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Zum Prozess-Auftakt gegen den irakischen Ex-Diktator Saddam Hussein

Nach dem offiziellen Kriegsende hatte es sieben Monate gedauert, bis der von George W. Bush zum Inbegriff des Bösen stilisierte ehemalige Herrscher im Irak, Saddam Hussein, gefangen genommen werden konnte. Fast genau sechzig Jahre nach den Kriegsverbrecherprozessen von Nürnberg beginnt nun das Verfahren gegen Saddam. Das Sondertribunal wird aber nicht nur Saddam, sondern auch sieben andere Mandatsträger seines Regimes aburteilen.

Von Brigitte Baetz | 18.10.2005
    "Ladies and Gentlemen, we got him."

    Am 13. Dezember 2003 wurde Saddam Hussein aus einem Erdloch in einem kleinen Bauernhof bei Tikrit gezogen. Ein beschämendes Ende für den selbsternannten Nachfolger eines Sultan Saladin. Für Paul Bremer, damals Zivilverwalter im Irak, und die gesamte US-Regierung eine Stunde des Triumphes. Dabei trug die "Operation Morgenröte", wie die Festnahme im amerikanischen Militärjargon genannt wurde, durchaus Züge einer Groteske. 600 Soldaten waren aufgeboten worden, um den verwirrten, grau und ungepflegt wirkenden Ex-Diktator aus seinem Versteck zu holen. Unter anderem waren eine Staffel Jagdflugzeuge und mehrere Eliteeinheiten im Einsatz.

    Nach dem offiziellen Kriegsende hatte es sieben Monate gedauert, bis der von George W. Bush zum Inbegriff des Bösen stilisierte Herrscher gefangen genommen werden konnte. Untergrundkommandos seiner Anhänger griffen immer wieder US-Truppen an, das Netzwerk des alten Baath-Regimes schien immer noch zu funktionieren. Saddams Ende als freier Mann konnte da nicht ernüchternder sein. Vor laufender Kamera wurde er von einem US-Militärarzt untersucht und wirkte wie ein apathischer Obdachloser, der die erniedrigende Zeremonie verschüchtert über sich ergehen ließ.

    "Das ist ein großer Tag in der irakischen Geschichte. Jahrzehntelang haben Hunderttausende von Ihnen unter diesem grausamen Mann gelitten. Jahrzehntelang hat Saddam Hussein Sie, die Bürger, gegeneinander ausgespielt. Jahrzehntelang hat er ihre Nachbarn bedroht und angegriffen. Jene Tage sind für immer vorbei. Jetzt ist es an der Zeit, den Blick auf die Zukunft zu richten, auf ihre Zukunft der Hoffnung und eine Zukunft der Versöhnung."

    Die spontanen Feiern, die in Bagdad nach der Bekanntgabe von Paul Bremer stattfanden, zeigten, wie sehr viele Iraker selbst unter der Unsicherheit über Saddams Schicksal gelitten hatten. Solange der egomane Gewaltherrscher auf freiem Fuß war, wagten die Gegner seines Regimes trotz der amerikanischen Militärpräsenz nicht aufzuatmen. Die Angst vor Saddam Hussein war nicht unbegründet, sein Ruf war nie schlimmer als die Realität seines Handelns.

    Mit Fug und Recht lässt sich sagen: Saddam Hussein gehörte zu den größten Despoten der vergangenen Jahrzehnte. Auch die Gegner des letzten Irakkrieges wurden nicht müde, dies immer wieder zu betonen. Der Irre von Bagdad, der Schlächter, der Größenwahnsinnige – die Liste seiner unschmeichelhaften Beinamen ließe sich beliebig fortsetzen. Sein Zynismus zeigte sich beispielsweise für die Weltöffentlichkeit kurz vor Ausbruch des Zweiten Golfkrieges im Jahr 1991, als er vor laufenden Kameras einem kleinen Jungen den Kopf tätschelte, dessen Eltern er als Geiseln genommen hatte. Auch sein eigenes Volk schonte er nicht:

    "Der Feind steht jetzt fest auf dem heiligen irakischen Boden, der beschützt wird von seinem Volk und seiner Armee, die ihm, dem Feind, mit Härte und Präzision entgegen treten. Ihr Iraker trefft ihn mit der Seele und der Härte des Heiligen Krieges. Macht ihn müde, so dass er unfähig wird, weitere Verbrechen gegen Euch zu verüben und gegen die Menschlichkeit."

