Freitag, 19. April 2024

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Zum Tod des Modemachers Givenchy
"Haute Couture, auferstanden aus Ruinen"

Schmale feminine Silhouette, teure Stoffe, aufwendige Drucke. Die Kreationen von Hubert de Givenchy brachten nach dem Zweiten Weltkrieg eine neue Eleganz in die Mode. "Die stolze, feminine Frau, die wieder Freude an der Mode verbreitet", so beschrieb Gerd Müller-Thomkins im Dlf Givenchys Stil.

Gerd Müller-Thomkins im Gespräch mit Juliane Reil | 12.03.2018
    Audrey Hepburn, Breakfast at Tiffany s 1961
    Givenchy machte Audrey Hepburn zur Stil-Ikone (imago / Paramount Publications)
    Er stattete Mode-Ikonen wie Audrey Hepburn und Jackie Kennedy aus – der Modeschöpfer Hubert de Givenchy starb am Wochenende im Alter von 91 Jahren. Am 20. Februar 1927 wurde Givenchy geboren, sein Modehaus gründete er '52; und '95 präsentierte er seine letzte Modenschau. Gerd Müller-Thomkins, der Leiter des Deutschen Modeinstituts, ist jetzt mit mir verbunden.
    "Es ging um die neue Opulenz"
    Juliane Reil: Hallo.
    Gerd Müller-Thomkins: Hallo, guten Tag.
    Reil: Was würden Sie sagen, wofür steht Givenchy?
    Müller-Thomkins: Na ja, wofür Givenchy steht, das kann man am besten beurteilen, wenn man die Zeit davor betrachtet. Ohne jetzt den historischen Rückblick zu üben: Poiret mit dem Reformkleid und vor dem Krieg noch Coco Chanel mit der Befreiung der Frau über sportive Mode, und dann der Einbruch des Zweiten Weltkriegs in der Mode. Auch stattgefunden, in den 50er-Jahren dann, der New-Look mit Dior und Elsa Schiaparelli, Óscar de la Renta und dazu gehörte auch Givenchy.
    Also, Givenchy hat, wenn Sie so wollen, die moderne feminine Silhouette zusammen mit seinen Kolleginnen und Kollegen geschaffen. Da ging es dann nach dem Krieg wieder darum, kostbare Stoffe verwenden zu können. Zunächst natürlich aus Mangel nicht, aber später dann. Es ging um die neue Opulenz, die Taille stand wieder im Mittelpunkt, also die Fraulichkeit, die Figürlichkeit, alles das, was verloren gegangen war. Die Sanduhr-Figur wurde damals kreiert. Und man könnte sagen, eine Haute Couture, auferstanden aus Ruinen in der Nachkriegszeit, also der absolute ungewohnte Chic – geformt von einem Aristokraten, er war ja Graf Hubert de Givenchy.
    Wie Sie schon sagten, 1927 geboren, in den 50er-Jahren hat er dann so markante "Items" – würde man vielleicht heute sagen – wie die Puffärmelbluse geschaffen, die an sich schon aristokratisch aussieht, mit ihrem aufgestellten Kragen und den Lochstickereien. Eine schmale, lange Bleistiftrock-Silhouette. Und tja, es war eigentlich die Opulenz, die dann später über die Materialien auch zum Ausdruck kam, aber eben auch über Drucke wie Früchte, Gemüse, Tiere. Also, das heißt, die Lebendigkeit, nach der man wahrscheinlich dann strebte nach dem Krieg. Und dazu gab es ja dann auch vor Kurzem noch eine Retrospektive passend, 2017 in Calais.
    Und Sie sagten schon, dass er die Filmschönheiten und die Prominenz der damaligen Zeit mit eingekleidet hat…
    Gegenmodell zur Reduktion der Frau
    Reil: …Zum Beispiel eben auch Audrey Hepburn. Und da kennt ja jeder aus "Frühstück bei Tiffany" dieses berühmte schwarze Etuikleid. Aber ich frage mich immer: Bei all dem, was Sie gesagt haben, Opulenz und die Neuartigkeit – ist es nicht auch ein bisschen ein "braver" Stil gewesen?
    Müller-Thomkins: (lacht) Ja, das sagt man jetzt so. Nur wenn man im Rückblick die 50er-Jahre dann so betrachtet, also eigentlich auch systemkritisch, modisch betrachtet, zumal sich die Frau ja in den 20er-Jahren auf ganz andere Art und Weise befreit hat. Aber ich glaube, man muss sich so ein bisschen in dieses Gefühl der damaligen Zeit zurückversetzen. Es mag ja sein, dass die Frau da auch wieder reduziert worden ist, irgendwie aus den Trümmern heraus an den Herd gebracht wurde, aber wenn Sie die Mode von Givenchy betrachten, dann ist das vielleicht noch ein Drittes, dann ist das ein Gegenmodell dazu gewesen: Das ist die stolze, schöne Frau, die eben auch wieder Freude an der Mode verbreitet. Und ich glaube, dazu hat er mit seinen Kolleginnen und in Kollegen in der Zeit wesentlich beigetragen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.