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Zurück in die Vergangenheit

Noch bevor Karlheinz Schreiber in Deutschland in Untersuchungshaft genommen wurde, drohte der ehemalige Waffenlobbyist, er könne mit seinen Kenntnissen über die Parteienfinanzierung die halbe Republik erschüttern: eine leere Ankündigung?

Von Dirk-Oliver Heckmann | 07.08.2009
    "Im September stehen Wahlen in Deutschland an. Die Sozialdemokraten haben schon in der Vergangenheit drei Wahlen mit meinem Fall gewonnen. Sie sprechen darüber offen in den Zeitungen: Für sie wäre es das Größte, wenn ich jetzt kommen würde. Sie würden einen großen Zirkus veranstalten, eine große Untersuchung, mit Altkanzler Helmut Kohl und all den Ministern. Damit hofft die SPD, auch die nächsten Wahlen zu gewinnen."

    Karlheinz Schreiber, Ende der vergangenen Woche in Toronto. Jahrelang hatte der ehemalige Waffenlobbyist, gemeinhin als "Schlüsselfigur des CDU-Spendenskandals" bezeichnet, versucht, seine Abschiebung nach Deutschland zu verhindern. Und zog dabei alle Register: Mehrfach rief der heute 75-Jährige den Obersten Gerichtshofs in Ottawa an; intervenierte beim kanadischen Regierungschef; und drohte nicht zuletzt, er werde - falls er ausgeliefert werde - mit seinen Kenntnissen über die Parteienfinanzierung in Deutschland die halbe Republik erschüttern. Am Ende erfolglos.

    Als Schreiber am Montag dieser Woche um 9:22 Uhr auf dem Münchner Flughafen landet und unmittelbar in Untersuchungshaft genommen wird, endet eine Flucht, die vor 14 Jahren begonnen hatte. Nun kann das Strafverfahren gegen ihn beginnen - nach der Bundestagswahl soll es soweit sein. Die Staatsanwälte werfen ihm vor, in großem Umfang Steuern hinterzogen, mit Millionensummen Politiker bestochen und Beihilfe zur Untreue und zum Betrug geleistet zu haben.

    Seit seiner Rückkehr wird aber auch immer wieder die Frage gestellt: Wer muss vor den Aussagen Schreibers zittern? Muss sich etwa Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble auf unangenehme Überraschungen einstellen? Wird die Auslieferung Schreibers die Bundestagswahlen beeinflussen? Vieles deutet darauf hin, dass diese Erwartungen zu hoch gesteckt sind.

    Rückblick: Oktober 1995. Bei der Durchsuchung seines Hauses im oberbayerischen Kaufering stoßen Fahnder auf einen unscheinbaren Taschenkalender Schreibers, der sein Geld damit verdiente, Hubschrauber an die kanadische Küstenwache oder Airbusflugzeuge an Airlines zu vermitteln. In dem Büchlein vermerkt: Die Namen möglicher Schmiergeldempfänger, Informationen über ein kompliziertes Kontensystem in der Schweiz, getarnt durch zahlreiche Decknamen.

    Der Verdacht der Ermittler: Der Intimus des früheren bayerischen Ministerpräsidenten Franz Joseph Strauß erhielt von seinem Auftraggeber, dem Thyssen-Konzern, für die Lieferung von Fuchs-Spürpanzern an Saudi-Arabien Provisionen in zweistelliger Millionenhöhe, die er zur sogenannten "Landschaftspflege" verwendete. Um dem Deal den Weg zu bereiten, soll Schreiber 3,8 Millionen Mark an den damaligen Rüstungsstaatssekretär Ludwig-Holger Pfahls gegeben haben - nach dessen Flucht wurde der zu zwei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. Mehr als zehn Millionen zweigte er für Jürgen Maßmann und Winfried Haastert ab.

    Die Folge: mehrjährige Haftstrafen für die beiden früheren Thyssen-Manager. Richtig Brisanz erhielt der Fall Schreiber aber erst dadurch, dass die Ermittlungen gegen ihn den CDU-Spendenskandal auslösten - mit prominenten Opfern wie Alt-Kanzler Helmut Kohl und dem damaligen CDU-Partei- und Fraktionsvorsitzenden Wolfgang Schäuble.

    3. November 1999: Haftbefehl gegen den ehemaligen CDU-Schatzmeister Walther Leisler Kiep. Ihm wird vorgeworfen, Anfang der 90er-Jahre im Zusammenhang mit einem Panzergeschäft von Schreiber eine Million D-Mark erhalten und nicht versteuert zu haben. Kiep, der später zu einer Geldstrafe verurteilt wird, erklärt, dass Schreiber in seinem Beisein eine Parteispende an den langjährigen CDU-Steuerberater Horst Weyrauch übergeben habe - bar, in einem Koffer verpackt, mitten auf einem Parkplatz in der Schweiz. Schreiber bestätigt den Vorgang. Die Absicht seiner Auftraggeber sei eine politische gewesen, sagt er. Mehr und mehr Informationen über das CDU-Kontensystem kommen ans Tageslicht.

    30. November 1999: Helmut Kohl übernimmt die politische Verantwortung für die Führung verdeckter Parteikonten und entschuldigt sich für die mangelnde Transparenz, für mögliche Verstöße gegen das Parteiengesetz - immerhin drohen Strafzahlungen in Millionenhöhe. Am 16. Dezember gibt Kohl in der ZDF-Sendung "Was nun ... ?" zu, selbst rund zwei Millionen D-Mark an Spenden erhalten zu haben, ohne sie in den Büchern der Partei verbuchen zu lassen - die Namen der Wohltäter will der Altkanzler bis heute nicht nennen.