    Als Saddam seine Durchhalteparolen Ende März 2003 über das staatliche Fernsehen verbreiten ließ, war längst klar, dass die Zeit seines Regimes abgelaufen war. Der Wille, dabei im Zweifel sein ganzes Volk mit in den Untergang zu reißen, passt in die Vita eines Mannes, die von Kindesbeinen an von Gewalt geprägt war.

    Im Alter von 19 Jahren beging er für seinen Onkel den ersten Auftragsmord. Kurz nach seiner Amtsübernahme als irakischer Präsident ließ er 1979 alle Rivalen in Partei und Regierung hinrichten. Im eigenen Land bombardierte er kurdische Dörfer mit Giftgas. Seine Soldaten schickte er ohne mit der Wimper zu zucken in einen sinnlosen Krieg mit dem Iran, in dem mindestens eine halbe Million Menschen den Tod fanden. Gefolgsleute und Verwandte, die es wagten, gegen seinen autoritären Führungsstil aufzubegehren, bezahlten dafür mit dem Leben. Er überfiel Kuwait und nahm, wie auch zwölf Jahre später, einen Krieg mit den USA in Kauf. Zynisch stilisierte er sich kurz vor dem Ende zum Opfer, seinen Kampf gegen Amerika zur Sache der arabischen Welt.

    "Die Politik unseres Landes ist, das Böse zu verhindern. Doch wenn das Böse zu uns kommt, mit seinen zerstörerischen Waffen, dann müssen wir uns in den Heiligen Krieg begeben und glauben. Das wird uns mit Stolz erfüllen und Gott gefallen."

    Es mag merkwürdig klingen: aber trotz der von ihm mit verursachten Kette der Gewalt war Saddam Hussein lange Zeit für viele Menschen im Irak und in anderen arabischen Ländern eine Art Hoffnungsträger. Man liebte und verehrte ihn wie einen Popstar. Die Händler im Souk von Amman boten Uhren mit seinem Porträt zum Kauf an. Und selbst den frustrierten Jugendlichen im weit entfernten Marokko schien sein Name Erlösung zu verheißen. Dass ihr Idol Designeranzüge trägt, Havannas raucht und seine Schuhe in Italien fertigen lässt, würde sie auch nicht stören, wenn sie es denn wüssten. Saddam, Saddam – diesen Ruf hörte man 1990 von Casablanca bis Ramallah. Saddam Hussein war in den Augen der Hoffnungslosen der einzige arabische Herrscher, der es im Zweiten Golfkrieg gewagt hatte, offen gegen die verhasste Supermacht USA und ihren Verbündeten Israel aufzubegehren. Für viele der sich latent gedemütigt fühlenden Araber ein Grund, über alle seine Schandtaten und Menschenrechtsverletzungen hinweg zu sehen.

    Bis zu Husseins blutigem Kuwait- Abenteuer hatten auch die USA und die meisten europäischen Staaten zur Seite geschaut. Sie wollten den Terror, mit dem der Herrscher am Tigris jegliche Opposition erstickte, lieber nicht an die große Glocke hängen. Denn hatte Hussein nicht auch Erfolge vorzuweisen: die Reform des Bildungswesens zum Beispiel, die Förderung der Frauenarbeit, die Förderung der Wissenschaft? Und: Seine schlagkräftige Armee konnte als Bollwerk gegen das iranische Regime der Mullahs dienen. Ayatollah Khomeini hieß schließlich in den 80er Jahren der orientalische Bösewicht Nummer eins.

    Nach offizieller Darstellung kam Saddam Hussein am am 28. April 1937 in Tikrit zur Welt. In Wirklichkeit jedoch wurde er nicht in der Heimatstadt Sultan Saladins, sondern in einem kleinen Dörfchen in einfachen, ja ärmlichen Verhältnissen geboren. Das Elternhaus bestand aus Schlammziegeln, es gab kein fließendes Wasser und keinen elektrischen Strom. Der Vater hatte eine Cousine geheiratet, um nach arabischer Sitte den Zusammenhalt des Clans zu stärken, machte sich aber gleich nach der Geburt des Jungen aus dem Staub. Der Stiefvater verprügelte ihn und auch der junge Saddam lernte, dass Gewalt ein probates Mittel sein kann, um die eigenen Interessen durch zu setzen. Schon als Junge verschaffte er sich mit Aggressivität Respekt, in die Schule nahm er eine Pistole mit. Er war "ein Sohn der Gassen", wie die Araber Straßenjungen nennen, die mit kleinen Diebstählen und Schwarzhandel ihre Existenz sichern.

