Samstag, 20. April 2024

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Zukunftszentrum Deutsche Einheit
"Sowohl Bürgerzentrum wie Institut wie Erinnerungsort"

Ein sogenanntes Zukunftszentrum für europäische Transformation und deutsche Einheit wünscht sich die Regierungskommission in ihrem Abschlussbericht zu 30 Jahren Deutsche Einheit. Man habe bewusst die europäische Komponente einbezogen, um keine Nabelschau zu betreiben, sagte der Soziologe Raj Kollmorgen im Dlf.

Raj Kollmorgen im Gespräch mit Friedbert Meurer | 07.12.2020
Passanten gehen an einem schwarz-rot-goldenen Herz mit der Aufschrift "30 Jahre" vorbei. Potsdam als Brandenburger Landeshauptstadt war in diesem Jahr Gastgeber der zentralen Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit.
Zentrale Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit - Jetzt liegt der Abschlussbericht der Regierungskommission vor (dpa / Christoph Soeder)
In Berlin stellt die Regierungskommission "30 Jahre Friedliche Revolution und Deutsche Einheit" am Montag (07.12.2020) ihren Abschlussbericht vor.
Die Kommission unter dem Vorsitz des früheren Ministerpräsidenten von Brandenburg, Matthias Platzeck, hat verschiedene Empfehlungen erarbeitet, um die noch immer vorhandenen strukturellen Ungleichheiten zwischen Ost und West abzubauen. Ebenso müsse die Wettbewerbsfähigkeit des Ostens vorangetrieben und besonders strukturschwache Regionen müssten gestärkt werden.
Wunsch der Regierungskommission ist überdies der Bau eines Zukunftszentrums für europäische Transformation und deutsche Einheit. Dieses solle verschiedene Funktionen übernehmen. Es soll forschungsorientiert arbeiten, aber auch Begegnungsstätte sein, sagte der Soziologe Raj Kollmorgen von der Hochschule Zittau/Görlitz, der am Absschlussbericht mitwirkte. Ganz wichtig sei auch, so Kollmorgen, dass dieses Zentrum dezentrale Aktiviäten in der gesamten Bundesrepublik übernimmt.
Noch offen ist, wo das Zentrum errichtet werden soll. Es gebe gute Argumente, einen Standort in der Provinz zu sichen, sagte Kollmorgen.
Blau angestrahlter MDR-Turm am Augustusplatz in Leipzig bei Nacht.
Ostdeutschland muss sichtbarer werden
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk würde zu wenig, zu einseitig und zu negativ über Ostdeutschland berichten. Diese Kritik ist im Streit um den Rundfunkbeitrag lautgeworden. Ein Bericht der Regierung bestätigt sie.

