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Zurück in die Neunziger

Die Comedyserie mit den Kabarettisten Georg Schramm, den Missfits und Erwin Grosche ist in den 1990ern nie Kult geworden. Trotzdem zeigt sie auf beeindruckende Weise, wie sich die Medien und Gesellschaft in den letzten 20 Jahren verändert haben - und manche politischen Aufreger bis heute die gleichen geblieben sind.

Von Peter Backof | 30.04.2013
    "Das müssen wir doch Mark für Mark abbezahlen, jeder von uns! Und wenn die persönliche Buchführung nicht stimmt, dann kann auch der Staat nicht ran."

    Ja, die gute alte Mark. Und Georg Schramm in der Rolle des Attila Wutzke, der wohl zeitlose deutsche Klischeemann: der Erbsenzähler mit dem schmierigen Scheitel und den speckigen Lederflicken am Buchhalterärmel.

    "Da muss man sparen, eisern sparen! Was hast Du gesagt? Rausschmeißen hast du gesagt? Ich bin nicht rausgeschmissen worden, sondern ich bin im Einvernehmen mit dem Ministerium für gesamtdeutsche Fragen in den Ruhestand versetzt worden."

    Georg Schramm ist einer dieser Kabarettisten, bei denen man sich fragt: Ist der in echt auch so? Um so überzeugend einen abgehalfterten Staatsdiener spielen zu können, wie in der Comedy-Serie des Senders Freies Berlin, mit dem etwas aufgescheuchten Titel "Hühnerfieber". Die lief in den dritten Programmen der ARD 1992. Zehn Folgen erscheinen jetzt wieder, auf DVD.

    "Einen recht schönen guten Abend, meine sehr verehrten Damen und Herren."

    Garniert sind sie jeweils von einem After Talk im Studio, mit einem Moderatoren und den Darstellern der Familie Wutzke: Georg Schramm, Erwin Grosche als Sohnemann Jean-Paul, eine Art surreales Riesenbaby und den ehemaligen "Missfits" Stephanie Überall und Gerburg Jahnke, als schnippische Art Consulterin und Möchtegern-Glucke, respektive. Ein gepfeffertes Patchwork rund um den frühpensionierten Hahn auf der Leiter also.
    "Offensichtlich hat die Geschichte der Familie Wutzke viele Zuschauer berührt und auch erschüttert."

    Man hält den After-Talk zunächst für eine Pioniertat in Sachen Liquid Feedback: Tatsächlich werden Publikumsfragen verlesen – die damals noch postalisch und fernmündlich eintrudelten. Doch der Talk ist nur verlängertes Rollenspiel, die Fragen sind wohl frei erfunden. Man spürt die Lust am Spiel mit Formaten in der – man könnte sagen – Ur- und Frühgeschichte der Digitalisierung. In den Folgen: ein ständig hochgehaltener, larmoyanter Hektik-Pegel. Viel Plot wird durchexerziert. Manchmal fühlt man sich an ein Remake von "Ekel" Alfreds "Ein Herz und eine Seele" erinnert, manchmal an Al Bundys "schrecklich nette Familie". Und manchmal gackern alle herum, einfach nur, weil sie es können. Der Grund wohl, warum aus "Hühnerfieber" nie eine Kultserie wurde.

    "Eure Trinkgelage und eure avantgardistischen Sandkasten-Spielereien, die sind in einem blühenden Staat doch erst möglich!"

    "Schön, Herr Wutzke, das haben Sie so schön gesagt. Fehlt nur noch die Nationalhymne."

    Kabarettistische Ansätze dann, als Hintergrund der wortreichen Drehbücher: die hedonistischen Neunziger, mit den plötzlich wie Pilze aus dem Boden sprießenden Dienstleistungs- und New Economy-Berufen, eben besagte "Art Consulterinnen", dann die junge deutsche Einheit, deren Gestaltung 1991 ja munter diskutiert wurde.

    "30 Jahre! Ich wurde berufen, Auftrag erfüllt, zurück ins Glied, ne?
    "Weißt Du was Papa. Geh doch nach drüben!"

    Und diese sarkastische Das-Boot-ist-voll-Stimmung, die von Boulevard-Blättern geschürte Angst vor "Überfremdung" und "Asylantenschwemme". Inhaltlich verlinkt - einer der stärksten Momente der Serie – mit den Anfängen von Vegetarismus, Veganismus, Bio-Dasein als allgemeinem Gesellschaftstrend:

    "Das, was ihr wegschmeißt, da könnte man einen ganzen Negerkral durchfüttern. Da wundert ihr euch noch, wenn uns der Asylant die Bude einrennt hier. Der kann doch nicht mal was dafür. Instinkt! Ganz normal! Soja-Kram!"
    "Hühnerfieber" skizziert, als Wiederveröffentlichung, ein Stimmungsbild der Frühneunziger. Man mag sich an manches heiße Eisen damals erinnern. Ebenso ist die Serie ein Dokument wie Medien, ihre Formate und auch der Medienkonsum sich doch auch verändert haben: Das Publikum würde heute nach einer Kabarett-Comedy keinen inszenierten Comedy-After-Talk erwarten, sondern eher eine seriöse Diskussion.