Dienstag, 16. April 2024

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Zum Tod von Brigitte Hamann
"Akribische Arbeiterin" der Geschichtswissenschaft

Sie schrieb über die Habsburg-Dynastie und Adolf Hitler - und erreichte damit gleichermaßen Fachpublikum wie breite Masse. Ausgezeichnet habe Brigitte Hamann ihre "intensive Quellenrecherche" und "messerscharfe Analyse", sagte der Historiker Oliver Rathkolb im Deutschlandfunk über seine im Alter von 76 Jahren gestorbene Fachkollegin.

Oliver Rathkolb im Gespräch mit Dina Netz | 05.10.2016
    Brigitte Hamann
    Brigitte Hamann: Die freie Historikerin und Autorin schuf populäre Standardwerke. (imago/Skata)
    Dina Netz: Wer hätte gedacht, dass ein historisches Buch 100.000 Leser finden würde? Zugegeben, es hatte ein dankbares Thema, nämlich Sissi, die österreichische Kaiserin. Aber vor allem war es keine staubtrockene wissenschaftliche Biographie. Solche spannend und lebendig erzählten historischen Bücher waren das Markenzeichen von Brigitte Hamann. Gestern ist die Historikerin gestorben.
    Ihren Erfolg verdankte Brigitte Hamann eigentlich einer Weigerung ihres Mannes. Sie hatte Germanistik und Geschichte in Münster und Wien studiert, arbeitete als Journalistin und heiratete 1965 den Wiener Historiker Günther Hamann. Sie war seine Assistentin und nach der Geburt des dritten Kindes fürchtete sie, ihre Karriere sei vorbei, sie sei zur ewigen Zuarbeit für ihren Mann verurteilt. Brigitte Hamann machte ihm damals folgenden Vorschlag:
    O-Ton Brigitte Hamann: "Ich wollte endlich einmal ein Buch schreiben, das wissenschaftlich ist, historisch-wissenschaftlich einwandfrei, auf Quellen basiert, und andererseits auch Leser hat. Das ist dann meine journalistische Ader gewesen, dass ich gesagt habe, das geht doch nicht, dass man so interessante Themen als Historiker für sich behält und für drei Kollegen bei einem Aufsatz, die ja dann eh schimpfen, und das wollte ich meinem Mann immer einreden. Ich habe gesagt, ich helf' Dir, und er hat so tolle Themen gehabt: Frühe Entdeckungsgeschichte, Vasco da Gama und so tolle Sachen. Aber er wollte nicht, und dann habe ich gedacht: So, jetzt zeige ich, dass man das kann."
    Netz: Und das hat sie vielfach bewiesen, mit Büchern über die Habsburger, über Sissi, über Hitler und viele andere. - Frage an den Wiener Historiker Oliver Rathkolb: Brigitte Hamann begann ihre Laufbahn als Autorin mit einem Buch über den österreichischen Thronfolger, Kronprinz Rudolf. Und das Buch war gleich wegweisend, weil es schon das Muster vorgab, nach dem sie später auch arbeiten sollte: Mythen auf ihren Gehalt abklopfen und von den Personen anschaulich erzählen. Ist so das Erfolgsrezept von Brigitte Hamann treffend beschrieben, Herr Rathkolb?
    Oliver Rathkolb: Ja, ich glaube, das trifft wirklich den Kern ihrer Leistungen und auch ihrer Publizität. Dazu kommt noch, dass sie eine unglaublich akribische Arbeiterin war. Sie hat Quellen aufgetan, die der Geschichtswissenschaft an sich verborgen geblieben sind, und das zieht sich eigentlich durch all ihre Bücher durch. Und das spannendste Buch für mich ist "Hitlers Wien. Lehrjahre eines Diktators". Hier hat sie wirklich alle Register gezogen, unglaublich intensive Quellenrecherche, messerscharfe Analyse, und hat sozusagen im Aufwaschen auch gleich den Mythos von Karl Lueger auch dekonstruiert.
    "Angloamerikanisch schreiben und deutsch arbeiten"
    ! Beim Rückblick auf das Werk eines Historikers fragt man sich ja, welche Debatten er oder sie angestoßen, welche Themen er geprägt hat. Was ist denn das Erbe der Historikerin Brigitte Hamann?
    Rathkolb: Das Erbe der Historikerin Brigitte Hamann ist, dass sie einen sehr, sehr kritischen Blick auf die Familie der Habsburger im späten 19. Jahrhundert und Anfang des 20. Jahrhunderts geworfen hat. Ich kann mich noch gut erinnern, wie sie Bruno Kreisky, für den ich damals gearbeitet habe, immer wieder die neuesten Erkenntnisse und Publikationen präsentiert hat. Und in ihrer weiteren Lebensphase hat sie sehr, sehr kritisch auch versucht, diesen manchmal kitschigen Mythos von Wien um 1900 auch zurechtzurücken, indem sie den Nationalitätenkonflikt, den Antisemitismus und den Populismus von Karl Lueger wirklich kritisch und immer wieder angeprangert hat, und, wie gesagt, dann in ihrer Studie über Hitlers Wien auch hier alle Fassetten dieses sterbenden Imperiums deutlich gemacht hat.
    Netz: Dabei hat ihr ja vielleicht auch geholfen, dass sie Deutsche und keine Österreicherin war und so eine gewisse Distanz zu ihrem Thema hatte. - Sagen Sie doch vielleicht ein paar Sätze zum Stil von Brigitte Hamann. Das Ungewöhnliche an ihr ist ja, dass sie einerseits eine akribisch arbeitende Historikerin war, wie Sie das beschrieben haben, aber andererseits ein großes Publikum angesprochen hat. Wie ist ihr das gelungen?
    Rathkolb: Sie ist eine der ganz wenigen Autorinnen und überhaupt in der Historiker-Branche, die angloamerikanisch schreiben und deutsch arbeiten. Wie Sie wissen, haben im deutschsprachigen Bereich Historiker eine extrem komplizierte Sprache sich nach 1945 zugelegt, ein bisschen auch als politisch-methodisches Schutzschild, und das hat sie nicht getan. Aber gleichzeitig hat sie sehr emsig, eifrig und genau die Quellen durchforstet, neue Quellen aufgetan, und ich glaube, das Erfolgsgeheimnis ihrer Bücher ist diese Mischung. Sie hat auf der einen Seite geschrieben wie der australische Erfolgsautor Christopher Clark und auf der anderen Seite empirisch gearbeitet wie der solide deutsche Historiker, die deutsche Historikerin heute arbeiten. Und ich glaube, es ist diese Mischung, die das Erfolgsgeheimnis der Bücher von Brigitte Hamann ausmachten und auch in der Zukunft ausmachen werden.
    Netz: Der Wiener Historiker Oliver Rathkolb erinnerte an Brigitte Hamann.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.