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Zum 100. Geburtstag von Juan Carlos Onetti

Der peruanische Romancier Mario Vargas Llosa beschreibt in seinem sehr lesenswerten Buch "Die Welt des Juan Carlos Onetti" seine erste Begegnung mit Onetti auf dem Internationalen PEN-Kongress 1966 in New York. Damals war der mit 57 Jahren um mehr als eine Generation ältere Onetti zwar längst einer der bedeutendsten südamerikanischen Schriftsteller, ein Autor von Weltrang, aber das hatte sich außerhalb seines Heimatlandes Uruguay noch nicht weit in der Welt herumgesprochen.

Von Gabriele Killert | 05.07.2009
    Llosa, der Onettis Bücher, soweit er sie auftreiben konnte, überaus schätzte, machte sich auf eine schwierige Persönlichkeit gefasst.

    " Doch welche Überraschung war es für mich, als ich diesem Autor, den ich mir seinen Geschichten nach als eine hochfahrende Person vorgestellt hatte, begegnete. Schüchtern und zurückhaltend bis zum Verstummen, machte er während der Sitzungen des Kongresses den Mund nicht auf, und sogar bei kleineren Zusammenkünften unter Freunden, beim Essen oder in der Bar, schwieg er zumeist in sich gekehrt, eine Zigarette nach der anderen rauchend ... Es war nicht leicht, ihn zum Reden zu animieren, aber was er sagte, war immer klug, allerdings von beißender Ironie oder herbem Sarkasmus. "

    Ein fröhlich plaudernder, unterhaltsamer Kumpan und Partygast war Juan Carlos Onetti wohl nicht, ebenso wenig wie Dante, Milton, Baudelaire, Rimbaud oder Céline es gewesen sein dürften. Schon als Knabe hatte Onetti der Welt die kalte Schulter gezeigt, indem er sich auf den Grund einer Zisterne hinabließ, um das Buch Prediger oder Fantomas-Romane zu lesen. Und doch gibt es keine geselligeren Naturen als diese Stillen, Wortkargen, in die Tiefe Gekletterten. Nur entfaltet sich ihre Geselligkeit und Gesprächigkeit über Räume und Zeiten hinweg ebenfalls im Stillen: im tête à tête mit ihren Lesern bei ihrer einsamen, sie wiederum ungesellig machenden Lektüre. Für Klugheit, beißende Ironie und herben Sarkasmus ein Organ mitzubringen, wäre im Falle Onettis keine schlechte Voraussetzung.

    Wer allerdings gern an das gute Ende von Geschichten oder gar der Geschichte glaubt, braucht starke Nerven, wenn er sich in den kalten erzählerischen Kosmos des Juan Carlos Onetti begibt. Dieser Schriftsteller hat die geballte Streitmacht der großen Neinsager und poètes maudits im Rücken. Vor allem Louis- Ferdinand Céline, sein Roman Reise ans Ende der Nacht war für den 1909 in Montevideo geborenen, also 15 Jahre jüngeren Südamerikaner, wie für viele Schriftsteller seiner Generation, eine Offenbarung. In ihrem unbeirrbar düsteren Menschenbild stimmen beide völlig überein. Nur ist Onetti vielleicht sogar ein bisschen tückischer, weil lakonischer als Erzähler. Bei Céline gewöhnt sich der anfangs tief erschrockene Leser fast schon allmählich an die choques, den Gifthauch des gleichmäßig verströmten munteren Zynismus. Onettis Desillusionstechnik - bar jedes Zynismus - kommt mit der plötzlichen Wucht einer hinterrücks sich auftürmenden Welle daher, die den ahnungslos im seichten Wasser Planschenden umhaut und in eisige Tiefen zieht. Keine rettende Planke in Sicht für den Leser noch für den Protagonisten, den solcher Schlag trifft.

