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Zum Tode von Paul Spiegel

Als Paul Spiegel Anfang 2000 als Nachfolger von Ignaz Bubis Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland wurde, war er noch recht zuversichtlich und wollte sich eigentlich in erster Linie der Integration der aus der ehemaligen Sowjetunion zugewanderten Juden widmen.

Von Margarete Limberg | 30.04.2006
    Stattdessen musste er sich gleich im ersten Jahr seiner Amtszeit mit einer Welle rechtsextremer und antisemitischer Gewalt, mit dem Brandanschlag auf die Düsseldorfer Synagoge am Tag der deutschen Einheit 2000 auseinandersetzen.

    Dann versuchte der FDP–Politiker Jürgen Möllemann mit antisemitisch gefärbten Wahlkampfparolen um Stimmen zu werben, und allzu lange, so fand Spiegel damals, musste die jüdische Gemeinde in Deutschland auf klare Worte von Möllemanns Parteifreunden warten. Paul Spiegel, der seinem Vorgänger Bubis noch widersprochen hatte, als der resigniert feststellte, er habe nichts erreicht, musste nun einräumen, dass es für diese Resignation gute Gründe gab:

    "Heute sage ich, er hatte in vielem Recht. Ich mache auch die Beobachtung, dass ein Großteil der Menschen, die festgesetzte antisemitische Strukturen und Klischees haben, hiervon nicht abgehen können oder wollen, ich weiß auch nicht. Ich erlebe das in Veranstaltungen, wo ich mich Diskussionen stelle. Ich erlebe das gerade bei einigen älteren Menschen und auch Menschen aus so genannten elitären Kreisen."

    Brennende Synagogen, so Spiegel, machten den Juden in Deutschland Angst:

    "Und es trifft uns ins Mark, es trifft uns ins Innere, wenn Brandsätze auf jüdische Häuser, auf jüdische Gotteshäuser, genau wie 1938 zu beobachten sind. Da kommen unsere Erinnerungen. Trotz allem, wir sind hier 85.000 Menschen, 83 jüdische Gemeinden, wer hätte das geglaubt nach 1945, nach alledem. Und jetzt kommen durch fast tägliche Ereignisse unsere Erinnerungen an das, was früher war, und an das, von dem wir fest überzeugt waren, dass das in Deutschland nie wieder passieren würde."

    Spiegel der unermüdlich durch die Lande reiste, Vorträge hielt, in Schulen unterwegs war, um gerade die Jüngeren aufzuklären, war selbst trotz allem überzeugt, dass man als Jude in Deutschland nicht auf gepackten Koffern
    sitzen müsse. Denn er erfuhr auch viel persönliche Unterstützung:

    " Ich habe ein Fülle von schriftlichen und telefonischen Unterstützungsbeweisen bekommen. Ganz, ganz wenige von Menschen, die ganz anderer Meinung sind, und die es auch kundtun. Aber der überwiegende Teil veranlasst mich doch zu der Zuversicht, dass es richtig ist, dass wir hier in Deutschland jüdische Gemeinden aufgebaut haben, dass es richtig ist, dass wir hier sind, und dass ich es auch richtig finde, dass wir hier bleiben wollen."

    All dies konnte jedoch nicht den Eindruck ausräumen, dass der vom ehemaligen Bundeskanzler Schröder nach dem Synagogenbrand geforderte Aufstand der Anständigen ausblieb. Sicher, es fehlte nicht an empörten Politikerworten, wann immer Anschläge auf jüdische Einrichtungen, persönliche Angriffe auf Juden, die Schändung jüdischer Friedhöfe oder rechtsextreme Gewalttaten Schlagzeilen machten. Aber von einem wirklichen Aufstand der Anständigen merkte Spiegel allzu wenig:

    "Ich kann nur appellieren an alle Politiker, egal welcher Couleur, an alle gesellschaftsrelevanten Gruppen einschließlich der beiden großen Konfessionen, sich dieser Aufgabe bewusst zu werden. Es geht nicht darum, um uns Juden zu schützen. Es geht darum, dieses Land zu schützen vor diesem Rechtsterror. Wenn dieser Rechtsterror Erfolg hat, dann wird dieses Land in eine ganz schlimme Situation kommen. Wenn die Mehrheit dieses Landes nicht endlich begreift, dass solche Angriffe nicht nur ein Angriff gegen Juden sind, nicht nur ein Angriff gegen Minderheiten, sondern ein Angriff auf die Demokratie und auf die Menschlichkeit in diesem Lande. Wie lange werden solche Gruppen erfolgreich agieren können?"

