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Zur Lage der SPD
"Wir brauchen genau diesen Prozess der Erneuerung"

Die SPD will sich nach dem Debakel bei der Bundestagswahl neu aufstellen. "Dabei müssen wir ein Stück weit zulassen, dass es jetzt unterschiedliche Auffassungen auch mal im öffentlichen Raum gibt", sagt Thorsten Schäfer-Gümbel im Dlf. Zum Beispiel bei der Wahl zum Parteivorsitz. Der SPD-Vize spricht sich gegen eine Urwahl durch die Mitgliederbasis aus.

Thorsten Schäfer-Gümbel im Gespräch mit Stefan Heinlein | 07.11.2017
    Thorsten Schäfer-Gümbel (Stellvertretender Parteivorsitzender, SPD) bei der Vorstellung des SPD-Steuerkonzepts zur Bundestagswahl 2017 anlässlich einer Pressekonferenz im Atrium des Willy-Brandt-Hauses am 19.06.2017 in Berlin.
    Thorsten Schäfer-Gümbel, Stellvertretender Vorsitzender der SPD: "Martin Schulz würde ein gutes Ergebnis bekommen." (imago / Müller-Stauffenberg)
    Stefan Heinlein: Während in Berlin weiter versucht wird, die politische Landschaft schwarz-gelb-grün zu malen, sind die Roten nach wie vor auf der Suche nach sich selbst. Auf einer Reihe von Regionalkonferenzen versucht die SPD derzeit, das historische Wahldebakel aufzuarbeiten. Anfang Dezember dann entscheiden die Genossen auf einem Parteitag über die neue Führungsmannschaft. Parteichef Martin Schulz will sein Amt verteidigen. Dafür präsentierte er gestern in Berlin seine inhaltlichen Vorstellungen für eine Erneuerung der Partei.
    Am Telefon Thorsten Schäfer-Gümbel, SPD-Chef in Hessen und auch stellvertretender Bundesvorsitzender seiner Partei. Guten Morgen, Herr Schäfer-Gümbel.
    Thorsten Schäfer-Gümbel: Schönen guten Morgen. Ich grüße Sie.
    Heinlein: Künftig eine Urwahl des Parteivorsitzenden ab 2019. So will es Martin Schulz. Greift Martin Schulz jetzt zum letzten Strohhalm, um im Amt zu bleiben?
    Schäfer-Gümbel: Nein. Es gibt einfach eine Reihe von Vorschlägen, wie man Beteiligung und Teilhabe in der SPD erweitert. Das ist aus meiner Sicht übrigens erst mal nicht eine Frage von formalen Strukturen, sondern auch von Führungskultur innerhalb der SPD. Da haben wir sicherlich auch noch ein bisschen nachzuholen. Deswegen werden wir in den nächsten Wochen über die unterschiedlichen Vorschläge sprechen.
    Wenn ich kurz korrigieren darf? In Ihrem Beitrag war von einer Urwahl die Rede. Damals gab es eine Mitgliederbefragung für eine Empfehlung auf dem Parteitag, formal etwas völlig anderes. Das ist übrigens auch ein Teil der Fragen, die wir jetzt klären müssen, welchen Charakter wollen wir in solchen Teilhabeprozessen, und das besprechen wir jetzt in aller Ruhe.
    Bei der Kanzlerkandidatur wäre Urwahl eine Option
    Heinlein: Was ist denn Ihre Meinung? Finden Sie den Vorschlag gut?
    Schäfer-Gümbel: Mich persönlich überzeugt das nicht. Das hat einen ganz einfachen Grund. Ich bin sehr dafür, dass wir bei der Kanzlerkandidatur, bei einer Einzelposition über Instrumente der Abstimmung des Mitgliederentscheids ausdrücklich reden. Das Problem bei einer Vorsitzendenwahl ist, dass Sie dann in einem Kollektivgremium, das der Parteivorstand ist, genauso wie das Präsidium, zwei unterschiedliche Legitimationsebenen einführen. Das heißt, entweder die gesamte Führung wird in einer Urwahl gewählt, oder alle über das Delegiertenprinzip. Und wie man das am Ende löst, das werden wir jetzt in aller Ruhe besprechen. So haben wir uns verabredet.
    Heinlein: Sie sind nicht der einzige, Herr Schäfer-Gümbel, der diesen Vorschlag von Martin Schulz kritisiert. Es gibt auch andere Stimmen aus der Spitze der SPD, die dagegen sind. Hat Martin Schulz da eine einsame Entscheidung getroffen und es nicht abgestimmt mit seinen Kollegen im Parteivorstand?