    Rache als ein sinnloser, pervertierter Ausdruck enttäuschter Liebe, als Kainszeichen des gemordeten Lebens ist eins der Hauptmotive in Onettis Geschichten. Der Ich-Erzähler seiner frühen Kurzgeschichte Willkommen, Bob beweist dabei einen langen Atem. Er muß nichts tun als abwarten, bis dieser von ihm innig gehasste Bob, der ihn mit seiner frechen Jugend, seiner Arroganz, seinen hochtrabenden Zukunftsplänen verhöhnte, bis dieser Roberto allmählich sein Charisma einbüßt, verspießert, das "groteske Leben" eines langweiligen Büromenschen führt. Mit böser Genugtuung beobachtet der Erzähler diesen schmachvollen Niedergang.

    " Niemand weiß von meiner Rache, aber ich lebe sie, genüsslich und wütend, Tag für Tag. Ich spreche mit ihm, lächle, rauche, trinke Kaffee ... Niemand liebte je eine Frau mit der Kraft, mit der ich sein Verkommensein liebe, die Endgültigkeit, mit der er in das schmutzige Leben der Menschen untergetaucht ist. Niemand entbrannte stärker in Liebe als ich angesichts seiner flüchtigen Sprünge, der Pläne ohne Überzeugungskraft, die ein vernichteter und weit entfernter Bob ihm zuweilen diktiert und die nur dazu dienen, dass er genau abschätzen kann, wie tief er für immer im Schmutz versunken ist. "

    Eine typische Onetti-Figur in dem Maupassant'schen Abscheu gegen die banalen Imperative der Bel ami-Welt. Typisch auch für den brennenden Hass und inneren Aufruhr seiner vom Unglück begünstigten Antihelden.

    Diese und die anderen frühen Erzählungen aus den 40er-Jahren sind noch nicht so ambitioniert wie die späteren Romane mit ihren implementierten fiktiven Welten, doch sie zeigen schon die ganze an Faulkner und Joyce geschulte Finesse der Erzähltechnik Onettis in der subtilen Figurenzeichnung unter Einsatz des inneren Monologs und schnellen Perspektivwechsels und vor allem in der Verräumlichung der Zeit. Die Zeit ist ein Labyrinth, in dem die blinden Egos umherirren. Und während sie ihre Bosheiten begehen, sind deren Folgen bereits auf dem Weg zu ihnen zurück und können ihnen an der nächsten Biegung aus fremden feindseligen Augen entgegenfiebern. Niemand, nur der Autor und durch ihn der Leser durchschaut diese Dialektik des bösen Eigensinns, und sie führt die Fäden des Erzählens.

    Ein solches Meisterstück dialektischer Knüpftechnik ist auch Onettis dritter Roman Für diese Nacht von 1943, den der Suhrkamp-Verlag soeben als Sonderdruck anlässlich des 100. Geburtstags herausgegeben hat. Aus Mario Vargas Llosas Onetti-Studie erfahren wir, wem der Autor die Anregung zu diesem Roman verdankt

    " Die Geschichte hat ihren Ursprung, wie Onetti selbst erzählte, in dem Zeugnis zweier Anarchisten über die letzten Tage des Spanischen Bürgerkriegs in dem von Franco und seinen Truppen belagerten Valencia, wo die zersplitterten Republikaner sich gegenseitig umbrachten, bevor sie von den Faschisten überwältigt wurden. "

    Eine Bar namens "First and Last" mit Schwingtür und theatralischen Nutten. Konspiratives Getuschel in der erotischen Kampfzone. Waidwunde Kämpfer im Dschungel der Nacht. Ein Toter im Separée. Sirenen, Rennereien, Razzia. Eine flirrende, unheilschwangere Atmosphäre wie in Big Sleep. Der Polizeichef Morasán höchstpersönlich mit seinen Folterknechten kreuzt auf. Ossorio, einer der Gejagten, taucht ab, die Hand immer am Revolver, um sich den Weg notfalls frei zu schießen.

    Großartige Eröffnungsszene, die Camouflage eines Thrillers. In diesem Dickicht aus Action versteckt Onetti sein Thema wie einen armseligen, eifersüchtig gehüteten Schatz. Wir sehen den finsteren Morasán bei seinem Folterhandwerk. Er hofft, über einen Berg von Leichen in dieser Nacht aufzusteigen. Die Leichen wird es geben, und seine wird auch darunter sein. Doch das ändert nichts. Die Sache ist längst entschieden. Der Polizeistaat wird siegen, wie der Autor es mehrmals erlebt hat. Das Gröbere, die niederen Kräfte siegen immer bei Onetti.