    Was er als scharfer Beobachter der politischen Szene in der Bundesrepublik feststellte, war ihm Anlass zu großer Sorge:

    "Ich glaube feststellen zu können, dass es zum Rechtsradikalismus, zum Antisemitismus und der Fremdenfeindlichkeit hier in Deutschland eine gewisse Zustimmungsbereitschaft gibt. Wir haben alle erlebt in den 70er Jahren zu Zeiten des schlimmen Linksterrorismus, da spürte man von der gesamten Bevölkerung, das sah man, das hörte man, das las man – eine totale Ablehnung dieses Terrors. Diese totale Ablehnung spüren wir heute nicht hinsichtlich des Rechtsradikalismus."

    Paul Spiegel wurde am 31. Dezember 1937 im münsterländischen Warendorf in eine traditionell religiöse, bürgerliche Familie geboren. Sein Vater Hugo war Viehhändler. Als in der so genannten Reichskristallnacht vom 9. auf den 10. November 1938 die Nazi–Horden Jagd auf Juden machten, Synagogen anzündeten und jüdische Geschäfte plünderten, fielen SA–Banden auch über den Vater Spiegel her. 1939 gelang der Familie die Flucht vor dem Nazi–Terror nach Belgien, aber die Hoffnung, dort Sicherheit zu finden, erwies sich als Illusion, nachdem die Wehrmacht im Mai 1940 dort einmarschiert war. Der Vater wurde interniert. Die Stationen seines Leidens: Auschwitz, Buchenwald, Dachau. Aber er überlebte das Grauen. Die Mutter tauchte mit Sohn Paul und Tochter Rosa unter. Diese geriet 1942 in die Hände der Gestapo und wurde, wie sich Jahrzehnte später herausstellte, in Auschwitz ermordet. Paul Spiegel fand Zuflucht bei einer einfachen wallonischen Bauernfamilie. Er, der sein Leben lang auf ein Wiedersehen mit der Schwester gehofft hatte, der dachte, durch seine Kandidatur für den Zentralrat werde sie vielleicht auf ihn aufmerksam, erfuhr zu dieser Zeit, dass die Nazis sie umgebracht hatten. Der Vater kehrte nach 1945 nach Warendorf zurück. Das konnte vor allem der Sohn lange nicht verstehen. Für ihn waren die Deutschen beängstigende Riesen mit knallenden Stiefeln.

    Spiegel begann seine berufliche Laufbahn als Redakteur der Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung. Später leitete er die Öffentlichkeitsarbeit des Rheinischen Sparkassen– und Giroverbandes. 1986 gründete er eine sehr erfolgreiche Künstleragentur. Gleichzeitig engagierte er sich in der jüdischen Gemeinde. Ab 1993 amtierte er als einer der zwei Stellvertreter von Ignaz Bubis an der Spitze des Zentralrats der Juden in Deutschland, der politischen und religiösen Repräsentanz der in der Bundesrepublik lebenden Juden.

