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Zum Tod des Schriftstellers Andrea Camilleri
Über Nacht zum Bestsellerautor

Mit seinen "Commissario Montalbano"-Krimis wurde er berühmt. Andrea Camilleri griff in seinen Romanen aber auch immer wieder heikle politische und gesellschaftliche Themen auf und galt als kritische Stimme Italiens. Nun ist der Autor im Alter von 93 Jahren gestorben.

Von Maike Albath | 17.07.2019
Der italienische Schriftsteller Andrea Camilleri (1925-2019)
Montalbanos Vater: der italienische Schriftsteller Andrea Camilleri (1925-2019) (imago / El Mundo)
"Ich wollte nicht einen dieser amerikanischen Polizisten erfinden, die morgens um fünf einen Baseball an den Kopf kriegen, um sieben den ersten Schusswechsel überstehen, um acht jemanden verprügeln und um zehn mit einer Blondine ins Bett steigen - eine Uhrzeit, um die jeder normale Mensch sich am liebsten gar nicht bewegen würde. Mein Kommissar sollte jemand sein, den man gerne zu sich nach Hause einlädt, jemand, der seinen Kopf benutzt und der nach der Wahrheit sucht - nicht nach Gerechtigkeit, was etwas ganz anderes ist."
Montalbano heißt Andrea Camilleris bärbeißiger Ermittler, und er ist das berühmteste Geschöpf des sizilianischen Schriftstellers, der 1925 in Porto Empedocle geboren wurde und seit den 50er-Jahren in Rom zu Hause war. Camilleri hatte sein Leben lang als Theater-, Hörfunk- und Fernsehregisseur gearbeitet und an der Schauspielakademie Regie unterrichtet. Bis er im Pensionsalter einen Kommissar erfand, der ihm in seiner Hartnäckigkeit, dem abgründigen Humor und der Vorliebe für gute Küche nicht unähnlich war. Über Nacht wurde Camilleri zum Bestsellerautor. Inmitten einer Krise der Institutionen schien sich das italienische Publikum nach moralischer Eindeutigkeit und Wertmaßstäben zu sehnen, wie Montalbano sie verkörperte.
Einwanderungsgesetz und G8-Gipfel
"Mein Montalbano-Krimi 'Das kalte Lächeln des Meeres' hat eine große Kontroverse ausgelöst, und zwar nicht literarischer, sondern politischer Natur. Denn Montalbano steht einem neuen Einwanderungsgesetz extrem kritisch gegenüber; er kritisiert außerdem die Vorgehensweise der Polizei auf dem G8-Gipfel 2001 in Genua. Montalbano ist mittlerweile sehr müde und hat Lust, alles stehen und liegen zu lassen. Dieser Roman war stärker in der Realität verankert als frühere."
Neben seiner Krimiserie verfasste Camilleri zahlreiche historische Romane, in denen es um die Bedingungen der Macht, die Folgen der nationalen Einigung und die Auswüchse der Mussolini-Diktatur geht. Allen Globalisierungsmoden zum Trotz beharrte er auf seiner "Sicilianità" und porträtierte den Menschenschlag der Insel mit zärtlicher Verschmitztheit. Ohne seine Arbeit auf der Bühne hätte er vielleicht nie zu schreiben begonnen:
"Es war so, als hätten sich nach 25 Jahren als Regisseur so viele Geschichten in mir angesammelt, die erst dann ans Licht kommen konnten. Es sind Romane daraus geworden. Und auch das hängt mit der Theatererfahrung zusammen: Die Inszenierungen waren gewissermaßen die Voraussetzung, denn sie haben mir eine ganz bestimmte Technik vermittelt. Wenn ich zum Beispiel für einen Roman eine Figur brauche und bemerke, dass es eine junge Frau von etwa Mitte 20 sein soll, dann lasse ich sie zuerst einmal sprechen. Ich habe noch keine Vorstellung davon, wie sie aussieht, aber ich weiß, wie sie sich ausdrückt, und schreibe einen Dialog. Und daraus entnehme ich dann, was das für eine Person ist, wie sie äußerlich beschaffen ist. Das ist natürlich eine Schreibform, die aus der Dramatik kommt."
"Das Chaos interpretieren"
Andrea Camilleri war immer auch ein politischer Kopf. In Essays und Zeitungsartikeln machte er unermüdlich auf die schleichende Unterhöhlung demokratischer Prinzipien unter Berlusconi aufmerksam. Die Popularität seines Kommissars nutzte er aus, um Ideen unter die Leute zu bringen. Denn Andrea Camilleri hing einem altmodischen Verständnis seines Berufes an:
"Die Rolle des Schriftstellers könnte sich in Zeiten wie diesen sehr wohl ändern. Die Versuchung ist eben – und ich kann das gut verstehen –, dass man sich in den Elfenbeinturm zurückzieht und sagt: Gut, an diesem Punkt erzähle ich ganz einfach meine Geschichten - und 'gute Nacht'. Meine Position ist das nicht. Ich kann nicht einfach meinen Bauchnabel betrachten und die Geschichte der Betrachtung meines Bauchnabels erzählen. Danach ist mir nicht zumute. Es entspricht mir nicht. Ich glaube, der Schriftsteller ist insofern wichtig, als dass er die Geschehnisse - nicht verändert, denn das kann er nicht -, aber beobachtet, wahrnimmt und seine Interpretation darlegt. Der Schriftsteller muss das Chaos interpretieren."