    Es geht in dem Roman nicht um den Bürgerkrieg in Spanien. Die Stadt ist absichtlich namenlos, auch wenn Vargas Llosa in ihr ein "alptraumhaftes Buenos Aires" wiedererkannt haben will, die Stadt, in der Onetti viele Jahre seines Lebens verbrachte und auch während der Niederschrift des Romans sich als Journalist sein Brot verdiente.

    Der Bürgerkrieg, der sich so oder ähnlich überall im 20. Jahrhundert oder auch heute abspielen könnte, dient Onetti nur als Folie einer ausweglosen Situation, die die Protagonisten auf der Verliererseite zwingt, sich ihrer Wahrheit zu stellen.

    Ihn interessiert das Elend derer, die sich auf der richtigen Seite glauben und doch immer schon Fälscher sind, immer schon Teil der verkommenen Welt aus Lüge, Gemeinheit, Verrat. Zu den Toten, die auch sie reichlich auf dem Gewissen haben, dürfen sie sich selbst zählen. Barcala, der von beiden Seiten gejagte desertierte Anführer versucht das Ossorio, der sich zu dessen stinkendem Unterschlupf durchschlug, klar zu machen.

    " Ich habe entdeckt, dass der Feind nicht von Gott oder vom Teufel gemacht worden ist, sondern von uns selbst ... Die einen sind durch die Sintflut bestraft worden, die anderen durch Feuerregen; uns ist das zugefallen, das haben wir uns verdient, wir verdienen es noch, weil wir es selbst gemacht haben. "

    Ossorio hört ihm zu, das Gesicht "heiß vor Scham und Hass". Er weiß, dass Barcala Recht hat. Aber er kann es nicht ertragen. Er, der längst selber resigniert und nichts anderes mehr im Sinn hat, als aus diesem "von Angst umzingelten Dreckloch" heraus zu kommen, kann den Verrat des anderen an der gemeinsamen Sache nicht ertragen, die so viele sinnlose Opfer gekostet hat. Er will Barcala töten, doch er schafft es nicht. Dafür rechnet er bitter mit sich selbst ab.

    " Er und sein Leben, sein Leben in einer elenden Kindheit und dem schmalbrüstigen und freudlosen Heranwachsen, die ungeliebte Arbeit ... die Erinnerung an löchrige und käsige Strümpfe vor hübschen Mädchen, die Demütigung seiner großen, plumpen Hände, die zaghaften und glühenden Träume, in denen er das Glück und die Liebe und den zornigen Entschluss, zu rächen und zu retten, erschaffen und von sich entfernt hatte im kollektiven Glück, weil das eigene Glück doch verloren, mit Füßen getreten, im Mahlwerk der Tage zerrieben worden war; die große Hoffnung, die es wie eine Torte zu verteilen galt, ohne sich ein Stück zu reservieren, einzig dadurch entschädigt, dass er das Messer führte, das teilte und darbot. "

    Ossorio weiß längst, dass er erledigt ist, dass es für ihn kein rettendes Schiff, keine Zukunft geben wird. Das einzige, was ihn noch aufrecht hält, ist die Sorge um das Kind, Barcalas elfjährige Tochter, die ihm zugefallen ist, nachdem er Barcala an die Gegenseite ausgeliefert hat. Ossorio betrachtet das Gesicht des schlafenden Kindes.

    " Er ließ den Blick über das Schimmern des Haars auf dem Kopfkissen wandern, taxierte den Abstand zwischen den Augen, die trennende Mulde zwischen Nase und Mund, den regungslosen unwillkürlichen Ausdruck von Stolz, Reinheit und heißer Verachtung auf dem Gesicht des Mädchens, den gedämpften Schimmer von Traumgespinst und unbestechlicher Gerechtigkeit, der sich von dem dunklen Strich der Wimpern aus über die Wangen erstreckte. 'Eines Tages wird sie einen Mann haben, Lügen, Kinder, Müdigkeit. Dieser Mund.' "

