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Zum 100. Katholikentag
Zwischen Revolution und Resignation

Im Revolutionsjahr 1848 trafen sich in Mainz katholische Laien zur ersten Generalversammlung. "Laien" meint: Nicht-Kleriker. Das Wort klingt wenig selbstbewusst. Doch tatsächlich begann mit dem ersten Großtreffen eine starke Bewegung engagierter Katholiken. Sie kämpften für die Freiheit der Religion gegenüber dem Staat und zunehmend für mehr Freiheit innerhalb der katholischen Kirche.

Von Burkhard Schäfers | 18.05.2016
    Gläubige sitzen am 30. Mai 2014 bei einem Abendgebet mit brennenden Kerzen in der Donauarena in Regensburg.
    Gläubige bei einem Abendgebet am Katholikentag 2014. (picture alliance / dpa / Armin Weigel)
    Drewermann:"Den Humanismus verboten, die Reformation abgewehrt, die Aufklärung unter Eid wegdiktiert. Diese Kirche ist um Jahrhunderte rückständig. Das ist der faktisch existierende Katholizismus und daran müssen wir was ändern". Adenauer:"Der Kölner Dom ist ein Wahrzeichen des christlichen Glaubens und der Einheit des deutschen Volkes. Und das soll er bleiben. Und ich glaube, dass dieser Katholikentag unter einem guten Stern steht". Schmidt:"Wer mit seinem Nachbarn nicht reden will, wer auf seinen Nachbarn nicht hören will, der kann den Frieden mit dem Nachbarn nicht bewahren".
    Eugen Drewermann 1992 in Karlsruhe, Konrad Adenauer 1956 in Köln, Helmut Schmidt 1982 in Düsseldorf: Sie treten auf vor hunderten, tausenden Menschen, die Religion und Politik nicht getrennt, sondern zusammen denken.
    Der Katholikentag ist Bühne für die Politik, Wallfahrtsort, Kulturereignis – und noch einiges mehr. Ein"Schauspiel"nennt es der Volkskundler Wilhelm Heinrich Riehl schon Mitte des 19. Jahrhunderts.
    Stimmen vom Katholikentag 1978 in Freiburg:
    "Gut finde ich die Informationsstände, die Diskussionen und natürlich die Konzerte". "Gestern in der Essensschlange hatte ich neben mir einen älteren Herrn aus dem Bayerischen Wald und links neben mir ein Mädchen und einen Jungen aus der Gruppe der Christen für Sozialismus. Und es war ein Reden ohne Angst". "Das größte Gemeinschaftsgefühl hatte ich gestern auf dem Münsterplatz. Dass da Schwerkranke auf Bahren vorgefahren wurden und wie die mitmachten – das war ganz toll."
    Ähnliches sagen diejenigen immer wieder, die in den vergangenen Jahrzehnten bei Katholikentagen dabei waren. Dieses Jahr findet in Leipzig bereits der 100. Deutsche Katholikentag statt, organisiert vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken.
    Päpste sahen Gefahren statt Chancen
    Die Geschichte beginnt vor fast 170 Jahren: 1848 in Mainz mit der ersten Generalversammlung des katholischen Vereins Deutschland. Mitten in der Revolution von 1848/49 war dieses erste Treffen geprägt von den gerade errungenen bürgerlichen Grundrechten, sagt Hubert Wolf, Professor für Kirchengeschichte an der Universität Münster.
    "Zunächst geht es gar nicht um Glauben feiern oder Glaubenserfahrungen machen. Sondern es geht um knallharte politische Forderungen. Es sind die Laien, die die vom Papst verdammten revolutionären Freiheiten – Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit, Vereinsfreiheit – nutzen, um zu sagen: Wir benutzen jetzt die Freiheiten, die der Papst verurteilt hat, für uns als Katholiken in Deutschland, aber auch für den Papst."
    Dieser erste Katholikentag dürfte in Rom argwöhnisch beäugt worden sein: Papst Pius IX. und seine Vorgänger wenden sich wiederholt und scharf gegen die Freiheitsrechte, in der sie eher Gefahren denn Chancen wittern.
    Die katholischen Laien jedoch formulieren ihre Idee so geschickt, dass Rom kaum etwas dagegen haben kann: Erstes Ziel ist der Kampf für die Freiheit der Kirche. Dazu kommen die "geistige und sittliche Bildung des Volkes" sowie die "Hebung der herrschenden sozialen Missverhältnisse".
    Geprägt durch die Katholikentage, entwickelt sich der soziale und politische Katholizismus in Deutschland, sagt Kirchenhistoriker Wolf.