    Schäfer-Gümbel: Ich glaube, dass die Interpretationen auch in Teilen des Beitrags immer ein schräges Bild auf unsere Lage werfen. Wir diskutieren im Moment sehr offen unterschiedliche Vorschläge. Das ist übrigens das, was häufig auch gewünscht wird, dass das mal Führung tut, dass unterschiedliche Vorstellungen auf den Tisch gelegt werden, dass wir dann darüber reden, was sind die Vor- und die Nachteile, und dann wird es am Ende ein Ergebnis geben.
    Wenn Politik immer so funktionieren würde, dass man hinter verschlossenen Türen alles Mögliche miteinander bespricht, anschließend immer ein fertiges Ergebnis macht und vorstellt, wird das genau den Anspruch, den wir gemeinsam alle miteinander haben, nämlich Teilhabe zu verbessern, mehr Mitsprache von Mitgliedern gerade auch bei sachpolitischen Fragen zu organisieren, in sein Gegenteil verkehren. Deswegen kann ich die latente Dramatik in der Berichterstattung nicht nachvollziehen.
    "Wir haben aktuell kein Führungsproblem"
    Heinlein: Wenn ich Ihre Worte, Herr Schäfer-Gümbel, aber richtig interpretiere, dann hat die SPD derzeit aktuell ein Führungsproblem.
    Schäfer-Gümbel: Nein! Wir haben ganz sicherlich das Problem gehabt in der Vergangenheit, dass teilweise Entscheidungen nicht gut genug vorbereitet waren. Da rede ich jetzt ausdrücklich nicht über die letzten drei Monate oder zwei Monate, sondern ich rede über die letzten Jahre. Das muss sich verändern und von Neuanfang verstehe ich als hessischer Landes- und Fraktionsvorsitzender nun ausdrücklich viel. Wir haben nach einer bitteren Niederlage 2008, wo wir viele Fehler gemacht haben, selber gemacht haben, wieder Vertrauen aufgebaut, die Partei neu strukturiert, und diese Erfahrungen bringe ich jetzt auch mit in diesen Prozess ein.
    Die wesentlichen Elemente dabei sind Teilhabe, ist Vertrauensrückgewinnung. Dazu braucht man vor allem Transparenz und auch Klarheit. Das ist, glaube ich, das, was sich uni sono alle in der Parteiführung auch wechselseitig einig sind, dass wir genau diesen Prozess der Erneuerung brauchen. Dabei müssen wir ein Stück weit auch zulassen, dass es jetzt unterschiedliche Auffassungen auch mal im öffentlichen Raum gibt, weil es kein fertiges Konzept gibt, das man jetzt aus der Schublade zieht und sagt, so ist es jetzt und dann wird alles gut. Das gilt auch mit Blick auf die inhaltlichen Fragen. Insofern erwarte ich auch in den nächsten Wochen weitere Diskussionen.
    "100 Prozent würde Schulz sicher nicht bekommen"
    Heinlein: Über die Inhalte, Herr Schäfer-Gümbel, müssen wir gleich noch reden.
    Schäfer-Gümbel: Gerne.
    Heinlein: Nennen Sie mir zuvor noch mal eine Zahl. Wenn es jetzt schon eine Urabstimmung geben würde und nicht erst 2019 vielleicht über den Parteivorsitz, wieviel Prozent würde denn wohl Martin Schulz bekommen von der Basis? Wohl weniger als die 100 Prozent auf dem Parteitag zuletzt.
    Schäfer-Gümbel: Ich glaube, 100 Prozent Ergebnisse wird es nach den Interpretationen des Parteitages auch nie wieder geben. Es wird sich immer in Zukunft jemand finden, der demonstrativ dagegen stimmt, damit wir nicht so schräge Debatten wieder bekommen.
    Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD, r) und der SPD-Vorsitzende Martin Schulz kommen zu einer Regionalkonferenz der SPD in Hamburg. 
    Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD, r) und der SPD-Vorsitzende Martin Schulz kommen am 28.10.2017 zur Regionalkonferenz der SPD in Hamburg. (dpa, Daniel Reinhardt)
    Heinlein: Wieviel Prozent würde er bekommen?
    Schäfer-Gümbel: 100 Prozent würde er ganz sicherlich nicht bekommen. Die würde nämlich niemand mehr bekommen. Aber er würde ein sehr gutes Ergebnis bekommen.
    Heinlein: Was ist denn ein gutes Ergebnis?
    Schäfer-Gümbel: Ach, lassen Sie uns doch jetzt nicht über Prozentsätze reden. Das weiß ich doch nicht, ob das am Ende 80, 85, 70 Prozent sind. Das ist wirklich Spekulation. Aber es wird ein sehr gutes Ergebnis sein.
    Heinlein: Dann reden wir über die Inhalte, Herr Schäfer-Gümbel. Das scheint, Ihr Herzensanliegen zu sein.
    Schäfer-Gümbel: Sehr! – Immer!