    " Er sah sie an, als wollte er sich selbst sehen, seine Kindheit, was er gewesen war, was in ihm zertrampelt und blind geworden war, die verlorene Reinheit des Beginns ... Er sah sie an wie in Liebe für sich selbst, mit abergläubischer Bewunderung für die kurze Reinheit auf dem menschlichen Antlitz, mit Bedauern über den unausweichlichen Dreck, den sie durchqueren und sich einverleiben musste. "

    Darum geht es hier, wie immer bei Onetti: um das Leben, das "am bloßen Leben" stirbt, in den Limbus der Lauheit, der Banalität abgleitet und sich in endlos leerer Verlängerung der Untoten hinzieht, die Onetti "Hölle" nennt. Der Roman ist von kristalliner Klarheit und Schönheit. Mit stupender traumwandlerischer Sicherheit und filmischer Finesse hat Onetti die wimmelnde Topografie dieser "monströsen Nacht" im Griff, meißelt er die Wahrheit der Figuren, ihr böses unschuldiges Drama aus ihren inneren Monologen wie aus härtestem Granit hervor.

    Wenige lateinamerikanische Autoren haben die verborgene menschliche Natur so tief erforscht wie Onetti, schreibt Mario Vargas Llosa, der Para esta noche, Für diese Nacht, für den besten der frühen Romane Onettis hält. Auch Llosa betont den starken Einfluss Célines, die Unbedingtheit und hypnotische Sprachkraft, die beiden gemeinsam ist, wobei Onettis Stil allerdings entschieden lakonischer und unaggressiver ist. Onetti predigt und kämpft nicht, moralischer oder politischer Rigorismus, wie man ihn mit dem Existentialismus eines Sartre und Camus assoziiert hat, sei ihm völlig fremd, meint Vargas Llosa:

    " Die Welt war, ist und wird immer ein Albtraum bleiben, mit kurzen Ausnahmen der Exaltation oder Abirrung, die für Glück gehalten werden- Zustände, die Alkohol oder Sexualität hervorrufen können-, die aber in Wirklichkeit nur kurzzeitige Fluchten in eine imaginäre Welt sind, in jenes erfundene Leben, in dem die Menschen ihrem Schicksal zu entkommen suchen und aus dem sie desillusioniert und leidend in die vom Bösen durchdrungene Realität zurückkehren. "

    " Onettis wüster Stil ist keine literarische Technik, kein formales Herausputzen des narrativen Diskurses- er ist Substanz, aus der das menschliche Leben gemacht ist, eine "Natur", die das genaue Gegenteil der existenzialistischen Philosophie in Sartres Variante zeigt- nach der die Existenz der Essenz vorausgeht und sie konditioniert: eine bösartige, finstere und perfide Essenz- gläubige Menschen würden sie als sündhaft bezeichnen-, die im Leben von Onettis Figuren durch deren unbezwingbaren Hang zutage tritt, Böses zuzufügen und zu erleiden, und ihnen als einzigen Ausweg aus diesem ... Dasein die imaginären Reisen bietet. "

    Einen Autor, der so gravierende Aussagen über die menschliche Natur und den Zustand der Zivilisation macht, wird man schwerlich als unpolitisch bezeichnen können. Eine Vereinnahmung oder Deutung seiner Bücher in einem politisch zeitkritischen oder ideologischen Sinn hat Onetti allerdings stets vehement zurückgewiesen. So etwa, wenn Kritiker aus seinen Romanen eine Allegorie der Dekadenz Uruguays herauslesen wollten. Um solchen Exegesen vorzubeugen, setzte Onetti seinem letzten Roman eine Art negative Gebrauchsanweisung voran, die er sich bei Marc Twain ausborgte:

    " Personen, die versuchen, in dieser Erzählung ein Motiv zu entdecken, werden belangt. Personen, die darin eine Moral finden wollen, werden verbannt. Personen, die in ihr eine Handlung zu entdecken versuchen, werden erschossen. "