    "Zunächst hat man ja den Eindruck: Katholische Kirche findet statt in der Sakristei. Katholische Kirche ist was Frommes. Und jetzt gibt es eine legitime Möglichkeit, Katholizismus außerhalb des Kirchenraums zu organisieren. Also wir machen jetzt das, was Sozialisten, Liberale, Arbeiter, alle möglichen Leute können, um in der Öffentlichkeit, in der Gesellschaft, in der Politik für die Rechte und die Werte, für die Katholizismus steht, einzutreten."
    Im Umfeld der Katholikentage gründen sich etliche katholische Vereine. Sie widmen sich den Armen, der Jugend oder dem Thema Bildung.
    Und sie sind mehr oder weniger demokratisch organisiert, was die Haltung vieler Katholiken zu Demokratie und Freiheitsrechten beeinflusst. 1848, zum ersten Katholikentag, treffen sich gut 80 Delegierte in Mainz. Laut Geschäftsordnung dürfen Reden maximal eine Viertelstunde dauern und nicht abgelesen werden.
    Es geht vor allem um religiöse Freiheit. Spätere Katholikentage verhandeln Themen wie die Arbeiterfrage, Schulpolitik, Soziale Marktwirtschaft, Zuwanderung und Frieden.
    "Der Katholikentag ist ein Spiegel nicht nur der Kirche, sondern der deutschen Gesellschaft und der deutschen Politik. Und insofern, wenn man die Geschichte der Katholikentage liest, liest man eigentlich eine Geschichte Deutschlands sozial- und politikgeschichtlich."
    Bewegung der Laien
    Katholikentage sind eine Bewegung nicht des Klerus, sondern der Laien. Von Anfang an sind unter den Delegierten Beamte, Kaufleute, Handwerker und Künstler.
    "Laien sind nach dem Kirchenrecht unmündige Schafe. Die dürfen blöken, und man muss sie, wie es in den römischen Dokumenten immer heißt, notfalls mit scharfen Hunden von den gefährlichen Weideplätzen fernhalten. An dem Punkt sind die deutschen katholischen Laien, die sich in den Katholikentagen treffen, ungehorsam. Sie nehmen es selber in die Hand."
    Dennoch – in einer gewissen Schizophrenie – seien die Laien gerade in der Entstehungszeit der Katholikentage überaus papsttreu gewesen, sagt Kirchenhistoriker Wolf.
    "Der Vorwurf, den man den Katholikentagen im 19. Jahrhundert macht, ist: Ihr bildet ja gar nicht den ganzen Katholizismus ab, sondern nur den ultramontanen, den nach Rom orientierten. Das heißt: Selbstverständlich gibt es immer eine Treueadresse an den Heiligen Vater. Nach dem Unfehlbarkeitsdogma akzeptiert man natürlich das Dogma. Als die Italiener den Kirchenstaat besetzen, schreibt man bei jedem Katholikentag, dass man doch dafür betet, dass der Heilige Vater seinen Staat wiederkriegt. Es gelingt den deutschen Katholiken ungehorsam zu sein und zugleich wahnsinnig gehorsam."

    Döpfner: "Bei dem augenblicklichen Ansturm der Gottlosigkeit und der Gesetzlosigkeit uns gegenseitig stützen und wissen, wie vieles wird miteinander gemein haben, was wir gemeinsam nicht nur verteidigen, sondern auch in diese Welt hinein tragen müssen".Sprecherin 'Kirche von unten': "Wir sind genauso die Kirche, wie auch die Amtskirche die Kirche ist. Ich denke, dass wir als Basis genauso dazugehören wie die Amtskirche. Auch wenn die Amtskirche manchmal an der Basis vorbei irgendwelche Positionen verkündet und irgendwelche Dokumente herausgibt".
    Hubert Wolf spricht auf der Gedenkfeier der Diözese Rottenburg-Stuttgart zum 60. Todestag von Bischof Johannes Baptist Sproll in Rottenburg
    Kirchenhistoriker Hubert Wolf: "Laien sind nach dem Kirchenrecht unmündige Schafe" (imago stock&people)
    Ratzinger: "Man kann nicht Technik als solche ablehnen. Auch der entschiedenste Technikfeind bedient sich der Technik. Niemand könnte sich vorstellen, dass sie gänzlich verschwindet".
    Von Julius Döpfner bis zu Joseph Ratzinger ist die Kirchenhierarchie auf Katholikentagen zu Gast und debattiert mit der so genannten Basis – den Laien. Über Gesellschaft und Politik, aber immer wieder auch über innerkirchliche Fragen.
