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Zum Tod von Kinderbuchautorin Christine Nöstlinger
Von der Hoffnung auf eine solidarischere Welt

Ob "Wir pfeifen auf den Gurkenkönig" oder "Maikäfer flieg": Mit Christine Nöstlingers Büchern kam ein Ton in die Kinderbuchwelt, den es zuvor nie gegeben hatte. Die Österreicherin verfasste zahlreiche Kinderbuch-Klassiker, schrieb Drehbücher und Theaterstücke. Jetzt ist sie im Alter von 81 Jahren gestorben.

Von Beatrix Novy | 13.07.2018
    Die österreichische Kinder- und Jugendbuchautorin Christine Nöstlinger
    Die österreichische Kinder- und Jugendbuchautorin Christine Nöstlinger (Deutschlandradio / Ute Wegmann)
    Als Christine Nöstlingers Erstling "Die feuerrote Friederike" 1970 Furore machte, war die Welt des Kinderbuchs noch eine andere. Jungen- und Mädchenliteratur sorgsam getrennt in den Bücherei-Regalen, hier Abenteuer, dort Hanni und Nanni, daneben die kleine Riege der modernen Klassiker wie Astrid Lindgren oder Otfried Preußler, und seit kurzem blühte auch das anti-autoritäre Genre. Da hinein platzte eine ausgebildete 34jährige Grafikerin, die mit ihren beiden kleinen Töchtern zuhause saß und nicht ausgelastet war, sich also hinsetzte, ein Kinderbuch zeichnete und es mit ein wenig Text versah. Sie staunte, als ein Verleger es sofort nahm und das Buch ein Erfolg wurde; sie war ein bisschen gekränkt, als der Verleger sie bat, das Illustrieren anderen zu überlassen und fortan nur zu schreiben – eine Aufforderung, der sie umgehend nachkam: ihre Produktivität war immens, ihre Themen vielfältig.
    Antiautoritär und anspruchsvoll
    Mit Christine Nöstlinger kam ein Ton in die Kinderbuchwelt, den es zuvor nie gegeben hatte: ironisch, trocken, unsentimental und gar nicht kindlich. Und es kamen Geschichten, wie sie sich noch keiner ausgedacht hatte: realistisch und fantastisch, alltäglich und absurd zugleich. Vom Gurkenkönig, der im Keller der Familie Hogemann unentdeckt ein kleines Völkchen tyrannisiert, von seinen Untertanen vertrieben wird, in der Küche Asyl sucht und intrigant die Familie spaltet. Oder vom allzu perfekt designten Kind Konrad, das von seiner Hersteller-Firma in einer Konservendose angeliefert wird.
    Hinter solchen Büchern steckte sehr wohl der 68er-Zeitgeist, den Christine Nöstlinger aber keineswegs einfach so bediente. Dafür hätte ihr pädagogischer Impetus nie ausgereicht. Dass sie mit dem Begriff Erziehung nichts anfangen konnte, betonte sie ihr Leben lang
    "Werte will ich eigentlich nicht vermitteln."
    Nöstlingers laxe Handhabung der Machtfrage zwischen Kindern und Eltern wurde in den ersten Jahren ihrer Karriere von konservativer Seite gern angegriffen. Bei ihr, das war noch neu, gab es respektlose Kinder, streitende Familien, hilflose Väter, dies aber ohne ermüdend gängige Problembewältigungsmuster. Nöstlingers einfacher und doch hoher Anspruch, Kinder zum Selberdenken anzuregen, widerstand im übrigen jedem Ideologieverdacht.
    "Ich glaube, dass man im Kinderbuch, gerade wenn es lustig ist, das oft erreichen kann, indem man Dinge aus einem anderen Blickwinkel zeigt."
    Keine falsche Harmonie
    Den eigenen Blickwinkel hat Christine Nöstlinger im Lauf ihres Lebens auch immer mal wieder überprüft und verändert. Aber es gab Konstanten. Zum Beispiel verweigerte sich ihr Realismus jederzeit allzu harmonischen Lösungen - eine Bodenständigkeit, entstanden vielleicht aus den zwar kleinbürgerlich-engen, aber relativ repressionsfreien Bedingungen ihrer Kindheit. In "Maikäfer flieg" schilderte sie einiges von dieser Kindheit in Krieg und Nachkriegszeit, in "Rosa Riedl Schutzgespenst" ließ sie eine Frau, die 1938 beim Einmarsch der Nazis umkommt, als plattfüßigen Geist wiederkehren. Und ihre Mundartgedichte widmete sie jenen Wienern der äußeren Stadtbezirke, die vom Glanz der Metropole nur wenig abkriegen.
    In einer frühen Erzählung erfand Christine Nöstlinger einen Geisterkeller, in dem vernachlässigte und gemobbte Kinder sich für einen Mittwochnachmittag in der Woche einfach toll fühlen können, schön oder dünn oder vielbegehrt. Und mitten im Trubel nöstlingerscher Skurrilitäten wird klar, wieso Christine Nöstlingers Bücher alle Moden überdauern: Sentimentalität und falsche Harmonie waren ihr ein Graus, nicht aber die Hoffnung auf eine solidarischere Welt.