    Spiegel wurde zunächst von manchen Beobachtern als Übergangspräsident bezeichnet. Er trat sein Amt in Zeiten eines grundlegenden Wandels der jüdischen Gemeinschaft an. Die Holocaust–Überlebenden, zu denen er selbst zählte, waren nur noch eine Minderheit, Spannungen zwischen den Vertretern eines traditionell orientierten Judentums und dem Reformflügel sorgten für heftige Auseinandersetzungen. Die größte Herausforderung aber stellte die Zuwanderung der Juden aus der ehemaligen Sowjetunion dar. Einerseits sorgten sie für ein rasches Anwachsen der jüdischen Gemeinde in Deutschland zur drittgrößten in Europa, was Spiegel wie auch viele andere nach dem Holocaust als Wunder bezeichneten. Andererseits war ihre Integration für die jüdischen Gemeinden kaum zu bewältigen. Um so wichtiger war in dieser Phase einer der bedeutendsten Erfolge Spiegels: Der Abschluss eines Staatsvertrages mit der Bundesrepublik Deutschland im Januar 2003. Darin wird der jüdischen Gemeinschaft eine Unterstützung von drei Millionen Euro pro Jahr zugesichert. Außerdem verpflichtete sich die Bundesregierung, das deutsch–jüdische Kulturerbe zu erhalten und zu pflegen, zum Aufbau einer jüdischen Gemeinschaft beizutragen und ihre Integration in die deutsche Gesellschaft zu unterstützen.

    Die Vorgänger an der Spitze des Zentralrats, vor allem Bubis und Heinz Galinsky waren sehr viel mehr als Präsidenten einer vergleichsweise kleinen Organisation. Sie waren, jeder auf seine Weise, eine moralische Instanz. Dies wollte Spiegel ausdrücklich nicht sein. Er wurde es trotzdem. Er konnte nicht verhindern, dass man ihn um ein Interview, eine Stellungnahme bat, wann immer Antisemitismus, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit die Öffentlichkeit aufschreckten. Warum, so fragte er einmal zurück, bitten Sie nicht Kardinal Lehmann oder den damaligen Ratsvorsitzenden der evangelischen Kirche Kock darum sich zu äußern. Er war der Überzeugung, dass Antisemitismus die ganze Gesellschaft angehe.

    "Der Antisemitismus – unabhängig von welcher Seite – ist gegen uns gerichtet. Seine Lösung ist nicht unser Problem. Wir Juden sind nicht Fachleute zur Bekämpfung des Antisemitismus. So lange der Antisemitismus, also Angriffe gegen Juden, überhaupt gegen Minderheiten oder fremdenfeindliche Aktionen, nicht vom großen Teil der Bevölkerung als ein Angriff auf den großen Teil der Bevölkerung angesehen wird, sondern "nur" auf irgendwelche Minderheiten oder andere Gruppen, so lange wird die Bekämpfung des Antisemitismus ein Problem bleiben."

    Spiegel fühlte sich oft allein gelassen, wenn er bei Veranstaltungen rechtsextreme Parolen zurückweisen musste:

    "Wenn ich mich diesen verbalen antisemitischen Attacken aussetze, werde ich von dem Rest des Publikums allein gelassen. Das ist eine ganz schlimme Erfahrung."

    Was den Zentralratsvorsitzenden besonders erschreckte, war der Erfolg der Rechtsextremisten und Neonazis unter Jugendlichen. Die Erfolge der Rechtsextremen bei den letzten Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen waren ein Schock. Für ihn hat dies gegenüber früheren Jahren eine neue Qualität:

    "Früher hat man gesagt, das sind alte Nazis, die noch in Deutschland sind, die wählen dann noch NPD oder erhoffen sich dadurch den Zugang zu früheren Zeiten. Es hat eine ganz andere Qualität bekommen. Meiner Meinung nach eine sehr gefährliche Qualität. Und da, glaube ich, ist es unbedingt erforderlich, sich mit diesem Thema, mit diesen Tendenzen, sehr intensiv mit Fachleuten hinzusetzen und zu überlegen, was können wir tun."

