Meurer: Haben Sie gestern noch Gäste gehabt?
Hagemann: Die letzten Gäste, die wir hatten, das war letzten Samstag, um 12.00 Uhr. Sie hatten Stammtisch wie jeden Samstag in meinem Lokal. Und das war auch noch sehr lustig, es ging sehr hoch her. Wir sangen sehr viele Trullallas, das heißt, da muss immer eine Runde ausgegeben werden. Aber das ist ja auch egal und plötzlich mussten wir sehr schnell unser Restaurant verlassen, weil unsere Wachleute, die den Eingang des Restaurants bewachen, sagten, ihr müsst jetzt gehen, es wird hier allmählich heiß. Dann sind wir erst mal raus gegangen und haben gesehen, dass Riesen Menschenmengen schon unterwegs sind. Wir wussten aber nicht, was sie machen wollten. Aber als dann die ersten Scheiben eingeworfen wurden, haben wir es gewusst, denn ich bin ja schon 27 Jahre hier, und in den letzten vier Jahren hat sich so etwas beinahe jährlich wiederholt, nur jedes mal ein Grad verstärkter. Dieses Mal sind wir an einem Punkt angelangt, dass nicht nur Franzosen - gegen die sich das in erster Linie richtet - sondern auch allgemein Weiße das Land verlassen sollen.
Meurer: Sind Sie persönlich bedroht worden?
Hagemann: Mehrere Male, ja.
Meurer: Wie sah das aus?
Hagemann: Jeder, der eine weiße Haut hat, ist bedroht, wenn er sich auf die Strasse traut. Das galt auf jeden Fall noch bis gestern. Selbst wenn ich von meiner Terrasse runterschaue auf die Strasse und ein Schwarzer, ob das ein 13,14-jähriger Bub oder Mädel ist oder ein älterer Herr oder irgendwer und mich da oben sieht, dann machen sie Zeichen mit den Händen wie Gurgel durchschneiden, aufhängen oder erschießen - also man ist sehr beliebt hier im Moment.
Meurer: Umso mehr die Frage, ist es das wirklich wert, das Restaurant zu schützen und das Leben aufs Spiel zu setzen?
Hagemann: Ich kann das Restaurant ja gar nicht schützen. Das ist ja gar nicht möglich. Ich müsste dahin. Das ist von hier aus ungefähr ein Kilometer. Ich sitze mitten in diesem Zentrum, das, was Sie auch immer im Fernsehen sehen. Das ist in "Cocody", das war mal das vornehmste Viertel, das Botschaftsviertel, die Residenzen von den Botschaften von allen internationalen Organisationen, eine hübsche Gegend.
Meurer: Was tut sich da im Moment bei Ihnen vor der Tür?
Hagemann: Im Moment tut sich gar nichts, denn jetzt sind nur noch diese sittings seit gestern Nacht angesagt, das heißt, die ganze Nacht wummert das mit diesen riesigen Trommeln und großen Lautsprechern, Sympathiekundgebungen der jungen Patrioten für ihren Präsidenten. Es wird immer wieder dazu aufgerufen, dass man da hin soll, dass also auch die noch vorhanden Weißen dahin sollen und für den Präsidenten eben die Sympathiekundgebungen machen. Aber das ist etwas schwierig, denn die Weißen haben fast keine Autos mehr, die sind alle zusammengekloppt und die meisten haben auch sehr viel Besitzt verloren. Ihre Häuser wurden geplündert und es ist schon etwas grausam gewesen. Die letzten vier Nächte, das habe ich noch nie in meinem Leben erlebt, ich war auch in Kinshasa als es ein bisschen heiß war, aber so etwas habe ich noch nicht erlebt.
Meurer: Sie haben vorher erzählt, dass ein Nachbar von Ihnen überfallen worden ist, ausgeplündert wurde. Was ist da passiert?
Hagemann: Ich war in einer Residenz, keine Villa sondern fünfstöckige Wohneinheiten, die sehr gut abgesichert ist. In dieser Residenz hat ein Nachbar ein Architekturbüro, mit vielen Computern drin und was alles in ein großes Architekturbüro reingehört. Es war um 19.00 Uhr als ich Geräusche hörte und runter schaute in den großen Garten. Da wurden mit Eisenstangen die Türen aufgebrochen und in aller Ruhe das Zeug rausgeholt. Ich sagte: "Was ist denn da los?" Da hängte der seine Pistole hoch und sagte: "Wenn du nicht ruhig bist, kommen wir zu dir hoch und wir bringen dich sofort um". Dann rief ich die Polizei an, den Kommissar kenne ich - wir hier in Cocody sind alle wie eine kleine Familie - und der sagte: "Ja, was willst Du, das ich mache? Soll ich mit dem Auto fahren? Dann hauen sie mir mein Auto kaputt. Da wird eingebrochen, an tausend anderen Stellen wird auch eingebrochen und ja und?" Es ist ja auch wahr, was soll er machen? Seit Samstag sehen wir keinen Polizisten, kein Militär, kein Hubschrauber fliegt hier über Cocody und Plateau und Riveira, denn die Brücken zu den Lagunen sind abgeschottet von den Franzosen und der andere Teil Abidjans ist abgesichert.
Meurer: Überlegen Sie sich nicht doch, die Stadt zu verlassen?
Hagemann: Ich überlege es mir im Moment, aber ich werde sie vielleicht jetzt noch nicht verlassen. Vielleicht später, denn wenn alle Weißen weg sind, und mein Lokal ist nun mal ein deutsches und speziell sogar ein bayrisches Lokal, mit Schweinsbraten, Knödel und Weißbier und all solchen Sachen, aber es nützt ja alles nichts. Wenn eben keine Kunden mehr da sind. Ich bin der einzige, das muss ich auch sagen, dessen Lokal nicht kaputt gedroschen, ausgebrannt oder geplündert worden ist. Meine Sicherheitskräfte, die dort sind, sagen: "Die Menschen sind jetzt hier massiv vor der Tür und haben Hunger". "Na dann gib denen das, was noch im Restaurant ist. Und wenn wir nichts mehr haben..."
Meurer: Also die jungen Patrioten kriegen jetzt deutschen Schweinebraten von Ihnen?
Hagemann: Ja, den haben sie schon gegessen, das ist richtig, den hatten wir nämlich am Samstag noch gemacht und um ihnen zu zeigen, dass wir nichts mehr haben, haben wir die leeren Bier- und Limonadenkisten vor die Tür gestellt. Das war auch falsch. Die haben sie auch noch mitgenommen, die kann man ja irgendwo gegen Pfand wieder einsetzen. Na ja, ist ja auch egal. Das ist kein großer Verlust.
Meurer: Herr Hagemann, vielen Dank für das Gespräch.