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Zum Tod des Malers Karl Otto Götz
Altmeister des deutschen Informel

"Wie eine Attacke, die nur wenige Sekunden dauert" - so beschrieb der Sammler Willi Kemp die Technik des Malers Karl Otto Götz. Mit seinen spontan herausgeschleuderten Pinselschwünge und den daraus resultierenden, dramatisch aufgewühlten Bildwelten war der Aachener Maler wegweisend für die Informelle Kunst.

Von Christiane Vielhaber | 21.08.2017
    Der Maler Karl Otto Götz sitzt am 12.02.2014 in Niederbreitbach-Wolfenacker (Rheinland-Pfalz) vor einem seiner Bilder. Er verstarb im August 2017 im Alter von 103 Jahren.
    Der Maler Karl Otto Götz ist am 19. August 2017 im Alter von 103 Jahren gestorben. (dpa / picture alliance / Oliver Berg )
    Die Mimen halten es bekanntermaßen für ungerecht, dass ihnen von der Nachwelt keine Kränze mehr geflochten werden. Bei den bildenden Künstlern ist es umgekehrt. Die grämen sich nämlich zeitlebens, dass man ihr Werk zumeist dann erst dann gut findet, wenn sie bereits tot sind.
    Das ist zwar heute anders, wo jede Art von Nachwuchskunst umgehend für gut beziehungsweise gut für den Markt befunden wird, aber für die Generation von Karl Otto Götz galten vorwiegend noch die alten Erfolgskriterien. Und als deutsche Künstler hatte sie es nach dem Krieg besonders schwer mit der Beachtung und Akzeptanz ihrer Werke, denn der einst gute Ruf deutscher Kunst war durch den Nationalsozialismus nachhaltig beschädigt.
    "Schnell, federnd, dynamisch, geradezu tänzerisch"
    Götz gelang es jedoch verblüffend schnell, nicht nur Anschluss an die internationale Kunstentwicklung zu finden, etwa als einziges deutsches Mitglied der Künstlergruppe "Cobra", die sich 1949 in Amsterdam zusammenschloss. Mit seinen kühn geschwungenen, dramatisch aufgewühlten Bildwelten beschritt er auch innerhalb der sogenannten Informellen Malerei einen eindrucksvollen und gestisch unnachahmlichen Sonderweg.
    Sein Freund, der Sammler Willi Kemp beschrieb das einmal so: "Die Leinwand im Auge haltend, geht Götz ganz konzentriert ein paar Schritte nach rechts, dann nach links, um einen Pinsel aufzunehmen und eine Farbspur aufzubringen. Das geschieht schnell, federnd, dynamisch, ja, geradezu tänzerisch. Es ist wie eine Attacke, die nur wenige Sekunden dauert. Nach der Phase der Prüfung und der Reflexion steigert sich die Spannung, als er den circa 30 cm langen Rakel in die rechte Hand nimmt. Mit einer ungeheuren Schnelligkeit zieht er einen scharfen Schnitt in die nasse Farbe und schleudert sie über die Leinwand hinaus. Diese Rakelzüge werden mit dem Schwung des Körpers ausgeführt und steigern sich zu solcher Rasanz, dass der Maler über die Leinwand hinausgerissen wird und sich fangen muss, um nicht zu straucheln."
    Gestische Reaktionen als Endprodukte eines langen Denkprozesses
    Auch wenn das Frühwerk des Künstlers zunächst am Surrealismus orientiert war, so hatten diese spontan herausgeschleuderten Pinselschwünge und Rakelzüge nie etwas mit Diktaten aus dem Unbewussten - ganz nach dem Motto: "Es malt in mir" - zu tun. Götz war im Gegenteil ein konzeptuell arbeitender Künstler, dessen gestische Reaktionen nur jeweils Endprodukte eines langen Denk-, Meditations- und Konzentrationsprozesses waren.
    Besucher in der Werkschau von K.O. Götz in der Neuen Nationalgalerie vor abstrakten Malereien des Künstlers.
    Bilder des Malers Karl Otto Götz in einer Werkschau in der Neuen Nationalgalerie. (picture alliance / dpa / Rainer Jensen)
    Übrigens fast bis zum Schluss, auch wenn er dann natürlich nicht mehr so behände war und er am Ende auch nur noch schwarz-weiße Töne erkennen konnte. Der formale Reichtum seiner Bildsprache erlaubte es ihm aber zum Beispiel noch, die deutsche Wiedervereinigung als metaphorisch dichtes Ankoppelungsmanöver von gegenläufigen Schwüngen in Szene zu setzen.
    Viele Ehrungen zu Lebzeiten
    Geehrt und mit Kunst- und Staatspreisen ausgezeichnet wurde der 1914 in Aachen geborene Maler, Poet und Kunsttheoretiker zigfach in seinem Leben. Und 2004 ernannte ihn die Düsseldorfer Kunstakademie zu ihrem Ehrenmitglied. Von 1959 bis 1979 lehrte Götz dort freie Malerei. Die Hommage, mit der sich seine ehemaligen Schüler zum 90. Geburtstag im Duisburger Museum dankbar vor ihm verneigten, verwies auf ein weiteres, bemerkenswertes Talent des passionierten Pfeifenrauchers, denn große Künstler sind nicht zwangsläufig zugleich auch große Lehrmeister, deren Schüler dann auch wieder große, und vor allem neue große Leistungen hervorbringen.
    Die Malklassen des stets elegant auftretenden Ausnahmekünstlers Götz erwiesen sich jedoch als wahre Kaderschmiede für eine Riege weiterer deutscher Ausnahmekünstler. Genannt seien unter anderem nur Gerhard Richter, Sigmar Polke, Gotthard Graubner, Franz Erhard Walther oder, was man vielleicht gar nicht vermuten würde, sogar der Aktionskünstler HA Schult.
    "Die Spuren, die wir Maler auf dieser Erde hinterlassen, sind so wichtig und so unwichtig wie die Moränen, die ein Gletscher auf seiner eisigen Wanderung hinterlässt" - das sagte Karl Otto Götz vor mehr als einem halben Jahrhundert.
    Er wird auch in den Augen der Nachwelt ein guter Künstler bleiben, der nicht nur mit seinem Rakel wichtige Spuren in der Kunstgeschichte hinterlassen hat.