    Volkskirche am Scheideweg
    Einen Wendepunkt bildet der Katholikentag 1968 in Essen. Während der großen Studentenproteste zeigt sich, dass auch die Kirche zerrissen ist. Vormals in sich geschlossene katholische Milieus erodieren, die Volkskirche ist am Ende. Immer mehr Gläubige nehmen das Zweite Vatikanische Konzil beim Wort, das eine Erneuerung der Kirche versprochen hat. Sie weigern sich, weiter als unmündige Schafe den Kirchenhierarchen hinterher zu laufen. Erneut ist eine Revolution angesagt:
    In Essen entbrennt ein offener Streit zwischen Laien und Amtskirche über die katholische Sexualmoral. Wenige Wochen zuvor hatte Papst Paul der Sechste in seiner Enzyklika 'Humanae Vitae' die Verhütung mit Pille und Kondom verboten. Autorin Ulla Hahn erzählt in ihrem Roman 'Spiel der Zeit' von diesen Tagen:
    "Der Papst schien, was sein Verständnis katholischer Frauen anging, eher nicht in dieser Welt zu sein, wenn seine Enzyklika befürchtete, der Mann könne durch die 'Anwendung empfängnisverhütender Mittel die Achtung vor der Frau verlieren und sich dahin verirren, sie einfach als Werkzeug selbstsüchtiger Befriedigung zu betrachten.' Offenbar, spottete ich, kann sich so ein zölibatärer Junggeselle nicht vorstellen, dass auch eine katholische Frau Spaß an der Freud im Bett hat."
    Der Dissens bleibt nicht länger unter dem Deckmäntelchen katholischer Rom-Treue. Im Gegenteil: Einige Katholikentags-Teilnehmer verlangen sogar den Rücktritt des Papstes. Es gibt Protestplakate mit der Aufschrift: "Wir reden nicht über die Pille – wir nehmen sie." Ein Eklat, erinnert sich die Politikwissenschaftlerin Barbara Krause.
    "Die Pillenenzyklika war schon als sie herauskam insofern ein Stück weit obsolet, als die Menschen diesen Bereich als einen verstanden, von dem sie mehr verstehen als die, die darüber im Vatikan redeten. Und gesagt haben: Das ist eine Frage meines Gewissens."
    Die katholischen Laien fordern eine neue Sexualmoral. In einer Erklärung von Essener Katholikentagsteilnehmern an Paul VI. heißt es, sie könnten in Fragen der Empfängnisverhütung keinen Gehorsam leisten. Rom jedoch bleibt bei seiner Position.
    "Ich glaube, dass die Krise der Kirche, in der wir im Moment ja durchaus uns erleben hier in Europa, damit zu tun hat, dass die Wirklichkeit des Lebens viel zu sehr aus dem Blick kam. Das heißt, es wurden Antworten gegeben auf Fragen, die nicht gestellt wurden. Natürlich führt das zu Glaubwürdigkeitsverlusten."
    Undatierte Aufnahme von Papst Paul VI.
    Papst Paul VI.: Trotz immenser Proteste für eine reformierte Sexualmoral in der katholischen Kirche blieb er bei seiner Position, Verhütung mit Pille und Kondom zu verbieten. (picture alliance / dpa)
    Keine versöhnliche Soße
    Barbara Krause engagiert sich seit Jahrzehnten im deutschen Laienkatholizismus. In den 70er Jahren als Vorsitzende des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend, später bei Justitia et Pax und im Zentralkomitee der deutschen Katholiken, dem Dachverband der Laien und Träger der Katholikentage. Wie Krause begründen viele ihr gesellschaftliches und politisches Engagement damit, dass sie gläubig sind.
    "Ich erinnere mich noch sehr gut an den Mönchengladbacher Katholikentag 1974. Wir haben damals die so genannte 'Aluschok-Aktion' gemacht. Wir haben also versucht, an Aluminium und Schokolade die weltwirtschaftlichen Verbindungen und ihre Konsequenzen für die Akteure in den unterschiedlichen Kontinenten darzustellen. Da waren wir schon Vorreiter, und es war ja auch so, dass die kirchlichen Jugendverbände die waren, die für die entwicklungspolitischen Fragen zuständig waren, weil da am meisten Sachkompetenz war."
    So dienen die Katholikentage als öffentliches Forum: Hier dürfen Bundespräsident, Kanzlerin und Minister ihre Sicht der Dinge kundtun. Umgekehrt versuchen die Laienkatholiken, die politische Agenda zu beeinflussen.
