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Zum Weltmännertag
Wenn Rollenbilder krank machen

Männer sind anders als Frauen: Mit dieser populären These befasst sich in New York der Lehrstuhl für die Untersuchung von "Maskulinitäten". Stereotype wie "Boys don't cry" - Jungs heulen nicht - sind für Professor Michael Kimmel der sichere Weg in die Krankheit.

Von Kai Clement | 03.11.2017
    Schreiender, muskulöser Mann mit nacktem Oberkörper
    Schreiender, muskulöser Mann mit nacktem Oberkörper (imago/blickwinkel/ McPhoto)
    "Real Men don’t get sick". Echte Männer werden nicht krank. Für Michael Kimmel (*) ist dieses Gesundheitskonzept aus der Sprüche-Kiste das Rezept, um zuverlässig krank zu werden. Der New Yorker Soziologe leitet den Studiengang für "Masculinities", Männlichkeit im Plural also, an der Universität Stony Brook.
    "Die Idee, ein echter Mann zu sein. Stark. Stoisch. Nie deine Gefühle zu zeigen. Nie Schwächen einzuräumen. All das bedeutet: Männer gehen viel seltener zu Routineuntersuchungen. Sie beklagen sich seltener über ihre Gesundheit, bis es so schlimm wird, dass sie sich kaum noch bewegen können."
    Kurz: "Boys don‘t cry" - Jungen weinen nicht.
    Der Schriftsteller Jack Urwin hat ein Buch mit genau diesem Titel geschrieben.
    "Die Unmöglichkeit über Gefühle zu reden, - darum geht's. Das gilt auch für meinen Vater. Das hatte großen Anteil daran warum ich glaube: Er hätte nicht so früh sterben müssen. Wenn er nur mit meiner Mutter oder einem Arzt offener über seine gesundheitlichen Probleme gesprochen hätte."
    Richard Urwin starb mit 51 Jahren unverhofft an einem Herzinfarkt. Er wusste sehr wohl von seinen Brustschmerzen, sonst aber niemand.
    Männlichkeitsideale in Erziehung, Werbung, Militär
    Urwin verfolgt die Ursachen solcher vermeintlichen Männlichkeitsideale von Erziehung über Werbung bis hin zum Militär. Und schreckt den Leser mit Zahlen wie diesen auf:
    "Gucken Sie sich die Unterschiede bei den Selbstmordraten von Frauen und Männern an: Männer begehen in der westlichen Welt drei- bis viermal so häufig Selbstmord wie Frauen."
    "Da gibt es einige Punkte. Da gibt es die mit Stress zusammenhängenden Krankheiten. Weil man so angespannt ist, so verkrampft, dass der Stress zunimmt, aber man sich nicht darum kümmert. Bluthochdruck. Herzinfarkt. Schlaganfall. Bei all dem gibt es eine Geschlechter-Diskrepanz zwischen Männern und Frauen."
    Männer haben eine um sieben Jahre kürzere Lebenserwartung als Frauen, sagt der Soziologe Michael Kimmel.
    "Obwohl: Wenn man - und das ist ein großes Thema hier in den USA - gewalttätige Tode durch Waffen herausrechnet; wenn man tödliche Autounfälle wegen Alkohols herausrechnet: Dann sind es nicht mehr sieben Jahre, eher vier."
    Der Mann auf der Suche nach Gesundheit könnte zu einem Magazin greifen, das genau das im Titel verspricht.
    Trump "ist die toxische Männlichkeit in Person"
    "Wenn man ein Magazin sieht, das 'Men’s Health' heißt, und dessen einziger Ratschlag ist, wie man seine Bauchmuskeln stärkt, wie man mehr trainiert, sodass man eine 'mächtige Maschine' wird - ich zitiere dabei deren Worte - dann ist das kein Rezept für Gesundheit. Niemand ist eine Maschine. Man sollte doch jemand sein, der Liebe und Mitgefühl spürt. Genauso wie Verletzlichkeit und Schwäche. Das eine geht nicht ohne das andere."
    US-Präsident Donald Trump vor seiner Rede über das Atomabkommen mit dem Iran.
    US-Präsident Donald Trump (dpa-Bildfunk / AP / Susan Walsh)
    Mann-Sein ist Biologie. Mann-Sein, sagt der Soziologe, ist Konzept. Ist Perfomance. Ein Rollenspiel. Und deshalb veränderbar, beeinflussbar, so wie viele Männlichkeitsmodelle von Metrosexualität bis hin zum achtsamen Mann zeigen. Eine Erkenntnis, die Michael Kimmels Sohn - und da ist er ganz stolzer Vater - bereits mit sechs Jahren gehabt habe. Mann zu sein bedeutet nicht wirklich ein harter Kerl zu sein, sondern den harten Kerl zu geben. Mehr als Mann es wirklich ist.
    Was der Sechsjährige weiß, muss ein 71-jähriger Präsident noch lange nicht wissen. Dieser Überzeugung ist jedenfalls Schriftsteller Jack Urwin.
    "Er ist die toxische Männlichkeit in Person. Ich schreibe ja davon, dass Unsicherheit so viel des schlimmen männlichen Verhaltens verursacht. Und Donald Trump ist wirklich der Inbegriff all dessen. Ständig fühlt er sich oder seine Männlichkeit bedroht."
    (*) Anmerkung der Redaktion: Wir haben an dieser Stelle eine falsche Schreibweise des Namens korrigiert.