    Spiegel glaubte fest an die heilende Wirkung der Aufklärung. Er war sich sicher, wenn die Jugendlichen wüssten, was den Juden in Deutschland angetan wurde, wenn man ihnen erklären würde, wie es dazu kommen konnte, würden die meisten den braunen Rattenfängern widerstehen können. Dass man einen langen Atem braucht, um auf diese Weise Erfolge gegen den Neonazismus ernten zu können, war ihm stets bewusst, Nachhaltigkeit sein Stichwort. Der übliche Wechsel von heller Aufregung nach einem Anschlag und dem alsbaldigen Übergang zur Tagesordnung war seine Sache nicht. Den Schulen kommt in dieser Auseinandersetzung seiner Ansicht nach eine besondere Bedeutung zu:

    "Der Schlüssel liegt natürlich in den Schulen. Ich stelle immer wieder fest, dass eine große Unkenntnis da ist. Ich habe schon oft appelliert an die Kultusministerkonferenz, sich mit diesem Thema noch intensiver zu befassen."

    Der Zentralratsvorsitzende Spiegel, bescheiden, uneitel, freundlich, mischte sich eher notgedrungen ein, aber wenn er es für nötig fand, mit aller Schärfe. So fragte er, als die Union die Debatte um eine deutsche Leitkultur lostrat, ist es etwa deutsche Leitkultur, Fremde zu jagen, Synagogen anzuzünden, Obdachlose zu töten?

    "Das Wort "Deutsche Leitkultur" setzt eine Hierarchie voraus, setzt ein Denken voraus, was oberhalb dessen ist, was wir eigentlich alle wollen, und dieses Wort führt zu Missverständnissen. "

    So unermüdlich der Zentralratsvorsitzende gegen Antisemitismus, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit kämpfte, so beharrlich bemühte er sich darum, seinen nichtjüdischen Landsleuten Kenntnisse über das Judentum zu vermitteln. Und er tat dies vor großem Publikum und mit viel Erfolg. Er hielt unzählige Vorträge über jüdisches Leben und beantwortete geduldig neugierige, von jeder Ahnung unbeleckte Fragen nach jüdischem Brauchtum und schrieb schließlich ein Buch "Was ist koscher", in dem er mit Humor den Wissensdurst stillte.

    Ein anderes Anliegen war es Paul Spiegel stets, Verständnis für Israel zu wecken. Er hatte beobachten müssen, dass Israel in der Regel schärfer kritisiert wurde als andere Länder, dass in dieser Kritik antisemitische Stereotypen ihre Wiederauferstehung feiern konnten und dass dies nicht den üblichen Verdächtigen vorbehalten blieb, sondern weit in die wohlanständige Mitte hineinreichte. Nicht Kritik an Israel störte ihn, sondern die Art und Weise, wie sie oftmals vorgebracht und artikuliert wurde:

    "Es ist ein Unterschied, ob man kritisiert oder einseitig verurteilt. Und leider müssen wir feststellen, dass auch in Deutschland bei so genannter oder vermeintlicher Kritik an Israel sich antisemitische Tendenzen beinhalten in diesen Kritiken. Kritik ist etwas sehr Konstruktives, Kritik unter Freunden ist angesagt. Wenn das Existenzrecht Israels in Frage gezogen wird, da bin ich fest davon überzeugt, dass das mit Kritik überhaupt nichts mehr zu tun hat."

    Als der iranische Präsident vor einigen Monaten den Holocaust leugnete und das Existenzrecht Israels in Frage stellte, forderte Spiegel den Ausschluss des Landes aus der UNO. Die Reaktionen Europas, auch Deutschlands empfand er als viel zu lau.

