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Zum 100. Geburtstag von Erika Mann

Auf einem Foto sitzt Erika Mann strahlend am Steuer eines Fords, den Siegeskranz um den Hals. Im Juni 1931 hatte sie ein Autorennen über 10.000 Kilometer gewonnen. In zehn Tagen war sie mit ihrem Beifahrer Ricki Hallgarten durch ganz Europa gerast, schrieb dazwischen noch Berichte für deutsche Zeitungen. "Wir wechseln die Länder weit öfter als die Kleider", meldete sie aus Rom, eine Wendung, die später Brecht in eines seiner berühmtesten Gedichte übernahm.

Von Eva Pfister | 09.11.2005
    Erika Mann liebte das Autofahren und sie liebte die Herausforderung, aber der wahre Anlass, an dieser Rallye teilzunehmen, war die Sorge um ihren Freund Richard Hallgarten. Der Maler, den sie schon als Kind kannte, litt an Depressionen. Erika wollte ihm Erfolgserlebnisse vermitteln, deswegen entschloss sie sich auch, eine Geschichte, die sie für ihre jüngsten Geschwister erfunden hatte, als Buch herauszugeben und von ihm illustrieren zu lassen. So entstand ihr erstes Kinderbuch "Stoffel fliegt übers Meer".

    Das Muster zieht sich durch Erika Manns Biographie: Immer wieder packte sie neue Aufgaben an, weil sie sich für einen Menschen oder eine Sache einsetzte. Dieses Engagement verlieh ihr außerordentliche Kräfte, ob sie sich um das Werk ihres Vaters kümmerte, mit ihrem antifaschistischen Kabarett "Die Pfeffermühle" durch Europa tourte oder in Amerika gegen Hitler agitierte. Über ihre Tätigkeit als Vortragreisende erzählte sie 1968 Fritz Raddatz:

    " Es war ja eine der merkwürdigen Erfahrungen der Emigration, dass man – älter wie man wurde – immerzu aufs Neue vor der Berufswahl stand. … Nun wollte ich also lecturer werden und musste zunächst wie folgt vorgehen: Ich musste meine Sachen aufschreiben, sie übersetzen lassen, und sie dann auswendig lernen, denn wenn die Amerikaner etwas nicht mögen, dann ist es abgelesene Dinge. Da ich aber schauspielerisch geübt war, konnte ich sie auswendig lernen, und da ich ein As bin, konnte ich auch den englischen Akzent recht bald sehr gut beherrschen, und das ging ganz gut, bis ich soweit war, dass ich mir nur ein Skelettchen machte, selbst auf Englisch schon, und meine Vorträge frei hielt. "

    Erika Mann wollte den Amerikanern den Alltag unter Hitler so anschaulich wie möglich vor Augen führen. Aus ihren Recherchen entstanden auch zwei interessante Bücher, zum einen "School for Barbarians" auf Deutsch: "Zehn Millionen Kinder", über die Erziehung im Dritten Reich, zum andern "The Lights Go Down", das erst in diesem Jahr in einer deutschen Übersetzung erschienen ist. "Wenn die Lichter ausgehen" schildert das Leben in einer deutschen Kleinstadt – hinter der hübschen Fachwerkfassade. Es ist zum Beispiel deswegen so ruhig, weil die Menschen alle am Volksempfänger sitzen, denn keiner darf sich dabei erwischen lassen, dass er sich die Hitler-Rede nicht anhört. Wer eine vom Arbeitsamt zugewiesene Tätigkeit ablehnt, kommt ins Gefängnis, auch, wer seine Hühner nicht füttert wie vorgeschrieben. Erika Mann hatte die Beschäftigungs- und die Agrarpolitik ebenso studiert wie die Rechtssprechung; sie betonte, dass alles auf wahren Begebenheiten beruht und baute lange Zitate ein. In Ihrem Nachwort spricht Irmela von der Lühe –die ausgewiesenste Kennerin des Werks von Erika Mann – deswegen von Dokufiction.