    "Da gab es teilweise heftige Auseinandersetzungen. Ich erinnere mich in der Phase, als die Apartheid-Thematik sehr dominant war, an ein Gespräch in München mit der CSU-Spitze. Der Vorsitzende wollte am Schluss, dass wir noch eine versöhnliche Soße drüber gießen, aber wir konnten nur den Dissens feststellen."
    Die Einflussnahme der katholischen Laien auf die Politik ist ein erklärtes Ziel der Katholikentags-Bewegung – seit ihrer Entstehung im 19. Jahrhundert.
    Zwischenzeitlich gelten die Treffen als Heerschau der 1870 gegründeten Zentrumspartei. Später gibt es enge Bande zu den C-Parteien, bis schließlich eine parteipolitische Entflechtung stattfindet.
    Was bleibt, sind die Themen: Fairer Handel in den 70er Jahren, Abrüstung und Umweltschutz in den 80ern, Fragen von Gerechtigkeit, Wirtschafts- und Bioethik.
    "Da hab ich immer wieder erlebt, dass kirchliche Sprecher als Anwälte eines Themas, und zwar kompetente Anwälte eines Themas, wahrgenommen wurden. Insofern würde ich schon sagen, dass da kirchliche Akteure einen beachtlichen Anteil dran haben."
    Der regelmäßige Austausch von Politikern und Religionsvertretern verdichtet sich auf den Katholikentagen.
    "Regierung kupfert ab, was die Katholiken vordenken"
    Große Aufmerksamkeit bekommen die so genannten Podien – Diskussionsveranstaltungen, die zum Teil im Fernsehen übertragen werden. Vor allem hier könnten die Vertreter katholischer Verbände ihre Themen setzen, erläutert der Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf.
    "Eine ganze Reihe von sozialpolitischen Fragen, die nachher in den Parlamenten diskutiert werden, werden auf Katholikentagen vorgedacht. Ein Entwicklungshilfeministerium der Bundesrepublik gibt es nur, weil man auf den Katholikentagen lang vorher über Unterstützung von Menschen in Lateinamerika nachgedacht hat und weil es die Kollekten Adveniat und Misereor gibt. Das heißt: Die Regierung kupfert das ab, was die Katholiken vordenken."
    Für Spitzenpolitiker seien Auftritte in diesem Rahmen dankbare Termine, sagt Hans Maier, lange Jahre Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken.
    "Die kommen gern und haben ihr Publikum. Hier beim Katholikentag und auch beim Evangelischen Kirchentag sind sie mittendrin, können Kritik üben oder Zustimmung äußern. Die Politik hat ja ihr gesellschaftliches Vorfeld, dazu gehören Kirchen, Gewerkschaften und Verbände."
    Dass es den Katholikentag überhaupt bis heute gibt, war nach dem hitzigen Treffen 1968 in Essen nicht selbstverständlich.
    Manche hatten das Format in der Folge schon für tot erklärt. Waren auf dem Kölner Katholikentag 1956 noch bis zu 700.000 Menschen versammelt, so kamen 1970 in Trier zur Schlusskundgebung nur 16.000.
    Viele Laien resignierten in der ersten Hälfte der 1970er Jahre: Weil sich die Gesellschaft zwar veränderte, die Amtskirche aber nicht. Aber 1978 flammte die Hoffnung noch einmal auf – fast die Hälfte der Teilnehmer des Katholikentags in Freiburg waren Jugendliche.
    "Da traten zwei große Ordensgründer auf: Mutter Teresa und Roger Schutz von Taizé. Die geistliche Seite der Katholikentage wurde stärker, ohne dass das zu einer Entpolitisierung geführt hätte."
    Joseph Kardinal Ratzinger - der spätere Papst Benedikt XVI - zusammen mit Mutter Teresa auf dem Katholikentag 1978
    Joseph Kardinal Ratzinger zusammen mit Mutter Teresa auf dem Katholikentag 1978 (picture-alliance/ KNA)
    Ein knappes Jahr nach dem Deutschen Herbst, dem Höhepunkt des RAF-Terrors, war die Sicherheitslage angespannt, erinnert sich Hans Maier. Als ZdK-Präsident leitete er den Katholikentag.
    "Ich holte damals den Bundeskanzler Helmut Schmidt in Bremgarten im NATO-Flughafen ab und fuhr ihn nach Freiburg. Wir haben natürlich auch über Sicherheitsprobleme gesprochen. Zum Glück ist bei diesen Katholikentagen nie etwas passiert, aber der damalige Terrorismus hat uns schon sehr beschäftigt."
