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Zum Tod von Toots Thielemans
Der Baron mit der Mundharmonika

Der Jazzmusiker Jean-Baptiste "Toots" Thielemans ist tot. Der Belgier war für sein virtuoses Mundharmonikaspiel bekannt, spielte aber auch Gitarre. Er avancierte in den 1940er- und 50er-Jahren zum Dauergast in den Studios von Jazzgrößen wie Charlie Parker, Benny Goodman oder Stevie Wonder. Der Durchbruch gelang ihm allerdings mit einem Stück ohne Mundharmonika.

Von Karsten Mützelfeldt | 22.08.2016
    Der belgische Jazz-Musiker Toots Thielemans ist gestorben.
    Der belgische Jazz-Musiker Toots Thielemans ist im Alter von 94 Jahren in Brüssel gestorben. (dpa/picture alliance/belga/Jesse Willems)
    Mundharmonikaspieler im Jazz: ein intimer Zirkel, mit einer Mitgliederzahl so klein wie das Instrument. Sein größter Vertreter war ein Mann, der sich selbst "einen kleinen Belgier" nannte: Jean-Baptiste alias "Toots" Thielemans. Berühmt wurde ausgerechnet eine Komposition, bei der die Mundharmonika in der Hosentasche blieb - ein charmanter Walzer, auf den bei Konzerten zu verzichten er sich kaum leisten konnte: "Bluesette", ein wahrer Ohrwurm. Und Ohrwürmer werden bekanntlich am liebsten gepfiffen.
    "Bluesette" schaffte es in den Kanon der Jazzstandards und bescherte ihm über ein halbes Jahrhundert lang einen warmen Tantiemen-Regen.
    "Ich öffnete meinen Gitarrenkoffer, fing an die Gitarre zu stimmen, und dann kamen mir einfach diese Töne in den Sinn! Der Geiger Stephane Grappelli, mit dem ich die Garderobe teilte, reagierte sofort, 'Oh, c’est très jolie, mon petit Toots!' Diese ersten Töne habe ich gepfiffen und so auch das Stück aufgenommen: Gitarre spielend und dazu synchron pfeifend - so wie Slam Stewart zu seinem gestrichenen Bass sang!"
    "Crazy Bop", aufgenommen 1949 in Paris während des gerade stattfindenden Pariser Jazzfestivals, das den entscheidenden Impuls für die Verbreitung des Bebop in Europa lieferte. Bei einer abschließenden Jamsession des Festivals wird er das erste Mal mit Charlie Parker spielen. 1951 lädt ihn Benny Goodman für eine Europatournee ein, dank dessen Mithilfe erhält Thielemans ein Jahr später ein Visum für die USA und emigriert nach Amerika.
    Dauergast in den Studios
    Von 1953 bis 1959 gehört Thielemans zum Quintett des Pianisten George Shearing - als Bestandteil jenes Shearing Sounds vorwiegend Gitarre spielend, auch wenn die Mundharmonika für ihn langsam an Bedeutung gewinnt - und sei es für Werbejingles oder andere kommerzielle Produktionen, bei denen sich vor allem Quincy Jones als Türöffner erweist.
    Thielemans avanciert zu einem Dauergast in den Studios, engagiert von unzähligen Größen aus Jazz und Pop, von Bill Evans, Oscar Peterson, Shirley Horn und Jaco Pastorius bis zu Ivan Lins und Stevie Wonder. Seine Lieblingsmusik aber sei die "between a tear and a smile", zwischen einer Träne und einem Lächeln, zwischen Melancholie von einer fast heiteren Leichtigkeit. Stücke wie Jacques Brels "Ne Me Quitte Pas".
    "Das ist eine Mischung von Dur und Moll! Das ist in Farben vielleicht eine Pastellfarbe, eh? It’s not white, it’s not black, it’s inbetween."
    Ein teilnehmender Zeitzeuge der Jazzgeschichte seit 1940
    In seinem Wohnzimmer in La Hulpe unweit von Brüssel steht neben einem mit unzähligen Mundharmonikas bestückten Regal eine Rickenbacker-Gitarre, mit der John Lennon ihn 1959 bei einem George-Shearing-Konzert gesehen und daraufhin sich das gleiche Modell gekauft hatte. Im Haus wimmelt es von Dokumenten eines erfüllten Musikerlebens. Fotos mit Charlie Parker, Quincy Jones und Stevie Wonder, Wände voller Schallplattenauszeichnungen, Plakate und Pokale.
    "I am a participating witness through all that history of jazz since 1940! "
    Ein teilnehmender Zeitzeuge der Jazzgeschichte seit 1940. Der selbst ernannte "kleine Belgier", dem der belgische König 2002 den Titel eines "Barons" verlieh, sagt von sich, er sei "kontaminiert" worden: von Afro-Amerikanischem und blues notes. Ein weißer, schwarzer Baron - oder wie Toots es ausdrückt: ein "Afro-Belgier"…
    "I am profoundly contaminated by the blue note. I am an Afro-Belgian! Afro-Belgo-American!"