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Zum 60. Todestag von Leo Lania
Der jüdische Reporter, der sich in den "Völkischen Beobachter" schleuste

Selten gelang es aus NS-Deutschland geflohenen Wissenschaftlern oder Künstlern, ihren Ruhm über das Exil hinweg zu retten. Einer war der österreichische Investigativ-Journalist und Schriftsteller Leo Lania, der sich nach dem Krieg eine neue Karriere aufbaute. Am 9. November 1961 starb er in München.

Von Beatrix Novy | 09.11.2021
"Der Völkische Beobachter", Zentralorgan der NSDAP titelte in der Ausgabe vom 31. Januar 1933 neben einem Seitenporträt Asdolf Hitlers: "Historischer Tag - SA marschiert durch das Brandenburger Tor
Verstand sich als "Kampfblatt des Nationalsozialismus': "Der Völkische Beobachter", Zentralorgan der NSDAP - hier die Ausgabe vom 31. Januar 1933 (picture alliance / AP Photo )
In den 20er-Jahren war Leo Lania - wie sein Kollege Egon Erwin Kisch, aber ohne dessen Nachruhm - als internationaler Journalist unterwegs, berichtete aus Italien, Ungarn, Griechenland, war verankert im Kulturleben der Weimarer Republik und früher Multimedia-Jongleur. Er arbeitete mit Erwin Piscator, Fritz Kortner, mit Bertolt Brecht und dem linken Medienunternehmer Münzenberg. Aber als er, nach Krieg, Emigration und Rückkehr, am 9. November 1961 in München starb, war diese Karriere so gut wie vergessen.
Lazar Herman, später Leo Lania, wurde 1896 in der Ukraine geboren, wuchs in Wien auf und ins reiche Kulturleben des Fin de Siècle hinein. Seinen künstlerischen Ambitionen kam der Erste Weltkrieg in die Quere; er meldete sich freiwillig, weil alle das taten. Etwaige Begeisterung verlor sich schnell - so wie beim jungen Leutnant Kurt Rosenberg in Lanias zeithistorischem Roman "Land im Zwielicht".
"Als Rosenberg zu sich kam, wusste er nicht, ob er noch lebte. Er griff sich ins Gesicht und sah, dass seine Hand voll Blut und irgendeiner klebrigen, gelben Masse war. Mein Schädel ist offen, dachte er."
"Das ist vielleicht auch das Wesentliche dieser Kriegserfahrung, dass Lania den Dingen hinterher auf den Grund gehen wollte: wie kam es zu dieser Katastrophe des Weltkriegs, was sind die größeren Triebkräfte dieses Krieges, und daher das große Interesse am Journalismus."

Dem Hugenberg-Konzern bot Lania die Stirn

Sagt Lanias Biograf, der Historiker Michael Schwaiger. Lania erprobte seinen analytisch - parteiischen Journalismus nach dem Krieg zunächst bei den Kommunisten, aber schnell stieß ihn der inhumane Charakter des Parteiapparats ab. 1921 verließ er die Redaktion der "Roten Fahne", gründete, nunmehr in Berlin, gegen den mächtigen Hugenberg-Konzern eine unabhängige Nachrichtenagentur, schrieb selbst - Sachbücher, Romane – entdeckte den Dokumentarfilm und drehte wirtschaftspolitisch grundierte Spielfilme.

Bis heute garantiert die "Lex Lania" den Schutz journalistischer Quellen

Lanias investigative Recherchen waren mitunter republikerschütternd. Er verfolgte die Wege verbotener Kriegswaffen in die Hände rechter Verschwörer. Sein Buch "Gewehre auf Reisen" wurde ein Bestseller. Juristisch blieb die Sache folgenlos, außer für Lania. Immerhin brachte seine Weigerung, Informanten zu benennen, das bis heute geltende Gesetz auf den Weg, das Journalisten den Schutz ihrer Quellen garantiert: "Lex Lania".

Undercover beim "Völkischen Beobachter"

Lanias in der Habsburger Monarchie erworbene Sprachkenntnisse ermöglichten ihm einen unerhörten Coup. Als interessierter italienischer Faschist schmuggelte er sich beim NS-Parteiblatt "Völkischer Beobachter" ein. Das sei ihm derart gut gelungen, sagt Michael Schwaiger, dass sie ihm sogar einen Dolmetscher beigegeben haben.
Was für ein herrlicher Stoff für eine Komödie. Dass Nazis einen ukrainischen Juden für einen Bruder im Geiste gehalten hatten, diese Demütigung wurde Lania nicht vergessen, ebenso wenig wie seine Berichterstattung zum Prozess gegen Adolf Hitler und Erich Ludendorff im Jahr 1924. Sie bewies, dass ein Putschversuch gegen die junge Republik dem Ansehen eines Weltkrieg-Generals nicht schaden konnte:
"Als seine Exzellenz Ludendorff in einem Privatauto vor der Infanterieschule - dem Gerichtsgebäude - vorfuhr, stand die Wache stramm. Das wiederholt sich nun täglich. Wenn die hohen Angeklagten den Saal betreten oder ihn verlassen, hallt das Zusammenschlagen der Hacken durch die Korridore."

Die Vergeltung des "Völkischen Beobachter"

1933, nach der "Machtergreifung", erschien im "Völkischen Beobachter" die Ankündigung: "Der Jüdische Krieg beginnt". Doch tatsächlich, so Michael Schwaiger, war es so, dass der Artikel natürlich auch die Repressalien gegen die Juden in Deutschland einleitet. Aber interessanterweise geht’s in dem Artikel nur um eine einzige Person, um Leo Lania.

Leo Lanias  Masaryk-Biografie: "Der Außenminister" - Zerrieben zwischen Faschismus und Kommunismus
Der Tod des tschechoslowakischen Außenministers Jan Masaryk im März 1948 gilt als dritter Prager Fenstersturz. Das tragische Ereignis ist tief verwurzelt in der europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Leo Lanias Roman schildert die Hintergründe, ohne Schlüsselroman sein zu wollen.

Der hatte sich schon nach Frankreich gerettet. Über tausend Umwege schaffte er es 1940 mit Frau und Sohn in die USA, wo er zu seinem Glück auf eine interessierte Öffentlichkeit stieß. Schließlich hatte er einst Hitler persönlich kennengelernt - damals beim "Völkischen Beobachter".
Berlin Mitte, Unter den Linden mit Blick auf das Hotel Bristol Berlin centre under the Linden with Glance on the Hotel Bristol
Michael Schwaiger: "Hinter der Fassade der Wirklichkeit" - Leo Lania - publizistischer Tausendsassa
Journalist, Schriftsteller und Drehbuchautor: Leo Lania gehörte in der Weimarer Republik zu den schillerndsten Figuren des kulturellen Lebens. Seine investigativen Reportagen sorgten für Aufregung. Michael Schwaiger hat mit "Hinter der Fassade der Wirklichkeit" eine Monografie des schon zu Lebzeiten Vergessen vorgelegt.

Leo Lania starb 1961 in München. Dorthin war er sechs Jahre zuvor übersiedelt und hatte weiter geschrieben - unter anderem eine Autobiografie für Willy Brandt.