    In der kleinen Stadt sind weniger begeisterte Nazianhänger zu finden, als geduckte Untertanen, die politisch ahnungslos und oft unempfindlich gegen ihre Mitmenschen versuchen, sich durch die Zeit zu schlagen. Erika Mann hatte solche Typen schon als Songtexterin in ihrem Kabarett "Die Pfeffermühle" gezeichnet, etwa die FRAU X:


    "Man lügt und man betrügt sich durch die Woche
    Am Sonntag reicht es dann zu Wein und Huhn
    Mit Ehrlichkeit hat unsere Epoche
    Und mit Charakter ja nichts mehr zu tun.

    Es kräht kein Hahn danach
    Es kräht kein Hahn danach
    Die Hühner lachen leis ..."

    Viola Roggenkamp ist nun der Meinung, Erika Mann habe in "The Lights Go Down" das Bild von Nazideutschland "auf peinliche Weise" geschönt. In ihrem Buch "Erika Mann – eine jüdische Tochter" analysiert sie, wie in der Familie Mann-Pringsheim die jüdische Herkunft mütterlicherseits verdrängt wurde. Das lässt sich durchaus belegen; Golo Mann wunderte sich darüber, dass er als Kind nichts von den jüdischen Wurzeln der Familie wusste, und dass es schon seiner Mutter, der christlich getauften Katja Pringsheim so ergangen war. Erika Mann sprach nie über sich als Jüdin, respektive Halbjüdin, und es ist schon auffallend, dass sie die Emigration ausschließlich mit politischen Gründen erklärte - obwohl die Familie Mann nach den Nazi-Rassengesetzen als Juden verfolgt worden wäre. So auch im Interview mit Fritz Raddatz:

    "Also - die Emigration hat sich zwingend für uns ergeben, aus der Tatsache, dass wir ja alle schon längst vor Ausbruch des Dritten Reiches politisch tätig gewesen waren, und den Nazis daher so verhasst waren, dass wir in jedem Fall gehen mussten. Natürlich wären wir ohnedies gegangen, wir hätten dort nicht atmen können. "

    Für Erika Mann war Antifaschismus nicht bloß Sache der Juden. Da kann ein Tabu mitgespielt haben, aber dennoch befremdet Viola Roggenkamps Rundumschlag. Sie beschuldigt alle neueren Publikationen über die Manns der Unterschlagung des jüdischen Aspekts und greift Erika Mann heftig an. Sie hätte "unheimlich sentimental" Geschichten vom Dritten Reich " wie für ihren Vater erfunden ... seine Idee bestätigend vom braven deutschen Mann und der guten deutschen Frau, über die unvermutet der Nazi-Pöbel hergefallen war." Aber das stimmt einfach nicht. Es gibt in "Wenn die Lichter ausgehen" durchaus Nazis, es gibt den Mann, der die begehrte Frau fallen lässt, weil sie Halbjüdin ist, und einen miesen Typen, der das große Geschäft macht mit den Schildern: "Dieses Dorf ist judenfrei".

    Erika Mann war als politische Publizistin gerne polemisch, aber dabei doch differenziert und genau informiert. Das kann man in "Blitze über dem Ozean" oder auch in dem neuen Auswahlband "Ausgerechnet Ich" nachlesen, die Feuilletons aus den 20er Jahren, Reiseberichte, Porträts von Emigranten, bis zu Reportagen vom Zweiten Weltkrieg und aus Nachkriegsdeutschland versammeln.

