Donnerstag, 25. April 2024

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Zur Kritik an der Türkei
"Eine unglaubliche Medienkampagne"

Der AKP-Abgeordnete Mustafa Yeneroglu beklagt eine "unglaubliche Arroganz", die in Deutschland die öffentliche Diskussion über die Türkei und das geplante Verfassungsreferendum beherrsche - "fernab von jeglicher Wahrheit". Eine solche Situation habe er hier zuvor noch nicht erlebt, sagte Yeneroglu im DLF.

Mustafa Yeneroglu im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 02.03.2017
    Mustafa Yeneroglu, Vorsitzender des Menschenrechtsausschusses des türkischen Parlaments bei einer Pressekonferenz
    Mustafa Yeneroglu, Vorsitzender des Menschenrechtsausschusses des türkischen Parlaments (imago stock&people)
    Dirk-Oliver Heckmann: Seit Tagen wird in Deutschland darüber debattiert, ob man Präsident Erdogan und Mitgliedern der türkischen Regierung einen Auftritt in Deutschland erlauben sollte oder nicht. Herr Yeneroglu, wie würde denn Erdogan reagieren, wenn ihm die Einreise verweigert würde?
    Yeneroglu: Zunächst einmal steht gar nicht im Raum, ob Herr Erdogan im Rahmen des Referendums überhaupt nach Deutschland kommt oder nicht. Es gibt hier eine Diskussion in Deutschland, die fernab von jeglicher Realität, die fernab von jeglicher Wahrheit in Bezug auf das Referendum ist. Ich habe eine solche Situation in Deutschland noch nie erlebt. Ich kann nur konstatieren, dass man nur auf Grundlage von tatsächlichen Gegebenheiten, von Wahrheiten diskutieren kann, wenn man sachlich bleiben möchte. Ansonsten haben wir im Moment eine unglaubliche Medienkampagne, die mit allen möglichen Unwahrheiten und so weiter transportiert wird, dass man dazu eigentlich gar nicht mal mehr Stellung zu nehmen braucht.
    "Man meint, auf jede Geschichte in der Türkei Einfluss nehmen zu dürfen"
    Heckmann: Aber was ist denn unsachlich, wenn ein Politiker sagt: Wenn hier in Deutschland ein anderer Politiker eines anderen Landes auftreten möchte und eine Rede halten möchte, Wahlkampf machen möchte, dann geht das nur, wenn er zu Hause auch Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Meinungsfreiheit hochhält?
    Yeneroglu: Das tut er auch. Es ist eine unglaubliche Arroganz, die hier überhaupt die öffentliche Diskussion beherrscht, dass man meint, quasi auf jede einzelne Geschichte in der Türkei einen Einfluss nehmen zu dürfen, den man sich zum Beispiel gegenwärtig in Ägypten überhaupt nicht erlaubt. Die Kanzlerin befindet sich gerade in Ägypten, wo tagtäglich gefoltert wird, wo tausende von Menschen in Gefängnissen sind, wo hunderte von Journalisten quasi überhaupt nicht berichten dürfen. Und wenn wir über die Türkei berichten: Sie sprechen zum Beispiel von Alleinherrschaft …
    Heckmann: In der Türkei sitzen hunderte Journalisten in Haft.
    Yeneroglu: Sie sprechen zum Beispiel von Alleinherrschaft. Zum einen steht überhaupt gar nicht im Raum, ob Herr Erdogan diese Befugnisse, wenn das Volk dem zustimmt, bekommt, sondern es wird zunächst einmal über Befugnisse für den Präsidenten nach November 2019, der dann gewählt wird, entschieden und nicht jetzt schon. Und überhaupt, was Inhalte des Vorschlags der AK-Partei sind: Wir diskutieren über Dinge, die es so gar nicht gibt.
    "In Deutschland dürfen PKK-Ersatzorganisationen wüten"
    Heckmann: Von Alleinherrschaft habe ich nicht gesprochen gerade eben. Aber selbst der deutsche Bundespräsident Gauck, der hat ja gesagt, er habe Zweifel, ob die Türkei ein Rechtsstaat bleiben wolle, und Außenminister Gabriel, der sagte, der Fall Yücel, um darauf zurückzukommen, der sei die stärkste Belastungsprobe in der Geschichte zwischen der EU und der Türkei. Sehen Sie das eigentlich auch so?
