitzes, die muss neu gewählt werden. Ob man allerdings gegen seinen Willen dort zu einer Trennung kommt, das weiß ich nicht. Ich bin auch froh, dass ich, offen gestanden, jetzt im Ruhestand bin und nicht mehr selber diese Konflikte aushalten muss.
    "Darüber wird ernsthaft zu diskutieren sein"
    Engels: Wenn ich Sie richtig verstehe, dann sähen Sie es anders herum, Ministerpräsident bleibt er noch, aber er gibt den Parteivorsitz ab?
    Beckstein: Das ist möglich, aber Seehofer hat das immer ausgeschlossen. Aber ich meine, darüber wird ernsthaft zu diskutieren sein. Denn es wird für uns eine ganz, ganz große Herausforderung, dass wir im nächsten Jahr bei der Landtagswahl wieder die absolute Mehrheit kriegen. Das war für die CSU immer eine ganz zentrale Herausforderung. Ich selber musste zurücktreten, wie ich um drei Sitze die absolute Mehrheit verfehlt hatte. In jedem anderen Bundesland wäre ich gefeiert worden mit so einem Ergebnis; in Bayern sind die Maßstäbe da anders.
    Engels: Dann schauen wir noch mal auf die Machtverhältnisse in Berlin. Sie haben ja angesprochen, es wäre wichtig, dort geschlossen und stark aufzutreten für die Koalitionsverhandlungen. Aber spricht das nicht genau dafür, dass ein nun zweifellos angeschlagener Horst Seehofer das nicht mehr sein sollte?
    Beckstein: Da gibt es eine breite Übereinstimmung, dass man sagt, Horst Seehofer soll diese Verhandlungen führen. Er ist auf bundes- und landespolitischer Ebene sehr, sehr erfahren. Er ist auch ein sehr trickreicher Mann, sage ich ganz offen. Ich glaube nicht, dass irgendeine ernsthafte Bestrebung da sein kann, dass die Koalitionsverhandlungen von irgendjemand anders geführt werden, sondern da ist klar, diesen Auftrag wird Horst Seehofer bekommen. Und zwar mit einer ganz, ganz großen Mehrheit, wenn nicht sogar, was wahrscheinlich ist, einstimmig.
    Engels: Das kann sich ja so oder so auf jeden Fall noch ziehen mit den Koalitionsvereinbarungen. Jamaika wird schwierig und - in der Tat - der Kalender ist für die CSU recht eng. Schon im nächsten Herbst sind die Landtagswahlen angesetzt. Ist das auch eine Gefahr, dass man aus CSU-Sicht nicht lange warten kann, ob Jamaika nun klappt oder nicht?
    Beckstein: Eine schnelle Entscheidung wäre sicher richtig. Aber andererseits sind die Verhandlungen dann mit vier Koalitionspartnern, CDU, CSU, Grünen und der FDP, sicher etwas sehr, sehr Schwieriges. Ich glaube nicht, dass das innerhalb des Oktobers zu einem Ergebnis führen wird, sondern ich rechne persönlich, dass es schon eine längere Hängepartie gibt. Ud dann wird möglicherweise auch ein Scheitern da sein. Ich halte es keineswegs für ausgemacht, dass das klappt.
    Gerade bei der Zuwanderung: Die CSU will unbedingt die Obergrenze, zumindest eine massive Begrenzung der Zuwanderung. Die Grünen wollen eine massive Erweiterung der Zuwanderung. Die CDU hat schon fürs Wahlprogramm die Obergrenze abgelehnt. Ich sehe im Moment noch nicht recht, wo da der Kompromiss gefunden wird. Aber wir wollen umgekehrt auch eine starke Bundesregierung. Das ist für Europa und in dieser Weltlage unabdingbar. Das wird von Merkel die große Regierungskunst erfordern.
    Engels: Und wenn Jamaika-Verhandlungen zu lange dauern, oder gar scheitern, sind dann Neuwahlen im Bund auch eine Option für Sie?
    Beckstein: Dann ist zunächst die SPD dran, die sich nach unserer Meinung nicht einfach verweigern kann.
    Engels: Aber wenn sie dabei bleibt?
    Beckstein: Wenn sie dabei bleibt, dann könnte es sein, dass im nächsten Jahr Neuwahlen wären, ja.
    Engels: Wäre das aus bayerischer Sicht denn nicht möglicherweise besser, als einen schlechten Jamaika-Kompromiss zu machen – einfach deshalb, weil dann zumindest die volle Konzentration auch auf die bayerische Landtagswahl gehen könnte?
    "Jetzt muss erst bei Jamaika sorgfältig verhandelt werden"
    Beckstein: Es gibt auch viele, die sagen, es ist besser, Neuwahlen zu haben als einen schlechten Koalitionsvertrag. Denn es gibt auch die eine oder andere Stimme, die sagt, die Bürger sind erschrocken über die Stärke der AfD, sind erschrocken darüber, dass die beiden Volksparteien so viel verloren haben. Ich selber bin da sehr, sehr skeptisch. Ich meine, man muss alles tun, um Neuwahlen zu vermeiden. Aber ich will nicht ausschließen, dass das am Ende steht. Aber so weit sind wir lange nicht. Jetzt muss erst bei Jamaika sorgfältig verhandelt werden. Und ich denke, es wird dann schon zu einem Kompromiss kommen.
    Engels: Noch mal zurück zu Horst Seehofer. Wie kann denn ein möglicher Parteichef oder Ministerpräsident auf Abruf wirklich mit all seiner Erfahrung und trotz seines Verhandlungsgeschicks noch richtig Gewicht in die Waagschale werfen, wie Horst Seehofer das jetzt möglicherweise nicht mehr kann?
    Beckstein: Ich sage, Horst Seehofer muss ein ganz starkes Ergebnis bringen. Das wird ihn unterstützen. Und er weiß das auch. Er sagt, er will die Scharte wieder auswetzen. Das heißt, sein Plan heißt, mit einem ganz starken CSU-Anteil in der Koalition vor die CSU zu treten, und dann sagt er: Seht her, ich habe das Kunststück fertiggebracht. Horst Seehofer ist ein gewiefter Taktiker, ein alter Fuchs, den man keinesfalls unterschätzen sollte.
    Engels: Und wenn das alles leider doch scheitert und die SPD sich weiter verweigert, gibt es Neuwahlen mit einem ganz neuen Personaltableau der CSU?
    Beckstein: Ob dann die CDU, ob dann die FPD, ob Grüne neue Parteispitzen haben werden, da meine ich, das ist völlig verfrüht, sich darüber Gedanken zu machen.
    Engels: Und die CSU?
    Beckstein: Und auch bei der CSU. Jetzt sind wir dabei, ein Ergebnis zu kriegen, das für uns erträglich ist.
    Engels: Günther Beckstein war das von der CSU. Von 2007 bis 2008 war er bayerischer Ministerpräsident. Wir sprachen mit ihm über Stand und Perspektiven für die CSU. Vielen Dank für das Gespräch heute Mittag.
    Beckstein: Danke schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.