    Zur Politik kam Saddam durch einen Onkel, der ihn in seine Obhut nahm und nach Bagdad brachte. Khairallah Tulfah war im Gefängnis gewesen, weil er sich gegen die britischen Oberherrn im Irak aufgelehnt hatte. Zudem hatte er an einem fehlgeschlagenen Attentat auf den Haschemitenkönig Feisal II. teilgenommen. Saddam lernte, dass politische Macht im Irak nicht durch Wahlen, sondern durch Usurpation erlangt wird: das Königtum wurde durch eine Militärdiktatur abgelöst, dieses wiederum durch das Regime der Baath-Partei. Diese war 1947 in Damaskus gegründet worden mit dem Ziel, die arabische Welt von allen Formen der Fremdherrschaft zu befreien und sie politisch wie wirtschaftlich zu einen.

    Dabei waren weder die Baath-Partei noch Saddam Hussein selbst dem Islam besonders zugetan. Die Baath- zu deutsch: Wiedererweckungs- Bewegung ist eigentlich sozialistischen Idealen verpflichtet. In den beiden Ländern, in denen sie an die Regierung kam, in Syrien und im Irak, ist sie bald nur jedoch noch ein Machtinstrument.

    Auf dem Rücken dieser Partei wird Saddam Hussein zum Herrscher über Euphrat und Tigris. Empfohlen hatte er sich durch die Teilnahme an einem Attentat auf den Militärdiktator Kassem. Unter dem Staats- und Parteichef Hassan al-Bakr beginnt sein Aufstieg.

    1979 löst Saddam den erkrankten al-Bakr als Staats- und Regierungschef, Baath-Generalsekretär und Oberbefehlshaber der Streitkräfte ab. Al-Bakr wird zu den wenigen Rivalen gehören, die er nicht zu liquidieren wagt. Denn kurz nach seiner Amtsübernahme macht er kurzen Prozess. Bei einer Sitzung vor laufender Fernsehkamera lässt er zahlreiche Genossen und Regierungsmitglieder abführen, die sofort hingerichtet werden. Nachdem seine Opfer den Saal verlassen haben, vergießt er – noch vor laufender Kamera – ein paar Tränen.

    Innerhalb kürzester Zeit baut Saddam Hussein, der Stalin als eines seiner Vorbilder nennt, den Irak zum totalen Überwachungsstaat aus. Den Parteiapparat, die Geheimdienste und die Armee hält er mit einem System gegenseitiger Bespitzelung und regelmäßigen blutigen Säuberungswellen in Schach. Schlüsselpositionen in Armee, Geheimdiensten und Regierung besetzt er zum Teil mit nahen Verwandten. Die Kultur der Gewalt zielt aber bald nicht nur nach innen.

    1980 greift der Irak den Iran an. Anlass: ein kleiner Streifen Land um den Shatt al Arab. Acht Jahre wird dieser Feldzug dauern, bald bekannt als Erster Golfkrieg. Die Golfstaaten unterstützen Saddam Hussein mit viel Geld, hoffen sie doch, dass er ein Bollwerk bilden könnte gegen die Islamische Revolution. Ähnliche Motive hat der amerikanische Geheimdienst, der die irakische Armee mit Satellitenbildern von der Front versorgt. Unruhen in den nordirakischen Kurdengebieten schlägt Saddam unterdessen mit Giftgaseinsätzen nieder. 1988 gelingt es Saddam Hussein, den verlustreichen Krieg gegen den Iran als halber Sieger zu beenden – zumindest, was das gewonnene Territorium betrifft. Am 20. August wird der Waffenstillstand verkündet, ein Friedensvertrag wird nicht geschlossen. Saddam ist empört, das man ihm nun nicht die Führungsrolle in der arabischen Welt andient. Hat er nicht heroisch die Region gegen den islamischen Revolutionsexport verteidigt? Doch es kommt alles anders. Als der amerikanische Iran-Contra-Skandal aufgedeckt wird, erfährt Saddam, dass die USA hinter seinem Rücken auch das Regime der Mullahs mit Waffen versorgt haben.