    So gesehen lebt Mario Vargas Llosa nicht ganz ungefährlich. Er unternimmt in seiner kundigen Werkanalyse zwar keine waghalsigen Deutungen, aber er versucht schon, Onettis konzessionslosen Pessimismus auch im Kontext der zeithistorischen Verhältnisse zu sehen. Onetti selbst hätte das wohl inakzeptabel gefunden, er bestand auf der Freiheit und Autonomie seiner Fiktionen in Opposition zu einer Wirklichkeit, die er ablehnte. Für den in der neueren lateinamerikanischen Geschichte nicht so bewanderten Leser ist es immerhin interessant zu erfahren, dass Onettis Heimatland Uruguay lange Zeit als das stabilste, demokratischste und prosperierendste Land Südamerikas galt, bis dessen Niedergang mit dem zweiten Weltkrieg einsetzte, also in den Jahren, als Onetti mit dem Schreiben begann, und sich seit den 50-er Jahren, Onettis literarischer Hochphase, krisenhaft zuspitzte. Auf eine Weise, die Onetti weder beabsichtigen noch vorhersehen konnte, so Vargas Llosa, sei Onettis Werk ein Geschöpf Lateinamerikas.

    " Phantastereien, apokalyptische Prophezeiungen, Fluchten ins Imaginäre zünden in Lateinamerika leicht. Es ist nicht abwegig, hinter der Welt aus erfolglosen, pessimistischen, entrückten ... Existenzen und Randgestalten, die seine Texte bevölkern, eine Gesellschaft auszumachen, in der ein überwältigend großer Teil der Menschen angesichts der von der Wirklichkeit zugefügten Enttäuschungen, Niederlagen und Frustrationen gezwungen ist, sich in eine Irrealität zu träumen ... und sich jeder Form des Pragmatismus im Namen der Utopie zu verweigern ... Diese Abneigung des gesamten Kontinents gegenüber dem Rationalen und Möglichen ... diese aus politischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Perspektive katastrophale Tendenz, Grund unserer rückständigen Entwicklung, hat paradoxerweise dazu gedient, die Abenteuer der Imagination zu beflügeln und künstlerische Schöpfungen von großer Kraft und Originalität hervorzubringen, wie die Mythologien und Utopien, die ein Borges, ein Garcia Márquez, ein Rulfo, ein Cortazar und ein Carpentier geschaffen haben. Und natürlich ein Onetti. Und kurioserweise hat gerade er, trotz seiner ablehnenden Haltung gegenüber jeder engagierten Literatur und einer Botschaft, eine Welt erfunden, die auf indirekte und symbolische Weise eine tiefe, tragische Wahrheit des lateinamerikanischen Daseins zeigt. "

    Viel mehr, jedenfalls Interessanteres gibt es über dieses Schriftstellerleben "biografisch" kaum zu vermelden, als dass Onetti dieses Skulpturieren seiner finsteren Wahrheit 60 Jahre lang mit Besessenheit betrieben hat, ein Meisterwerk nach dem anderen so der Weltliteratur einschreibend. Zu Kompromissen war er nie aufgelegt. Als man ihn 1974 in Uruguay für Monate ins Gefängnis steckte, weil er als Jurymitglied einen Preis an einen Autor vergeben hatte, der dem Regime nicht passte, verzieh er das seinem Land nie. Er emigrierte nach Spanien, wo er hoch geehrt und zurückgezogen von jeglichem Betrieb noch fast 20 Jahre bis zu seinem Tode 1994 lebte.

    So sehen wir ihn denn, wie Vargas Llosa ihn uns vor Augen stellt: ein kleiner, magerer Mann mit traurigen Augen hinter riesigen Brillengläsern und einem Hang zu Alkohol und Erotomanie, ein schroffer Einzelgänger, der aus der Zisterne, in die er sich als Kind zum Lesen hinab ließ, im Grunde nie mehr herausgestiegen ist. Der dort im Halbdunkel hockte, ein melancholischer Nachtvogel, und sich am Geburtsschrei, am Krähen frisch geschlüpfter Wörter freuen und über das Trauma der verlorenen Unschuld hinweg trösten konnte.


    Juan Carlos Onetti: Für diese Nacht Roman -Aus dem Spanischen von Svenja Becker Suhrkamp 230 S.

    Mario Vargas Llosa: "Die Welt des Juan Carlos Onetti" aus dem Spanischen von Angelica Ammar Suhrkamp 221 S.