Das Interview im Wortlaut:
Friedbert Meurer: Am meisten wird jetzt wahrscheinlich über dieses Museum diskutiert werden. Ist das ein Guggenheim, was da geplant wird?
Raj Kollmorgen: Nein, ist es nicht. Ich bin mir auch nicht ganz sicher, ob mein lieber Kollege Platzeck in der Kommission eigentlich damit ein sinnvolles Bild gezeichnet hat. In der Tat geht es streng genommen um das Gegenteil eines Museums, denn ein Museum – das liegt in der Natur der Sache – richtet den Blick auf das, was gesammelt wurde in und aus der Geschichte. Dieses Zentrum für europäische Transformation und deutsche Einheit – das ist ja erst mal ein Arbeitstitel; wie das Ding dann wirklich heißt, wenn es überhaupt kommt, werden wir noch sehen -, dieses Zentrum jedenfalls soll die Erinnerungen und die Geschichte aufnehmen, aber mit einem klaren Ziel, das nämlich in die jetzigen Debatten zur Gestaltung der Entwicklung der Bundesrepublik und Europas einzubringen und insofern eine Zukunftsrelevanz entfalten.
Bürgerinnen und Bürger in dieses Zentrum hineinziehen
Meurer: Ist es jetzt eher ein Forschungszentrum, Herr Kollmorgen, was da entstehen soll, oder doch ein architektonisch anspruchsvolles Gebäude, in das man geht, ja doch ein wenig wie in ein Museum?
Kollmorgen: Das wird ja jetzt noch mal diskutiert. Aber das wichtige ist jetzt erst mal, dass es auf der einen Seite ein Erinnerungsort sein soll an das, was 1989/90 passiert ist und auch in den letzten 30 Jahren, in der Gestaltung der deutschen Einheit sowohl in der Transformation in den sogenannten neuen Bundesländern in Ostdeutschland, dann aber auch des Vereinigungsprozesses. Das ist die eine Dimension. Dann geht es um einen Dialog- und Begegnungsort. Die Kommission hat ausdrücklich vorgeschlagen, dass wir Bürgerinnen und Bürger dann in dieses Zentrum hineinziehen wollen, mit den Bürgerinnen und Bürgern sprechen, sie untereinander aus Ost und West, Nord und Süd, und dann soll es auch eine wichtige Komponente geben, die forschungsorientiert ist, also ein sogenanntes Institut. Ich will es noch mal sagen: Sowohl Institut wie ein Bürgerzentrum wie ein Erinnerungsort.
Meurer: Wo soll es denn eigentlich hinkommen? Nach Berlin, oder ist das noch offen?
Kollmorgen: Nee, das ist ganz offen, und das will ich noch mal unterstreichen. Da hat es natürlich auch in der Kommission eine Diskussion gegeben und ein paar Vorschläge, aber wir konnten uns darauf nicht einigen und wollten es auch nicht, weil das der weiteren Arbeit auch im politischen Raum überlassen bleibt. Es gibt gute Argumente, etwas in der Provinz zu suchen. Es gibt aber auch gute Argumente für Berlin oder Leipzig. Das wird dann ein entsprechendes Gremium beschließen müssen. Aber lassen Sie mich diesen Punkt noch mal machen. Das ist uns ganz wichtig gewesen. Wir wollen, selbst wenn es dieses Zentrum dann auch architektonisch gibt, im Sinne einer baulichen Hülle, im Sinne eines Ortes, an dem man sich treffen kann, wir wollen auf jeden Fall eine starke Ergänzung durch dezentrale Aktivitäten in der gesamten Bundesrepublik. Man könnte auch sagen, das Zentrum soll verbinden einen Ort, an dem etwas passiert, mit einem Kranz dezentral platzierter Orte und insofern ein Netzwerk bilden.
Meurer: Interessant ist auch der Name, Herr Kollmorgen, dass es ein Zentrum für europäische Transformation und deutsche Einheit heißen soll.
Kollmorgen: Ja.
"Genau diese Nabelschau nicht betreiben"
Meurer: Deutsche Einheit alleine würde zu nationalistisch klingen?
Kollmorgen: Ja, auf jeden Fall. Wir waren uns in der Kommission sehr schnell einig und sicher, dass wir genau diese Nabelschau nicht betreiben wollen, sondern dass uns wichtig ist – und ich glaube, jeder, der das entweder selbst erlebt hat oder über entsprechendes Wissen verfügt, weiß ja, dass das, was in der DDR 1989 passiert ist, ohne den europäischen Kontext, den globalen Kontext, ohne Solidarnosc in Polen und die vielen, vielen Initiativen, Charta 77 und so weiter und so fort, gar nicht denkbar ist, und dass es ja auch ein Aufbruch war, der Ostmitteleuropa, Osteuropa eingeschlossen hat, genauso wie die Gestaltung der deutschen Einheit ohne die Europäisierung und die Erweiterung der Europäischen Union auch nicht zu denken ist.
Meurer: Das heißt, es wird ein Begegnungszentrum dann für ganz Europa werden?
Kollmorgen: Na ja! Es gibt diesen doppelten Fokus. Und ich finde, dieses Ambivalenz, wenn man so will, darf man ja auch mal aushalten. Es ist sowohl etwas, was sich auf die deutsche Einheit, den Vereinigungsprozess, den Revolutionsprozess bezieht, das aber in diesen Kontext, in den europäischen Kontext einbettet und insofern das stark macht und weiß, dass man das eine ohne das andere nicht gut thematisieren und verhandeln kann.
Meurer: Ist das nicht vollkommen klar und jedem bekannt? Ohne die europäische Transformation wäre keine Einheit möglich gewesen?
Kollmorgen: Da bin ich mir, ehrlich gesagt, doch im Zweifel, ob das jedem klar ist. Da muss ich mich nur auf die Straße begeben und mit Leuten reden, die jetzt eher nicht intellektuellen Kreisen angehören. Da gibt es tatsächlich einen Bildungsauftrag und den muss man auch ernst nehmen. Und dass wir Deutschen da auch noch einen besonderen Bildungsauftrag haben, würde ich sagen, liegt auf der Hand.
//Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskus