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Zur Lage der Dresdner Philharmonie
Orchesterstreit im Elbflorenz

Es war ein Paukenschlag, der vor zwei Wochen das Kulturleben in Dresden erschüttert hat: Michael Sanderling, Chefdirigent der Dresdner Philharmonie, möchte seinen Vertrag nach 2019 nicht mehr verlängern. Ist die neue Etatkürzung schuld daran - oder gibt es noch andere Gründe?

Von Claus Fischer | 12.12.2016
    Mitglieder der Dresdner Philharmonie sitzen vor der Spielstätte
    Bald ohne Sanderling: die Dresdner Philharmoniker (Dresdner Philharmonie / Nikolaj Lund)
    "Die Summe von 250 000 Euro ist – angesichts eines Gesamtetats von knapp 18 Millionen - sicher zunächst mal nicht so gravierend für die Öffentlichkeit", sagt Michael Sanderling. "Aber in Anbetracht der Tatsache, daß ein Großteil des Etats, den wir haben, tariflich gebunden ist – der ist also unantastbar – sprechen wir über 250.000 Einsparungen aus einem Topf, der gerade mal zwei Millionen groß ist. Und dann sind wir plötzlich bei einer zweistelligen Prozentsumme, um die es hier in der Reduktion des Budgets geht."
    Das hätte gravierende Auswirkungen auf den Spielplan des Orchesters, zum Beispiel auf die Möglichkeit, renommierte Gastsolisten und –dirigenten zu engagieren.
    Sanderling erfuhr von der Kürzung aus der Zeitung
    So sah sich Michael Sanderling gezwungen, mit der Kündigung seines Vertrags zum Juli 2019 zu seinem, wie er betont, "schärfsten Argument" zu greifen. Besonders stört ihn, daß er im Vorfeld des Beschlusses nicht von der zuständigen Kulturbürgermeisterin Annekatrin Klepsch informiert wurde.
    "Ich hätte mir in der Stilistik schon gewünscht, daß wir die Chance bekommen hätten, nochmal zu erklären, was ein solcher Beschluß für uns bedeutet."
    Kai Schulz, der Pressesprecher der Stadt Dresden, betont, dass es in der Kürze der Zeit schlicht nicht möglich war, Michael Sanderling zu informieren.
    "Also das Problem, glaube ich, ist im Kern ja, daß wir alle, inklusive des Oberbürgermeisters, aber auch Frau Klepsch, im Grunde erst an dem Donnerstag der Stadtratssitzung ja tatsächlich erst wußten, daß diese Kürzung hineingenommen wird. Wenn man dann belegt, dass am Freitag die Zeitung erscheint, ist es nicht verwunderlich, dass Herr Sanderling das aus der Zeitung erfahren hat."
    Dieses Argument läßt Michael Sanderling nicht gelten; die Kulturdezernentin der Stadt hätte, so betont er, schon früher Bescheid gewußt, über das was sich da abzeichnete.
    Politischer Grabenkampf
    Und in der Tat sieht das Ganze nach einem bereits länger andauernden politischen Grabenkampf aus, zwischen Oberbürgermeister Dirk Hilbert von der FDP und der rot-rot-grünen Mehrheit im Stadtparlament.
    "Der Oberbürgermeister hat einen Haushaltsplan vorgelegt, von dem er natürlich auch der festen Überzeugung ist, dass der richtig ist", betont Stadtsprecher Kai Schulz. "Und er hat noch in der Sitzung versucht, als klar war, dass man hier Kürzungen vornehmen will, das zu verhindern, indem er einen Gegenvorschlag gemacht hat. Der ist aber von der Mehrheit des Stadtrates nicht akzeptiert worden."
    SPD, Grüne und Linkspartei wollten wohl ein Exempel statuieren und zeigen, daß in ihren Augen die freie Kunst- und Theaterszene stärker gefördert werden soll als bisher.
    "Es geht, glaube ich, hier um politische Prioritätensetzung und die darf und muß unterschiedlich sein können, ohne daß man immer gleich von politischen Grabenkämpfen spricht", meint Stadtsprecher Kai Schulz. Für den Noch-Chefdirigenten der Dresdner Philharmonie Michael Sanderling ist dieses Ausspielen von Hochkultur gegen Soziokultur ein problematischer Weg, zumal Dresden sich für 2025 um den Titel als europäische Kulturhauptstadt beworben hat.
    "In einer Zeit, wo wir alle wissen, dass Dresden in der Welt genau als Kulturmetropole angesehen wird. Und dass der gesamte Tourismus, von dem Dresden ja sehr stark abhängig ist und von dem Dresden sehr lebt, vielleicht auch dadurch attraktiv ist, weil es diese Kulturinstitutionen gibt."
    Rückendeckung bekam Michael Sanderling von der Deutschen Orchestervereinigung und dem Deutschen Musikrat. Für eine Stadt, die sich um den Titel Kulturhauptstadt Europas im Jahr 2025 bewerbe, seien solche politischen Charaden auf dem Rücken der Hochkultur indiskutabel. Doch das letzte Wort in der Sache ist noch nicht gesprochen.
    Sanderling besteht auf Kündigung
    "Der Oberbürgermeister wird noch einmal den Versuch im nächsten Stadtrat unternehmen, eine Lösung zu finden", betont Stadtsprecher Schulz. So könnten Mittel aus der Fördertöpfen für den Tourismus und für Großveranstaltungen umgeschichtet werden und der Philharmonie zugutekommen. Die entscheidende Sitzung findet am kommenden Donnerstag und Freitag statt. Aber selbst wenn im Sinne des Kompromissvorschlages von Oberbürgermeister Dirk Hilbert entschieden werden sollte, möchte Chefdirigent Michael Sanderling seine Entscheidung, in zwei Jahren zu gehen, nicht revidieren. Das Vertrauen in diese Stadtregierung sei irreparabel beschädigt:
    "An der Stilistik ist nun leider nichts mehr zu ändern."
    Daß hinter der Entscheidung Sanderlings noch andere Gründe stecken könnten, darüber wird in Dresden derzeit heftig spekuliert. Vermutungen kursieren, der Dirigent habe die Gunst der Stunde genutzt, da es Differenzen zwischen ihm und einigen Musikern des Orchesters gäbe. Außerdem verhandle er bereits mit dem Orchester der Tonhalle Zürich, dessen Chefposten 2019 frei wird.
    "Ich glaube, das ist ja bei Kulturschaffenden ähnlich wie bei Fußballspielern, dass man durchaus nach einer Zeitlang den Verein wechseln muß", konstatiert Dresdens Stadtsprecher Kai Schulz, "und insofern gibt’s das von unserer Seite auch nicht zu kommentieren."
    "Ich hab mit der Tonhalle Zürich über diese Fragen keinerlei Kontakt", sagt Michael Sanderling.
    "Wir haben Kontakt, weil ich sehr regelmäßig dort gastiere. Auch sehr gerne dort gastiere. Aber wenn ich richtig informiert bin, hat das Tonhalle-Orchester selbst noch überhaupt kein Gremium gebildet, um darüber zu befinden, wie es in der Zeit nach ihrem jetzigen Chefdirigenten weitergeht."
    Sanderling wird auf jeden Fall im April 2017 mit seinen Musikern in die angestammte Spielstätte, den dann sanierten Dresdner Kulturpalast, zurückkehren. Ob nun mit 250.000 Euro mehr oder weniger im Jahr wird sich am kommenden Donnerstag oder Freitag zeigen, dann tagt der Stadtrat erneut.