    Yeneroglu: Die stärkste Belastungsprobe, die haben wir schon seit Jahren, und die Türkei geduldet sich. Wenn hier PKK-Ersatzorganisationen im Land wüten dürfen, wie es unmöglich ist, dann stellt sich die Frage, warum Deutschland meint, erst mit der Inhaftierung eines Journalisten diese historische Belastungsprobe zu haben. Wir haben diese schon längst!
    Heckmann: Die PKK steht hier in Deutschland auf der Liste der Terrororganisationen.
    Yeneroglu: Ja, das interessiert aber in der Vollstreckung niemanden. Die PKK agitiert wie es beliebt und niemand greift ein. Das können Sie überall in Deutschland auf den Straßen erleben. Überall gibt es Propagandazelte. Aber ich möchte jetzt das Thema nicht ändern. In Bezug auf Deniz Yücel: Es hat ein Gericht in der Türkei, ein unabhängiges Gericht, so wie es auch täglich in Deutschland jedes andere Gericht tut, entschieden, und dies ist in erster Linie zu respektieren.
    Türkische Gerichte "mindestens so unabhängig wie deutsche"
    Heckmann: Ist das so unabhängig, dieses Gericht? Sind die Gerichte in der Türkei so unabhängig? Viele haben Zweifel daran.
    Yeneroglu: Mindestens so unabhängig wie die Gerichte in Deutschland, ja. Wenn wir überhaupt den Besuch von Staatsführern davon abhängig machen wollen, wie viele Staatsbürger des jeweiligen Landes im Gefängnis inhaftiert sind, dann dürften wahrscheinlich überhaupt keine deutschen Staatsbürger in die Türkei einreisen, denn es ist bestimmt so, dass viel mehr türkische Staatsbürger in Deutschland inhaftiert sind als Deutsche in der Türkei.
    Heckmann: Deniz Yücel hat sich aber selbst gestellt und da sagen einige, da hätte man doch durchaus auf die Untersuchungshaft verzichten können. Und Sie selbst haben sogar auch Zweifel angemeldet, ob das die richtige Entscheidung gewesen ist.
    Yeneroglu: Aber trotzdem können Sie doch nicht von Parametern ausgehen, von denen das Gericht nicht ausgehen kann. Das Gericht entscheidet auf Grundlage der Gesetzgebung, die da ist, und da gibt es nicht das Parameter, ob mit der Entscheidung des Gerichtes deutsch-türkische Beziehungen belastet werden könnten oder nicht.
    Fall Yücel: "Propagandabegriff zu weit ausgelegt"
    Heckmann: Das heißt, ein Journalist, der berichtet, der mit einem PKK-Vertreter ein Interview führt und das veröffentlicht, oder einen Witz wiedergibt in seiner Berichterstattung, der muss damit rechnen und nicht nur damit rechnen, sondern der landet im Gefängnis?
    Yeneroglu: Das ist eine inhaltliche Frage. Letztendlich habe ich das inhaltlich selbst auch kritisiert. Ich gehe davon aus, habe ich gesagt, dass nach den mir vorliegenden Berichten offenbar es so gewesen ist, dass der Propagandabegriff zu weit ausgelegt worden ist, dass darüber hinaus auch formaler Art zum Beispiel Pressedelikte maximal in vier Monaten verjähren und in dem gegenständlichen Fall offenbar das Gericht von Grundlagen ausgegangen ist, die mir so nicht bekannt sind. Und ich gehe davon aus, dass demnächst ein Außervollzugsetzungsantrag der Anwälte kommen wird und dann das Gericht beziehungsweise die höhere Instanz noch mal darüber entscheiden wird. Aber unabhängig von dem Ganzen, so wie in Deutschland die Gerichte unabhängig, fern ab von politischen Einflussmöglichkeiten entscheiden, ist das auch in der Türkei genau der Fall, und dazu gibt es nicht den geringsten Respekt inzwischen in Deutschland.
    Heckmann: Wir haben darüber gesprochen. Wir haben Ihnen auch die Sendezeit hier im Deutschlandfunk eingeräumt, um Ihre Position hier zu hören, und das ist auch wichtig. Mustafa Yeneroglu war das, der Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im türkischen Parlament. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.
    Yeneroglu: Danke auch. Tschüss.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.