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Zum Tod der US-Schriftstellerin Toni Morrison
Eine Frage der Hautfarbe

Als einzige schwarze Frau bekam sie den Literaturnobelpreis: Die US-Autorin Toni Morrison widmete ihr Leben dem Schreiben gegen den Rassismus in den USA. In ihren Romanen schilderte sie Erfahrungen, die bis dahin nicht gehört worden waren. Nun ist sie im Alter von 88 Jahren gestorben.

Von Mithu Sanyal | 06.08.2019
Toni Morrison ist gestorben
Die Literatur-Nobelpreisträgerin Toni Morrison ist gestorben (dpa / picture alliance / Ian Langsdon)
Das erste, was man über Toni Morrison wissen muss, ist: Sie schrieb nicht über Weiße. Sie schrieb nicht über Weiße. Sie schrieb nicht einmal für weiße Leserinnen und Leser. Bis dahin hatten Bücher von schwarzen Amerikanern weißen Amerikanern erklärt, was Rassismus ist, dass schwarze Menschen Menschen sind oder dass Sklaverei falsch war. Toni Morrison dagegen schrieb für Leser, denen das klar war, weil sie das Erbe der Sklaverei in ihren Knochen und Psychen trugen - und bewies damit, dass sehr konkrete Erfahrungen universell sein können.
"1949 ging ich zum Studieren nach Washington. Mein Mädchenname ist Wofford und es gab dort ein Wofford College und die Wofford Plantage und so weiter. Und mir wurde klar, dass das der Name der Familie war, die meine Vorfahren als Sklaven besessen hatte. Ich bin zu dem Haus gegangen, in dem mein Vater gewohnt hatte. Dort lebte ein Mann, der ihn noch kannte und er erzählte, dass auf der selben Straße zwei Schwarze Geschäftsmänner gelyncht worden waren. Mein Vater war 14 Jahre alt und verließ am nächsten Morgen die Stadt."
Wenig Wissen über schwarze Bevölkerung
Auch Toni Morrison verließ die Stadt und ging nach New York, wo sie die erste schwarze Cheflektorin bei Random House wurde und Ikonen wie Muhammad Ali und Angela Davis lektorierte. Da Amerika erschreckend wenig Wissen über seine schwarze Bevölkerung hatte, gab sie 1974 "The Black Book" heraus, eine Art Anthologie schwarzen Lebens mit Essays und Gedichten und rassistischen Cartoons von Sklaven mit Wassermelonen.
Kurz davor hatte Toni Morrrison mit "Sehr Blaue Augen" DAS Buch der amerikanischen Literatur geschrieben. Es handelt von der 11jährigen Pecola Breedlove, die von ihrem Vater vergewaltigt wird und sein Kind zur Welt bringt und sich nichts mehr wünscht, als so blaue Augen zu haben wie Shirley Temple. Eine Kindheitsfreundin von Morrison war das Vorbild für Pecola.
"Wir hatten uns darüber gestritten, ob Gott existiert. Und sie sagte: Nein und ich kann das beweisen, ich habe jetzt zwei Jahre lang dafür gebetet, blaue Augen zu bekommen, und nichts da. - Ich erinnere mich, dass ich sie angeschaute und dachte, wie grotesk sie mit blauen Augen aussehen würde. Und in diesem Moment fiel mir zum ersten Mal auf, dass sie wirklich schön war."
Aufwachsen mit Minderwertigkeitsgefühl
Und das zu einer Zeit, als schwarze Kinder mit der Botschaft aufwuchsen, dass schwarze Haut, Haare, Augen weniger schön, weniger wert waren als weiße. Dass schwarze Menschen weniger Liebe und Freundschaft wert waren. Und dann schrieb Morrison mit "Sula" DAS Buch der amerikanischen Literatur über Frauenfreundschaften in der afroamerikanischen Community. Auch jeder weitere Roman schien DAS ultimative Buch zu sein, das einer Erfahrung eine Stimme verlieh, die bis dahin nicht gehört worden war.
Und dann folgte 1987 "Menschenkind". Als Morrison "The Black Book" lektoriert hatte, gab es darin einen Zeitungsartikel über die geflohene Sklavin Margaret Garner, die, bevor die Sklavenjäger sie zurück in den Süden schleppen konnten, ihre zwei Jahre alte Tochter umbringt, um ihr ein Leben in Sklaverei zu ersparen. In "Menschenkind" lässt Morrison das Baby als junge Frau zurückkehren, um ihre Mutter zur Rechenschaft zu ziehen.
"Menschenkind" gilt als einer der besten, wenn nicht der beste amerikanische Roman des 20. Jahrhunderts. Trotzdem mussten 1988 zahlreiche schwarze Intellektuelle ein Protestschreiben in der "New York Times" veröffentlichen, um darauf hinzuweisen, dass es ein Skandal war, dass Toni Morrison bei Literaturpreisen routinemäßig übergangen wurde. Zwei Monate später erhielt sie den Pulitzer Preis. Damit waren die Schleusen geöffnet, und 1993 wurde sie die erste schwarze Frau, die bis heute jemals mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wurde.
"Danke! Und wer weiß, vielleicht komme ich ja zurück."