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Zum Prozessauftakt
Der Entführungsfall des Vietnamesen Tschinn Suang Tann

Mitten am Tag, mitten in Berlin: Ein vietnamesischer Geschäftsmann wird im Sommer entführt, ins Ausland geschafft und steht ab heute in Vietnam vor Gericht. Korruption und Misswirtschaft lautet die Anklage - doch vieles deutet auf andere Gründe hin. Die Regierung scheint Insider mundtot machen zu wollen.

Von Daniela Siebert | 08.01.2018
    Trinh Xuan Thanh, ein Geschäftsmann und ehemaliger Funktionär von Vietnams Kommunistischer Partei (KP), sitzt in Berlin auf einer Parkbank (undatierte Aufnahme).
    Tschinn Suang Tann (Trinh Xuan Thanh), ein Geschäftsmann und ehemaliger Funktionär von Vietnams Kommunistischer Partei (KP), droht vor Gericht die Todesstrafe (dpa)
    Es geschah am 23. Juli 2017. Am hellichten Tag. Vormittags in einem großen öffentlichen Park mitten in der Stadt: im Tiergarten. Der Vietnamese Tschinn Suang Tann (Trinh Xuan Thanh) ging dort mit einer jungen Frau spazieren. Seiner Geliebten, einem Lockvogel des vietnamesischen Geheimdienstes - wie es später hieß. Plötzlich stürzen mehrere Personen auf die beiden los und zerren sie in ein Fahrzeug, das schnell davonrast.
    Korruptionsvorwurf nur vordergründig
    Vermutlich hätte dieser Fall nie solche Schlagzeilen gemacht, wenn es nicht Augenzeugen gegeben hätte. Andere Passanten im Park beobachteten die Entführung und schalteten die Berliner Polizei ein. Schon wenige Tage später wurde klar: Der 52-jährige Tann, in seiner Heimat auch TXT genannt, war illegal außer Landes gebracht worden. Denn das vietnamesische Fernsehen präsentierte ihn vor laufenden Kameras mit einer Art Schuldeingeständnis.
    Die vietnamesische Regierung wirft Tann vor, in seiner früheren Funktion als Manager einer Tochterfirma des staatlichen Ölkonzerns PetroVietnam durch Schmiergeld und Unterschlagung an eine Summe von 125 Millionen Euro gelangt zu sein.
    Gerhard Will hat sich bei der Stiftung Wissenschaft und Politik jahrelang intensiv mit Vietnam befasst. Er glaubt, Tschinn Suang Tann sei sowohl Opfer als auch Täter in dieser Geschichte. Unter anderem, weil er einem entmachteten Flügel der kommunistischen Regierungspartei angehört. Es gehe nicht - wie offiziell behauptet - um Korruptionsbekämpfung.
    "Ich würde sagen: Der war korrupt wie viele andere auch, er hat wie viele andere eben auch Geld beiseite geschafft, hat sich seines Amtes bedient, um noch mehr Ressourcen an sich zu reißen, insofern ist er sicher kein unbeschriebenes Blatt. Aber bei der Auseinandersetzung, die jetzt hier ansteht, geht es eben nicht um Korruption gegen ordentliche Staatsführung, sondern es geht um eine Fraktion und deren Zugang zu Ressourcen gegen eine andere Fraktion und deren Zugang zu Ressourcen."
    Verstoß gegen deutsches Recht hat Konsequenzen
    2016, kurz nach der Entmachtung seines eigenen Parteiflügels, war Tschinn Suang Tann nach Deutschland gekommen und hatte hier Asyl beantragt.
    Dass er offenkundig im Auftrag der vietnamesischen Regierung auf deutschem Boden entführt und ins Ausland verschleppt wurde, rief daher bei der deutschen Regierung Empörung hervor. Außenminister Gabriel drohte, das seien Methoden "wie in finsteren Filmen über den Kalten Krieg", die man nicht dulden werde. Sein Sprecher Martin Schäfer formulierte ebenfalls pointiert:
    "Die Entführung des vietnamesischen Staatsangehörigen Trinh Xuan Thanh auf deutschem Boden ist ein präzedenzloser und eklatanter Verstoß gegen deutsches Recht und gegen das Völkerrecht."
    Und sie hatte für das deutsch-vietnamesische Verhältnis gravierende Konsequenzen. Der Botschafter wurde einbestellt, ein anderer Diplomat und der höchste vietnamesische Geheimdienstvertreter in Deutschland wurden des Landes verwiesen. Deutschland setzte seine strategische Partnerschaft mit Vietnam aus und reduzierte die Entwicklungszusammenarbeit.
    Die Konrad-Adenauer-Stiftung hat selbst eine Repräsentanz in Vietnam, in einem Bericht zu dem Fall gibt sie diese Einschätzung:
    "Es stellt sich die Frage, warum Vietnam die im Grunde genommen pragmatische bis gute Beziehung zu Deutschland durch solch ein provokatives Handeln riskieren sollte. Vermutlich spielt dabei eine Rolle, dass Vietnam eine solch heftige Reaktion Deutschlands nicht erwartet hatte und den Schaden, den die deutsch-vietnamesischen Beziehungen nun zu erleiden drohen, unterschätzt hatte."
