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Zur Brillanz verdichtete Sprachsparsamkeit

Wenn Literaturhistoriker über Literatur schreiben, ist das oft keine besonders vergnügliche Lektüre. Äußern sich hingegen Medienwissenschaftler über ihre vergleichsweise junge Sparte, darf man einen kreativen Umgang mit akademischen Regeln erwarten.

Von Florian Felix Weyh | 02.04.2008
    Denn das war schon bei Walter Benjamin so, dem heimlichen Urahn des Faches, setzte sich über Marshall McLuhan und Friedrich Kittler bis zu Norbert Bolz fort. Längst zu universitären Ehren gekommen, steckt dem Fach der essayistische Ansatz noch immer in den Gliedern, was ihm freilich nicht zum Nachteil gereicht: "Medien sind ein äußerst suggestiver Gegenstand", notiert Hartmut Winkler, "voll von Widersprüchen, Einzelfällen und Kuriositäten" Und das inspiriert den Paderborner Professor dazu, ein Lehrbuch in ein Lehrstück zu verwandeln, wie man akademische Sujets so aufbereitet, dass sie auch Laien fesseln.

    Sieben Kapitel umfasst das Winklersche "Basiswissen Medien", denen jeweils eine kurze Definition zugrunde liegt. Etwa dem ersten Kapitel der Satz "Medien sind Maschinen der gesellschaftlichen Vernetzung" oder dem sechsten "Medien sind Zeichenmaschinen und arbeiten mit Codes." Das klingt banal, doch lenken ebensolche Zeichen, geheimnisvolle schwarze und graue Quadrate, den Blick des Lesers ans Fußende jeder Seite. Buchstaben stehen dort auch, manchmal FL, stets K und R. Während FL in Newspeech-Akademisch "fast lane" heißt (also Überholspur) und den Leser zum Überblättern von Passagen animiert, gehören K und R zusammen mit den Quadraten zu einem Instrument, das auf Papier nachstellt, was an elektronischen Geräten die Leuchtdiodenreihe ist. K steht dabei für "Konsens" innerhalb der Fachgemeinde, R für "Relevanz", also Wichtigkeit des jeweiligen Stichworts. Während letzterer Wert vom Autor selbst vergeben wird, unterwirft er sich bei der Konsensfrage anständigerweise dem Urteil zweier Kollegen, was gleich zu Beginn des Buches ein kurioses Ergebnis zeitigt: Eben jene sieben Basisdefinitionen, die das Buch gliedern, erhalten ein einziges schwarzes Quadratchen von den peniblen Fachjuroren: innerbetrieblicher Konsens? Nicht gegeben. Das kann ja heiter werden.

    Und es wird durchaus heiter in diesem originellen Lehrbuch, das gerne mal anschauliche Beispiele gebraucht: "Will man einem Hund eine Tablette geben, versteckt man sie in einer Wurst", heißt es beispielsweise übers Geschäftsmodell des Privatfernsehen mit seiner bitteren Pille Werbung. Warum kulturindustrielle Prozesse immer auf die Bildung eines Mainstreams hinauslaufen, erläutert Hartmut Winkler anhand eines Hamsternestes, und der janusköpfige Werkzeugcharakter technischer Medien hört sich so an: "Man kann mit einem Kofferradio auch Nägel in die Wand schlagen." Dieser aphoristische bis komödiantische Stil ist einer weiteren Formalie geschuldet, die Winkler streng durchexerziert: ein Gedanke pro Seite - pro Gedanke eine Seite. Wenn Medienwissenschaft ein unübersichtliches Terrain darstellt - darüber besteht Konsens -, hilft nur die rigorose Parzellierung. Genau die betreibt der Autor unerbittlich, kein Stichpunkt wächst über die ihm zugewiesene Seite hinaus. Ob das recht getan ist, weiß der Leser immer gleich, denn neben der Paginierung spricht das Relevanzo- und Konsensometer sein nüchternes Urteil - womit ein anderer Winklerscher Satz untermauert wäre: "Medien kann man nur mit Hilfe von Medien beobachten" ... und bewerten, in einer endlosen Spirale freilich, denn auch die Relevanz des Konsensus ließe sich beckmesserisch anzweifeln.

    Einerlei, man merkt dem Lehrbuch an, dass es für den Autor keine Pflichtübung war, er im Gegenteil beim Schreiben Spaß haben wollte. Dieser Funke springt auf den Leser über. Hartmut Winkler schafft es, ein schwieriges, komplexes, widersprüchliches Wissensgebiet ohne Niveauverluste lesbar zu vermitteln, wozu auch viele absonderliche Illustrationen beitragen. Selbst in den Niederungen der abstrakten Zeichentheorie oder bei den Grabenkämpfen verschiedener medientheoretischer Schulen bleibt das Unterfangen geistig anregend. Nur die "fast lane", die studentischen Effizenzlesern einen rasanten Weg zum Oberflächenwissen leiten soll, ist eine gefährliche Sache: Fast kann man wetten, dass der Paderborner Professor niemanden zur Prüfung zuließe, der sich auf der Überholspur an vertieftem Wissen vorbeigemogelt hat. Denn für jedwedes Medienerzeugnis - darunter fallen auch Prüfungsarbeiten - gilt der nachgerade poetische Satz: "Das Produkt ist das Nadelöhr, durch das die gesamte Anstrengung hindurchmuss."

    Soll heißen: Oft sieht man einem Buch, einem Film, einer CD kaum den Aufwand an, der in ihr steckt. Ein paar Zeilen auf einer dreiviertel leeren Seite signalisieren daher nicht Faulheit - sondern zur Brillanz verdichtete Sprachsparsamkeit.

    Hartmut Winkler: "Basiswissen Medien"
    S.Fischer Verlag