    Über die Bedeutung des Katholikentags
    Katholikentag – das sind nicht nur Debatten über politische und religiöse Fragen. Sondern auch ein umfangreiches Kulturprogramm: Klassische Konzerte, Geistlicher und weltlicher Rock und Pop, Lesungen, Theater, Kabarett.
    "Wenn ich denke an die Rahnerschen Kurzformeln des Glaubens: Wer soll die formulieren, wenn nicht Künstler und Schriftsteller? Wir sind so angewiesen im Zentralraum des Glaubens auf das Mitdenken der Poeten und der Künstler, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass Katholikentage nur von Politikern und Wirtschaftlern begleitet werden. Es gehören unbedingt auch die Künstler dazu."
    Was also ist der Katholikentag? Ein Festival mit Kleinkunst, neuer geistlicher Musik und großen Konzerten? Ein Treffen frommer Menschen, die ihren Glauben und sich selbst feiern? Oder: Selbstvergewisserung des politischen Katholizismus?
    "Im 19. Jahrhundert hat man vielleicht die innerkirchliche Diskussion zu sehr weggeschoben. Das war eine Art Arbeitsteilung mit der Bischofskonferenz: Wir, die katholischen Laien, sind für die Wirkung in der Öffentlichkeit da, ihr für den Glauben uns seine Auslegung. Das geht heute stärker ineinander: Gottesdienste, Gebet, Stille – das alles gehört zu einem Katholikentag dazu. Ebenso wie die Diskussionsforen und das Auftreten der führenden Politiker."
    Je nachdem, wen man fragt, halten manche die Katholikentage für zu spirituell und andere für zu debattenlastig. Kirchenhistoriker Wolf lehnt diese Unterscheidung ab.
    "Schließen sich eigentlich Spiritualität und Politisierung aus? Im Kontext der Friedensbewegung haben wir ja nochmal einen politischen Impetus. Aber muss sich das eigentlich ausschließen? Oder ist es nicht so – um Rahner zu zitieren: Je spiritueller wir sind, desto politischer müssen wir werden. Und je politischer wir sein wollen, desto spiritueller müssen wir sein."
    Eines allerdings vermisst auch Hubert Wolf in jüngerer Zeit: Dass von den Katholikentagen klare Botschaften ausgehen.
    Leitworte oft zu allgemein
    Mittlerweile ist das Programmheft so dick wie ein Buch. Jede noch so kleine christliche Initiative bekommt ihr Forum. Ein Supermarkt der Religion, lästern manche. Wenn aber irgendwie alles Katholikentag ist, verlieren Interessierte schnell den Überblick.
    Und die jeweiligen Leitworte sind meist so allgemein gehalten, dass sie sich in jede beliebige Richtung drehen und wenden lassen.
    "Aus der Geschichte heraus argumentiert, fände ich es gut, wenn da nicht nur so ein Motto drübersteht, unter dem man alles irgendwie. so. Sondern, nehmen wir ein Beispiel, wir haben gesehen, Europa ist in der Krise. Lass uns doch mal überlegen, ob wir uns nicht eine klare Resolution zu Europa auf die Fahnen schreiben. Man muss thematische Schwerpunkte bilden, die durchaus pluriform und kontrovers diskutiert werden können. Das Zentralkomitee erlässt immer wieder gut gemachte Texte, aber die verpuffen doch."
    Eine weitere Kritik lautet: In jüngerer Zeit hätten sich die Katholikentage zu sehr mit innerkirchlichen Fragen beschäftigt. Wie lässt sich in Zeiten von Priestermangel die Seelsorge organisieren? Was dürfen Laien in der Kirche? Wie geht man mit geschiedenen Wiederverheirateten um? Dabei seien Themen, die die ganze Gesellschaft betreffen, aus dem Fokus geraten.
    "Angesichts der desaströsen Situation in Europa muss mal gefragt werden, ob dieser Verfassungsstaat, dieses Verfassungs-Europa nicht eine Bluttransfusion von Werten braucht. Das war genau die Aufgabe der Katholikentage. Immer wieder in Erinnerung zu rufen: Hier geht es um Menschenwürde. Sich klarzumachen, dass hier eine Aufgabe ist, Werte dem Staat zur Verfügung zu stellen. Das fände ich schwierig, wenn die Katholikentage diese Dimension aus dem Blick verlieren würden."
    Ausgerechnet zum Jubiläum wird das Treffen in einem säkularen Umfeld stattfinden. Leipzig hat zwar wenige Katholiken, aber – wie die Katholikentage – viel Revolutionserfahrung.