    "Erneuerungsprozess wird mehr als vier Wochen dauern"
    Heinlein: Gestern in diesem Leitantrag hatte ich den Eindruck, wenn ich es richtig gelesen habe, da gab es mehr Fragen als Antworten, und man hat auch den Eindruck, dass nicht Martin Schulz, sondern Olaf Scholz derzeit die inhaltliche Arbeit der SPD übernimmt.
    Schäfer-Gümbel: Wir haben klar in der Führung verabredet, dass wir jetzt auch aus dem Kreis der engeren Parteiführung unterschiedliche Vorschläge vorbereiten, um diese Programmdebatte auch zu beleben. In dem Kontext haben sich beispielsweise gestern die Präsidien der hessischen und rheinland-pfälzischen SPD zusammengesetzt. Auch wir werden in den nächsten Tagen einen gemeinsamen Antrag für den Bundesparteitag präsentieren. Und wir brauchen jetzt diese Breite der Debatte.
    Gleichzeitig ist es so, dass wir versprochen haben, dass wir die Ergebnisse nicht nur aus den Dialogveranstaltungen, also den Basisrunden, die wir im Moment bundesweit machen, plus dem, was aus der Partei insgesamt kommt und auch von Freundinnen und Freunden in gesellschaftlichen Organisationen, denen die Politik der Sozialdemokratie wichtig ist, aufnehmen in den Leitantrag. Deswegen ist völlig klar, dass der Entwurf des Leitantrages, der am Anfang dieses Prozesses steht, noch nicht alles aufnehmen wird und aufnehmen kann, sondern auch wichtige Fragen stellt. Dieser Erneuerungsprozess wird mehr als vier Wochen dauern, wenn er am Ende ein glaubwürdiger sein soll, weil es nicht darum geht, in irgendwelchen Leitanträgen mal zwei flotte Sätze zu formulieren, sondern erkennbar zu machen, dass wir eine andere Politik machen.
    Scholz-Papier - "Sehr klug und fundiert"
    Heinlein: Herr Schäfer-Gümbel, Sie haben den letzten Teil meiner Frage wahrscheinlich bewusst ignoriert. Deswegen wiederhole ich ihn noch einmal. Macht Olaf Scholz gerade die inhaltliche Arbeit von Martin Schulz?
    Schäfer-Gümbel: Ich habe Ihre Frage beantwortet, indem ich gesagt habe, dass wir verabredet haben, dass alle aus der inneren Führung jetzt Vorschläge machen sollen. Das ist präzise verabredet worden vor 14 Tagen. Olaf Scholz hat sicherlich ein sehr fundiertes und kluges Papier vorgelegt mit sehr vielen richtigen Positionen. Andere Kolleginnen und Kollegen wie zum Beispiel Ralf Stegner sind nachgefolgt und wir werden auch als Hessen jetzt mit Rheinland-Pfalz zusammen nachlegen.
    Heinlein: Und man kann die Äußerungen von Olaf Scholz durchaus auch interpretieren als eine Bewerbung für den SPD-Vorsitz?
    Schäfer-Gümbel: Interpretieren können Sie alles, was Sie möchten. Das sind wir gewohnt. Aber wir werden am Ende gemeinsame Entscheidungen treffen, und das werden Sie spätestens am 20. November, wenn wir den Parteitag vorbereiten, auch sehen.
    Heinlein: Wir sind gespannt. – Herr Schäfer-Gümbel, noch zu einem Thema ganz kurz zum Schluss in diesen Tagen, das mehr Aufmerksamkeit wohl bekommt als die Nabelschau der SPD: Die Suche nach einer neuen Koalition für den Bund. Sie haben die Gespräche als substanzlos kritisiert. Was würden Sie denn besser machen?
    Schäfer-Gümbel: Na ja, wir würden die wirklich wichtigen Fragen, sichere Rente, Arbeitsmarktpolitik, Gesundheitspolitik, bezahlbares Wohnen, konkret unterlegen, so wie wir es auch in den letzten vier Jahren in der Regierung getan haben. Wir haben ja im Bundestagswahlkampf viele Vorschläge vorgelegt, wo wir glauben, dass nachgelegt werden muss. Bisher bleibt von diesen Sondierungsverhandlungen das bräsige Winken vom Balkon in Berlin. Am Ende werden die sich trotzdem zusammenraufen. Da bin ich ziemlich sicher. Man hat ja im Wahlkampf schon gesehen, dass insbesondere bei Bündnis 90/Die Grünen der Wille, mit den Schwarzen zu regieren, sehr stark ausgeprägt ist, selbst wenn die letzte Hürde die Mitgliedschaft von einigen Grünen-Mitgliedern in der Union sein sollte. Diese Widerstände werden überwunden, weil man zusammen regieren will. Ob da inhaltlich was rauskommt, da bin ich sehr skeptisch.
    Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Morgen SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Schäfer-Gümbel: Herzlichen Dank! - Schönen Tag noch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.