    Das alles ließ die westliche Öffentlichkeit relativ unbeeindruckt. Der Golf schien den meisten Europäern weit entfernt. Doch das sollte sich bald ändern. Das Verhältnis zwischen Saddam und den Golfstaaten verschlechtert sich. Letztere bestehen nämlich auf Teilrückzahlung des Geldes, das sie Saddam für seinen Feldzug gegen den Iran gegeben haben. Saddam gerät damit in eine Zwickmühle: Er hatte seinem Volk nach den Entbehrungen des Krieges einen wirtschaftlichen Aufschwung versprochen, der nun an der Schuldenlast zu scheitern droht. Im Sommer 1990, nach einem monatelangen Streit zwischen Kuwait, den Vereinigten Arabischen Emiraten und dem Irak über Ölförderquoten, kommt es zum Bruch. Unter dem Vorwand, eine Revolution im Nachbarland unterstützen zu wollen, erklärt Saddam das reiche Emirat kurzerhand zur irakischen Provinz.

    Die Weltöffentlichkeit ist empört. Vertreter der Vereinten Nationen und eine ganze Reihe von Vermittlern unternehmen viel, um die Situation zu entschärfen. Doch Saddam ignoriert eine UNO-Resolution nach der anderen, damals vor allem auch deswegen, weil er die amerikanische Entschlossenheit unterschätzt. Die USA lassen nicht mit sich handeln und bieten dem Provokateur in Bagdad nicht die Möglichkeit, sich ohne Gesichtsverlust aus dem Emirat am Golf zurück zu ziehen. Saddam versucht noch, die Kuwait-Frage mit dem Palästinenser-Problem zu verquicken, doch mehr als die Unterstützung der arabischen Massen und der völlig machtlosen PLO bringt ihm das nicht. Die meisten arabischen Staaten schließen sich der von den USA geführten und von der UN abgesegneten Anti-Irak-Allianz an, auch die wichtigen Regionalmächte Syrien und Ägypten.

    "There is no way Iraq can win."

    Präsident George Bush Sen. sollte Recht behalten: die Niederlage Saddams ist total. Eine Bodenoffensive zwingt die irakischen Truppen zum Abzug aus Kuwait. Der Irak erkennt alle UNO-Resolutionen an, unter anderem die Zahlung von Reparationen und den Verzicht auf ABC-Waffen.

    Doch der Macht- und Militärapparat Saddams bleibt voll funktionsfähig. Auch die anschließenden Aufstände der schiitischen Minderheit im Süden und der Kurden im Norden des Landes stürzen den Machtpolitiker nicht vom Sockel. Mit brutaler Gewalt geht er gegen die Aufständischen vor. Vergebens hoffen vor allem die Kurden auf den militärischen Beistand durch die USA. Zur Kontrolle des Diktators beschließt der UN-Sicherheitsrat eine ständige Überwachung der irakischen Rüstungsindustrie. Da Bagdad aber immer wieder versucht, die Inspektoren hinters Licht zu führen, erhöhen die Vereinten Nationen den Druck. Strenge Wirtschaftssanktionen werfen das Land um Jahre zurück. Die Kindersterblichkeit steigt, Krankenhäuser können nicht mehr arbeiten. Schulen und Fabriken verfallen. Der Mittelstand muss sein Hab und Gut verkaufen, um genügend zu essen zu haben. Eine halbe Million Iraker kommt infolge der Sanktionen ums Leben. Die Inflationsrate beträgt zeitweilig 6000 Prozent. Immer wieder bombardieren Briten und Amerikaner die beiden Flugverbotszonen des Landes.

    Zu Aufständen kommt es nur noch gelegentlich. Die Angst vor den allgegenwärtigen Geheimdienstspitzeln ist groß, denn jedes irakische Kind weiß, dass Saddam mit jedem kurzen Prozess macht, der auch nur eine Spur von Kritik äußert. Schließlich werden Hinrichtungen von Regime-Gegnern hin und wieder auch im Fernsehen übertragen.

    Der Herrscher von Bagdad sah sich gern als Führer der arabischen Welt. Man musste wohl kein Psychologe sein, um vorherzusehen, dass der Aufsteiger aus kleinsten Verhältnissen nie und nimmer den amerikanischen Ultimaten nachgeben würde, die zum Ziel hatten, ihn aus dem Irak zu vertreiben. Schließlich waren es auch die Amerikaner gewesen, die das Land als Bollwerk in den achtziger Jahren gegen den Iran aufgerüstet hatten. Lange Jahre hatte man ihn umworben. Nun, und spätestens nach dem Anschlag des 11.September 2001, bei dem ihm keine Mitverantwortung nachgewiesen werden konnte, wollten ihn die USA entmachten. Vordergründig hatte Saddam für die innerarabische Propaganda damit ein Faustpfand in der Hand. Denn er konnte sich als Opfer präsentieren.