    Politische Schriftstellerin, Vortragsreisende und Reporterin war sicher der Beruf, den Erika Mann am meisten liebte und den sie nicht freiwillig aufgab. So erklärte sie Fritz Raddatz, warum sie nicht mehr in die öffentliche Debatte eingreife:

    "Ich bin ein sehr gebranntes Kind, wissen Sie. Also ich habe sehr früh in meinem Leben angefangen mit dieser Sorte von Tätigkeit, ich habe sie in Amerika länger fortgeführt, als dies eigentlich möglich war, das heißt bis tief in die McCarthy-Zeit hinein, wo ich ja dann mich mit amerikanischer Außenpolitik befasst habe mit meinen Lectures, und zwar sehr kritisch, zu einem Zeitpunkt, wo das kaum mehr möglich war. McCarthy hat es anders gemacht als die Nazis, man wurde gar nicht eingesperrt oder offiziell verboten, das gab’s ja gar nicht, man wurde abgewürgt. Es war aus, man konnte nicht mehr, die FBI holte einmal die Woche zum Verhör, und im Übrigen konnte man nicht mehr auftreten. Das hat mich sehr schockiert in dem von mir unter Roosevelt so geliebten Amerika, dass ich diese Erfahrung nun zum dritten Mal machen musste, erst in Deutschland, dann in Europa und nun in Amerika wieder. Und nachdem ich dort so schön Fuß gefasst hatte, war das ein enormer Schock. "

    Begonnen hatte Erika Mann ihr Berufsleben als Schauspielerin. Mit 18 Jahren schon spielte sie kleine Rollen bei Max Reinhardt in Berlin, und war auch in München, Hamburg und Frankfurt engagiert. Bekannt wurde sie mit dem Skandalerfolg "Anja und Esther". Den Erfolg verdankte das Stück ihres Bruders seiner Besetzung: Neben Klaus und Erika Mann spielten Pamela Wedekind und der aufstrebende Schauspieler Gustaf Gründgens; den Skandal verdankte es seinem Inhalt, denn es ging um eine lesbische Beziehung.

    Erika Manns Schauspielerkarriere war kurz, noch viel kürzer ihre Ehe mit Gustaf Gründgens. Länger hielt die Freundschaft mit Therese Giehse. Mit ihr gründete sie Ende 1932 das Kabarett "Die Pfeffermühle", das zuerst in München, dann in der Emigration in Zürich großen Erfolg hatte. Von all den Songs, die Erika Mann für ihr Kabarett getextet hat, von all den Auftritten und Conférencen ist leider keine Originalaufnahme erhalten. Nur ein Lied hat Therese Giehse selbst nach dem Krieg noch einmal gesungen, eben jene Frau X, Inbegriff der gleichgültigen Zeitgenossin, gegen die das Kabarett seinen scharfen Pfeffer ausstreute.

    "Es kräht kein Hahn danach
    Es kräht kein Hahn danach
    Hier rein:
    Die Hühner lachen leis
    Es schert sich keine Katz, weil das doch jeder weiß:
    Wers Pech hat, na, der hats

    Wenn wirs nicht hindern, sind wir schnell verloren
    Der Vogel Strauß macht große Politik
    Den Kopf im Sand bis über beide Ohren
    Zwitschert der dumpf: Ich bin nicht für den Krieg "

    Mit diesem Vers könnte Erika Mann durchaus auch ihren Herrn Papa gemeint haben, der sich lange nicht zu einer klaren politischen Stellungnahme durchringen konnte. Erst 1936 brachte sie Thomas Mann dazu, offiziell für die emigrierten Schriftsteller Partei zu ergreifen, zu denen ja auch Klaus Mann gehörte, und die von der Neuen Zürcher Zeitung als jüdische Romanindustrie diffamiert wurden.

    Ähnlich wie Frau X beginnen die meisten Lieder der "Pfeffermühle" ganz harmlos, nehmen private Charakterschwächen aufs Korn oder knüpfen an Märchen und Gleichnissen an, auch deswegen, weil sich Ausländer ja in der Schweiz nicht politisch betätigen durften. Dann aber steigern sie sich zum großen Mahnruf, und jede Vorstellung schloss mit dem Refrain:

    "Ja deswegen, sind wir gegen, gegen, was seid ihr – doch nicht dafür? "

    Die antifaschistische Botschaft kam bei Mit-Emigranten wie Einheimischen gleichermaßen an. 1034 Vorstellungen gab die Pfeffermühle bis 1937 in Europa, mit Tourneen in Holland, Belgien, Luxemburg und der Tschechoslowakei. Joseph Roth schrieb an Erika Mann: "Sie machen zehnmal mehr gegen die Barbarei als wir alle Schriftsteller zusammen".