    Kein rechtsstaatliches Verfahren erwartet
    Heute beginnt in Vietnam der Prozess gegen Tschinn Suang Tann. Die Konrad-Adenauer-Stiftung hegt dazu diese Erwartung:
    "Das Strafmaß könnte nach Ermessen des Gerichts auch reduziert werden, da sich TXT nach vietnamesischer Version ja freiwillig gestellt hat. Grundsätzlich sollte der Prozess nach den allgemeinen Strafprozessregeln Vietnams durchgeführt werden, das heißt öffentlich, in zwei Instanzen, mit Anwaltszwang."
    Die Berliner Rechtsanwältin Petra Isabel Schlagenhauf vertritt TXT in Deutschland. Sie rechnet nicht mit einem irgendwie rechtsstaatlichen Verfahren für ihren Mandanten in Vietnam. Ob ihm - wie vielfach befürchtet - die Todesstrafe drohe, sei unklar, ausschließen will sie das nicht. Tschinn Suang Tann bestreite die strafrechtlichen Vorwürfe, die ihm gemacht werden.
    Entführung eine "ungeheuerliche kriminelle Aktion"
    Die Juristin verurteilt die Prozedur, durch die Tschinn Suang Tann überhaupt in einem vietnamesischen Gerichtssaal landen konnte.
    "Ich gehe davon aus, dass die Entführung von oberster Stelle angeordnet worden ist, das heißt, vom Generalsekretär der kommunistischen Partei Vietnams. Das ist eine ungeheuerliche kriminelle Aktion gewesen, das war ein vietnamesisches Kommando, die meinen Mandanten entführt hat. Unter Verstoß gegen nationales Recht, gegen Völkerrecht, und unglaublich. Das wäre in einem tatsächlichen Rechtsstaat ein Verfahrenshindernis, um überhaupt gegen meine Mandanten zu verhandeln."
    Vietnamesische Regierung will Insider mundtot machen
    Mittlerweile gibt es in der Geschichte aber noch einen zweiten Protagonisten, der ebenfalls Opfer UND Täter sein könnte: der Vietnamese Fang Wang An Wu (Phan Van Anh Vu). Der 42-jährige ist Oberstleutnant der vietnamesischen Geheimpolizei und hielt sich bis vor kurzem in Singapur auf. Von dort aus bemühte er sich um ein Visum, um nach Deutschland einreisen zu können. Das ist insofern brisant, als er in die Entführung Tanns involviert gewesen sein soll und angekündigt hatte, hier in Deutschland der Polizei Informationen zu dem Fall geben zu wollen.
    Doch daraus wurde nichts, bei einem Grenzübertritt nach Malaysia wurde er vor wenigen Tagen festgenommen und an Vietnam ausgeliefert, wo man ihm den Verrat von Staatsgeheimnissen vorwirft.
    Vietnam-Experte Gerhard Will glaubt, ein verbindendes Motiv bei beiden Fällen Tschinn Suang Tann und Fang Wang An Wu sei das Anliegen der vietnamesischen Regierung, zwei Insider mundtot zu machen. Schließlich sei die Geschichte auch für den vietnamesischen Geheimdienst außergewöhnlich:
    "Das ist schon was Besonderes. Also ich wüsste nicht vergleichbare Fälle, wo das gemacht worden ist, ich würde auch mal vermuten, dass es hier nicht nur um die Ausschaltung eines Gegners geht, sondern es geht eigentlich auch darum, dass man eben nicht will, dass Herr Thanh oder Herr Vu, dass die einfach Interna ausplaudern. Denn die wissen natürlich auch genau, wie viel Leute auf die Seite geschafft haben, die jetzt eben in der Führung sitzen. Ich glaube, das ist das eigentliche Ziel, das soll nicht nach außen kommen."
    Bundesanwaltschaft übernimmt Ermittlungen
    Die beiden Fälle Tschinn Suang Tann und Fang Wang An Wu haben bei den deutschen Behörden und Regierungsstellen mittlerweile zu größter Verschwiegenheit geführt.
    Sicher ist: im Fall Tann hat im August die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen übernommen. Ein an der Entführung beteiligter Vietnamese konnte kurz darauf aus Tschechien nach Deutschland ausgeliefert werden. Der 46-Jährige sitzt derzeit in Untersuchungshaft. Die Bundesanwälte werfen ihm geheimdienstliche Agententätigkeit und Beihilfe zur Freiheitsberaubung vor, weil er das Tatfahrzeug organisiert haben soll, in das Tann und seine Begleiterin gezerrt wurden.
    Deutsche Botschaft beobachtet Prozess
    Vorerst spielt die Musik - auch juristisch - aber in Vietnam: Nach Deutschlandfunk-Informationen konnte das Auswärtige Amt in den letzten zwei Tagen doch noch den Ausschluss ausländischer Beobachter im Gerichtssaal aufweichen - sodass Mitarbeiter der deutschen Botschaft als Zuschauer den Prozess gegen Tschinn Suang Tann beobachten werden, der heute beginnt.