    Die späte Entschädigung der ehemaligen NS-Zwangsarbeiter war für Spiegel von zentraler Bedeutung. Dass sich die deutsche Industrie lange gesträubt hatte und es zuletzt massiven äußeren Drucks bedurfte, um sie zum Einlenken zu bewegen, war für ihn schwer erträglich und Anlass für häufige Kritik. Paul Spiegel setzte durch sein pragmatisches Verhalten durchaus neue Akzente. Er nahm auch als erster Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland am 20. Juli 2001 an einem Gelöbnis für Bundeswehrsoldaten teil. Die Bundeswehr, so sagte Spiegel damals, sei Teil unserer rechtstaatlichen Demokratie. So konziliant und kompromissbereit Spiegel sein konnte, so scharf wehrte er sich gegen alle Zweideutigkeiten und die unausrottbare Neigung, mit schiefen Parallelen zum Nationalsozialismus den politischen oder andere Gegner verbal zu vernichten. Als "unsäglich und beleidigend" bezeichnete er es, als der Kölner Kardinal Meissner die Abtreibungen mit den Verbrechen Hitlers und Stalins verglich. Er war stets und mit gutem Grund besonders empfindlich und hellhörig, wenn er vermutete, dass jemand das Jahrhundertverbrechen des Judenmords relativieren wollte. Hier kannte er keine Nachsicht. Und dennoch waren von ihm auch Sätze wie dieser zu hören: Wenn man weiß, wie Deutschland 1945 aussah und das mit dem vergleicht, wie es heute aussieht, darf ein Bürger dieses Landes stolz auf sein Vaterland sein. Spiegel würdigte durchaus, dass die Rechtsextremen bei den meisten Wahlen nur wenige Stimmen bekamen. Ja, er konnte auch mit dem Begriff des Patriotismus etwas anfangen. Auf die Frage, ob er sein Vaterland liebe, sagte er in einem Interview:

    "Wenn ich nicht gerne in Deutschland leben würde, würde ich nicht in Deutschland leben."

    Aber dies ist nur die eine Seite. Erfolgen des Zentralrats standen bittere Erkenntnisse gegenüber. Dass 60 Jahre nach dem Holocaust nahezu wöchentlich jüdische Friedhöfe geschändet werden, dass vor jeder jüdischen Einrichtung zu ihrer Sicherheit ein Polizist stehen muss, blieb für Spiegel unfassbar. Und er, der viel gefragte Festredner musste erkennen, dass man ihm zwar zuhörte, aber viele seiner Vorschläge kaum ein Echo fanden. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk gestand er ein:

    "Ich komme mir manchmal vor wie ein Prediger, der in der leeren Synagoge oder in der leeren Kirche predigt. Ich will aber nicht resignieren. Ich bin nach wie vor der festen Überzeugung, dass die überwiegende Mehrheit der deutschen Bevölkerung weder Antisemitismus will noch Fremdenfeindlichkeit. Mir geht es darum, dass auch künftig Rechtsradikalismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit in diesem Lande keine Chance hat. Dass der von Bundeskanzler Schröder damals geforderte Aufstand der Anständigen endlich mal sich auf breiter Ebene durchsetzt. Denn ich habe manchmal den Eindruck, dass es höchstens einen Aufstand der Unanständigen gibt, den man ja auch hört. Trotz allem, es gibt viele Zeichen, es gibt viele Aktivitäten und Aktionen, trotzdem müssen wir leider immer noch über Antisemitismus sprechen, und ich würde mich freuen, wenn wir irgendwann in absehbarer Zeit einmal dazu übergehen, dass ich sagen kann, ich weiß nicht, was die Frage soll, es gibt eben keinen Antisemitismus hierzulande und in Europa auch nicht. Das wäre mein Wunsch. Und ich gebe nicht auf, daran zu denken, dass das doch eines Tages in diesem Lande auch möglich sein wird."

    Spiegel schwankte zwischen Resignation und Zuversicht. Er bekundete allen Anfechtungen zum Trotz Vertrauen in die Stabilität der Demokratie in Deutschland und blieb dennoch voller Skepsis. Martin Walsers Rede von der Auschwitz–Keule wühlte Paul Spiegel ebenso auf wie die Tiraden des früheren CDU-Abgeordneten Hohmann, der im Zusammenhang mit Juden den Begriff "Tätervolk" verwendete. Dass ein Schriftsteller wie Rolf Hochhuth den Holocaust–Leugner David Irving erst rein wäscht und dann mehr als zwei Wochen braucht, um sich dafür zu entschuldigen - es sind Erfahrungen wie diese, die den anfangs so optimistischen Paul Spiegel zermürbt haben und gelegentlich von der Vergeblichkeit seines Bemühens sprechen ließen.