    "Ich sage, wir haben immer eine positive Antwort gegeben, selbst zu illegalen und unfairen Forderungen der bösen Menschen. In der Hoffnung, dass die Welt aufwachen würde, um das UNO-Embargo aufzuheben, das unserem Volk auferlegt wurde und das Böse des Krieges zu verhindern. Nachdem sie keine Ausreden mehr hatten, kamen sie als Aggressoren, die Fratze des Bösen zeigend, die wir schon vorher von ihnen kannten."

    Wie gefährlich war Saddam wirklich? So recht konnten die USA den Rest der Welt nicht von einer irakischen Aufrüstung auf dem Gebiet der ABC-Waffen überzeugen. Doch klar ist: Der Diktator war zumindest in der Hinsicht unberechenbar, wie es ein von Geltungsdrang beherrschter Machtmensch, der nur noch von Schmeichlern umgeben ist, nur sein kann.

    Nach seiner Verhaftung herrschte zunächst fast siebzehn Monate lang Schweigen über das, was ein Prozess gegen Saddam bringen werde, Schweigen auch über die Behandlung des Angeklagten. Ersteres erklärt sich teilweise mit den schwierigen und lang dauernden Ermittlungen im Hinblick auf die Anklagepunkte Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Zum anderen befindet sich der Irak immer noch de facto im Zustand des Bürgerkrieges. Fast geriet die Person durch die unklare Zukunft des Irak in Vergessenheit.

    Morgen, fast genau sechzig Jahre nach den Kriegsverbrecherprozessen von Nürnberg, beginnt nun endlich das Verfahren gegen Saddam. Allerdings soll es kein internationaler Gerichtshof sein, sondern die Iraker selbst sollen ihren ehemaligen Diktator richten, so Präsident George W. Bush, schließlich waren sie es auch, die unter ihm zu leiden hatten.

    Die USA wollen allerdings die Rechtmäßigkeit des Verfahrens überwachen. Das Sondertribunal wurde schon drei Tage vor Saddams Festnahme einberufen und soll nicht nur Saddam, sondern auch sieben andere Mandatsträger seines Regimes aburteilen. Die Aussage von George W. Bush, nach seiner Ansicht verdiene Saddam die Todesstrafe, sollte also die Richter nicht beeinflussen – zumindest offiziell. Ob die irakischen Richter, deren Identität geheim gehalten wird, die Erfahrung und die Unabhängigkeit besitzen, ein nach westlichen Kriterien einwandfreies Urteil zu fällen, wird sich noch zeigen.

    Um den Prozess möglichst rasch voranzutreiben, wird Saddam wegen eines Massakers von 1982 in der schiitischen Ortschaft Dudschail angeklagt. Ein vergleichsweise "kleiner" Vorfall in 23 Jahren der Gewaltherrschaft und der Kriegstreiberei. Die Tötung von 150 Einwohnern war die Vergeltung für ein gescheitertes Attentat auf Saddam durch Anhänger der schiitischen Dawa-Partei gewesen. Rund 1.500 Menschen wurden damals zudem festgenommen und teilweise gefoltert. Die jüngsten Opfer waren dreizehn Jahre alt. Für die internationale Öffentlichkeit war das Ereignis damals höchstens eine Randnotiz. Saddam Hussein hat sich, was niemanden wundern dürfte, für unschuldig erklärt und erkennt zudem die Rechtmäßigkeit des Verfahrens nicht an.

    Heute ist die Dawa-Partei Teil der irakischen Regierung, Ministerpräsident Ibrahim al Dschaafari ist eines ihrer Mitglieder. Kein Wunder also, dass die Sunniten den Prozess mit Argwohn betrachten. Ihre Führer werfen der Regierung vor, ihn zu instrumentalisieren, um die Schiiten für die Parlamentswahl im Dezember zu mobilisieren. Auch steht der Vorwurf im Raum, es gehe der Regierung vor allem um die Begleichung alter Rechnungen und weniger um Gerechtigkeit. Sollten die Sunniten den Prozess nicht als fair betrachten, dann könnte er die Probleme im Irak noch verschärfen, statt zu ihrer Lösung beizutragen.