    Aber nach der Rückkehr aus dem Exil stand die lustvolle Kämpferin vor einer völlig neuen Situation. Im kalten Krieg setzte sich Erika Mann mit ihren abwägenden Äußerungen zwischen alle Stühle, außerdem hatte ihr der Selbstmord von ihrem Bruder Klaus stark zugesetzt. Wie Zwillinge hatten sich die beiden verbunden gefühlt, gemeinsam Weltreisen unternommen und Bücher verfasst. "Wie ich leben soll, weiß ich noch nicht", schrieb Erika damals einer Freundin in einem Brief. Dieses Zitat wählte Ute Kröger als Titel ihres Buches über Erika Mann, in dem sie ihre Tätigkeit im Spannungsfeld "zwischen Pfeffermühle und Firma Mann" nachzeichnet. In den 50er Jahren gab Erika ihre eigene publizistische Tätigkeit fast ganz auf. Sie schrieb noch Kinderbücher, die Ute Kröger heftig zum Wiederentdecken empfiehlt, aber dann widmete sie sich ganz dem Werk ihres Bruders und vor allem ihres Vaters. So ist es nicht verwunderlich, dass von Erika Mann nur eine Kabarettnummer erhalten geblieben ist, die sie zum 80. Geburtstag ihres Vaters mit zwei Stimmen vortrug. Die fiktive bayerische Radiostation "Das Wort im Gebirge" würdigt Thomas Mann:


    "(Herr Roßgoderer): "...Also der hat seinen ersten großen Bucherfolg, also einen Romanerfolg hat er g’habt mit "Puddenbruch, Abfälle einer Familie". Und es ist ja nur zu bewundern, wie eigentlich so ein Schriftsteller hergeht, ne’woa, und aus den Abfällen von einer einzigen Familie dann einen zweibändigen Roman macht und auch noch einen Erfolg damit hat.
    (Frau Motzknödel): "Ja, ich weiß nicht, eigentlich, was so eine einzige Familie in Jahren für Abfälle z’samm’bringt, net, da kann man schon mit a bissel a Dingen, a Ding, a Einbildungskraft, gell, a Phantasie – "
    (Herr Roßgoderer): Ich sag’s ja, ich sag’s ja, muss es ja; es war ja ein erfolgreiches Buch, also ich nehme an, dass dieses "Puddenbruch – die abfälle der Familie" also ein schön geschriebenes phantasievolles Buch ist."
    "

    Literaturtipps:

    Dass die Familie Mann viel Material hergibt, beweist nun auch ein Bildband, herausgegeben von Uwe Naumann: "Die Kinder der Manns", 320 Seiten stark mit etwa 500 Fotos. Dieses "Familienalbum" kostet 19,90 Euro, als Schmuckausgabe inklusive CD mit dem soeben gehörten Sketch, 49,90 Euro und erscheint am 15. November bei Rowohlt, wo auch viele Werke von Erika Mann anlässlich ihres 100. Geburtstags neu aufgelegt werden.

    Neu herausgekommen sind: "Wenn die Lichter ausgehen" – Geschichten aus dem Dritten Reich" (19.90 Euro), das Lesebuch "Ausgerechnet Ich" sowie das Kinderbuch "Stoffel fliegt übers Meer" als Taschenbuch.

    Viola Roggenkamps "Erika Mann – eine jüdische Tochter - Über Erlesenes und Verleugnetes in der Familie Mann-Pringsheim" ist im Arche Verlag Zürich und Hamburg erschienen, hat 256 Seiten und kostet 19,90 Euro;

    Ute Krögers Buch "Wie ich leben soll, weiß ich noch nicht – Erika Mann zwischen Pfeffermühle und Firma Mann" hat 140 Seiten, 80 Fotos, kostet 19.80 Euro und ist im Zürcher Limmat Verlag erschienen.