Donnerstag, 25. April 2024

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Zur Medienkritik von Christian Drosten
Ein Perspektivwechsel muss her!

Der Virologe Christian Drosten habe recht mit seiner Kritik an Medien in Deutschland, kommentiert Antje Allroggen. Noch immer werde zu viel aus der Vogelperspektive berichtet und dabei übersehen, was gesellschaftlich gerade wirklich relevant sei.

Von Antje Allroggen | 01.04.2020
Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie am Charité, der Universitätsmedizin Berlin
Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie am Charité, der Universitätsmedizin Berlin (picture alliance/Michael Kappeler/dpa-pool/dpa)
"Wann können wir ins normale Leben zurückkehren?", fragt die Moderatorin aus dem NDR-Podcast am Montag Christian Drosten. Und spricht vielen von uns dabei aus der Seele, die wir schon nach nur einer Woche das zähe Leben in häuslicher Quarantäne satt sind. Was wohl darauf zurückzuführen ist, dass es uns, um mit Drosten zu sprechen, "gesellschaftlich immer noch ziemlich gut geht". Weil der Höhepunkt dieser Krise uns in Deutschland noch gar nicht wirklich erreicht hat.
Wann also ist dieser Spuk endlich vorbei? Drosten antwortet darauf nur indirekt. Er wolle sich in keinen Spekulationsbereich begeben. Und habe auf diese Frage schlichtweg keine Antwort. Weil er eben Wissenschaftler sei.
Eine solche Antwort ist erst einmal unbefriedigend. Nicht nur für "uns Medien". Sondern für jeden, der sich so etwas wie einen Erlöser wünscht, der uns aus dieser Krise ex cathedra bitte schnell und effizient befreien möge. Drosten tut uns diesen Gefallen leider nicht. Seit einiger Zeit hat er sei Profilbild auf Twitter ausgetauscht. War er dort vor kurzem noch im strahlend weißen Arztkittel zu sehen, trägt er jetzt nur noch ein rustikales Holzfällerhemd. Eine subtile Antwort auf seine Beobachtung, dass das "Bild von Wissenschaftlern" in den Medien belegt werde "mit Projektionen". Damit meint er die immer noch vorherrschende Vorstellung, ein Mensch im weißen Kittel sei ein Halbgott. Und wenn der dann auch noch gegen tödliche Viren kämpft, dann sei er sogar ein ganzer.
Virologe Drosten kritisiert Medien
Seit Beginn der Coronakrise ist Christian Drosten zu dem Gesicht der Wissenschaft in Deutschland geworden. Im erfolgreichen NDR-Podcast mit ihm hat der Virologe nun über die negativen Folgen gesprochen – und dabei auch Medienkritik geübt.
Auch "wir" reagieren viel zu pauschal
Wir Medien bedienen diese Projektionen gerne – etwa dann, wenn wir darüber spekulieren, ob Drosten Kanzler kann. Oder ob er uns alle nicht zu mehr Geduld verhelfen könne. Wir berichten auch darüber – und das sehr positiv –, dass Christian Drosten in der Lage ist, sich selbst zu korrigieren. Etwa, als er zunächst der Meinung war, es sei nicht richtig, die Schulen in Deutschland zu schließen und einige Tage später diese Ansicht komplett korrigierte.
Wenn Drosten dann aber – das war schon vor zwei Wochen – die Hauptstadt-Journalisten dazu ermahnt, ihr – in seinen Augen – reflexhaftes Fragen in Zeiten von Corona einfach mal zu lassen, dann heißt es dazu von "uns Medien": Ja, aber das ist doch unsere Aufgabe! Kein Gedanke dazu, ob "wir Medien" uns nicht auch einmal in Frage stellen könnten und bereit sind wie er als Wissenschaftler, Gesagtes zu revidieren.
So wie es gestern an dieser Stelle auf die Medienkritik von Drosten dann hieß, Christian Drosten schieße mit seiner Schelte weit über das Ziel hinaus. Dadurch, dass er alle Medien in einen Topf werfe, werde er ihnen nicht gerecht. Eine Reaktion, die aber viel zu kurz greift. Denn dadurch, dass wir Christian Drosten unterstellen, seine Medienkritik sei viel zu allgemein gehalten, müssen auch "wir Medien" uns den Vorwurf gefallen lassen, viel zu pauschal auf seine Kritik zu reagieren. Und wenn es dann von Journalisten sogar heißt, Drosten könne keine Kritik verstehen, dann entlarven "wir Medien" uns einfach als eine Berufsgruppe – ganz pauschal –, die unmittelbar zum Gegenschlag ausholt. Und dadurch die Gelegenheit verpasst, in Zeiten von Corona das eigene Verhalten kritisch zu hinterfragen.
"Weit über das Ziel hinaus"
Der Verband der Wissenschaftsjournalisten, WPK, hat die Medienkritik des Berliner Virologen Christian Drosten als zu allgemein zurückgewiesen. Drosten differenziere nicht, sagte WPK-Geschäftsführer Franco Zotta im Dlf. Damit werde er der Vielfalt der Medien nicht gerecht.
Chance für anderen Journalismus
Die Zeit journalistischer Eitelkeiten und Zuspitzungen sollte jetzt wirklich einfach mal vorbei sein. Denn auch "wir Medien" sind gegen dieses Virus nicht immun. Wenn wir auch systemrelevant sein mögen, sollten wir unsere gesellschaftliche Rolle in Zeiten wie diesen sehr selbstkritisch reflektieren. Stattdessen fühlen wir uns schnell gekränkt, was uns den Blick auf die katastrophale Lage leicht verstellt. Dann berichten wir scheinbar allwissend aus der Vogelperspektive oder emotionalisieren Dinge, die wir rational auch nicht verstehen. Und sehen dabei nicht, was gesellschaftlich gerade wirklich relevant ist.
Ein Perspektivwechsel muss also her. Zu Aktivisten müssen wir dabei nicht direkt werden. Sehen wir in der Krise doch auch die Chance für einen anderen Journalismus. Einen Krisenjournalismus, der auch nach Corona noch Bestand haben könnte. Und konstruktive Vorschläge dazu sollten jederzeit willkommen sein.