    "Die Spender haben mir ausdrücklich erklärt, dass ich diese Spende, die ich dringend brauchte, angesichts der Finanzlage der CDU in den neuen Ländern: Sie geben dieses Geld nur, wenn dies nicht in die Spendenliste kommt. Das ist der Fehler, den ich gemacht habe, zu dem ich mich bekenne, was ich auch bedaure. Und wenn ich jetzt höre, sozusagen ich sei geschmiert worden, so wird da geschrieben oder gesagt, wenn ich höre, ich sei bestechlich, ist das für mich ganz und gar unerträglich. Ich war nie bestechlich, ich habe nie Geld für mich persönlich genommen, in meine Kasse persönlich und privat ist nichts gegangen."

    22. Dezember 1999: CDU-Generalsekretärin Angela Merkel fordert in einem Beitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" die Partei auf, sich vom Altkanzler zu lösen - ein bis dahin undenkbarer Vorgang. Überschrift: "Die von Kohl eingeräumten Vorgänge haben der Partei Schaden zugefügt." Die CDU ist in der tiefsten Krise ihres Bestehens - und die ist noch lange nicht zu Ende.

    2. Dezember 1999: Der Bundestag setzt einen Untersuchungsausschuss "Parteispenden und Waffenhandel" ein. Wolfgang Schäuble verhält sich weiter loyal zum Alt-Kanzler und warnt vor einer Vorverurteilung. Bei seiner Rede vor dem Bundestagsplenum allerdings begeht er einen schwerwiegenden Fehler. Er berichtet, dass er Schreiber im Herbst 1994 bei einer CDU-Veranstaltung in Bonn einmal getroffen habe.

    "Bei dieser Veranstaltung bin ich Herrn Schreiber begegnet. So, das war es."

    "Mit oder ohne Koffer?","

    hallt es aus dem Plenum, und Schäuble antwortet:

    ""Ohne Koffer, also ich habe einen Aktenkoffer vielleicht dabei gehabt, weiß ich gar nicht, so."

    10. Januar 2000: Erst Wochen später räumt Schäuble nach Untersuchungen externer Wirtschaftsprüfer ein: Er habe im Jahr 1994 von Karlheinz Schreiber eine Spende in Höhe von 100.000 D-Mark für die CDU entgegengenommen. Schäuble im ARD-Fernsehen:

    "Ich habe den Herrn Schreiber irgendwann 1994 im Zusammenhang mit einer Veranstaltung, wo wir Sponsoren geworben haben, dass sie spenden für den Wahlkampf, kennengelernt. Der hat dann am Tag danach eine Spende in bar abgegeben. Ich habe die an die Schatzmeisterei weitergegeben und ich habe dann jetzt im Zuge der Aufklärung, die wir anstellen, festgestellt: Die ist auch nicht veröffentlicht worden, sondern offenbar - die Wirtschaftsprüfer prüfen es noch - als 'sonstige Einnahme' verbucht worden."

    Die damalige Generalsekretärin Angela Merkel nimmt Schäuble in Schutz:

    "Wolfgang Schäuble hat in dem Moment, wo die Wirtschaftsprüfer die Fakten einigermaßen auf dem Tisch haben, diese Sache gesagt, von sich aus, und ich finde, Ehrlichkeit darf in einem solchen Aufklärungsprozess dann auch nicht bestraft werden. Und insofern hat Wolfgang Schäuble richtig gehandelt, als er damals diese Spende zur Verbuchung in die Bundesschatzmeisterei gegeben hat."

    CDU-Schatzmeisterin Brigitte Baumeister übernimmt die Verantwortung dafür, dass die Spende nicht verbucht worden ist. In einem wesentlichen Punkt aber widerspricht sie. Nicht Schäuble, sondern sie selbst habe die Zuwendung Schreibers entgegengenommen und dann Schäuble ausgehändigt - ein monatelanger, letztlich unbedeutender Streit schließt sich an, der auch die Staatsanwaltschaft auf den Plan ruft. Auch wenn die Ermittlungen wegen des Verdachts auf Falschaussage schließlich eingestellt werden: Schäubles Glaubwürdigkeit ist angekratzt.

    18. Januar 2000: Auf dem Höhepunkt der Parteispendenaffäre erscheint Schäuble im Büro Helmut Kohls. Er fordert ihn auf, zur Aufklärung beizutragen und dazu die Namen der Spender endlich zu nennen. Kohls Antwort: Er habe von Schreiber ein Fax bekommen; schlimm sei nicht, was er, Kohl, sondern was er, Schäuble, getan habe. "Ich habe in meinem Leben viel zu viel Zeit mit dir verbracht und es wird keine Minute mehr geben" - schäumt Schäuble. Am gleichen Abend gibt Kohl - vor die Alternative gestellt, die Spender zu nennen oder den CDU-Ehrenvorsitz zu verlieren - bekannt, dass er sein Ehrenamt niederlegt. Und auch Schäuble erklärt am 16. Februar, nicht mehr als Vorsitzender von Partei und Fraktion zu kandidieren. Begründung: die widersprüchlichen Aussagen zwischen ihm und Schatzmeisterin Brigitte Baumeister.

    "Es war in den vergangenen Wochen und Monaten immer schwieriger für die CDU, ihre Position im politischen Wettbewerb bemerkbar zu machen. Und deshalb ist in mir die Überzeugung gereift, dass ohne einen sichtbaren, also auch personellen Neuanfang, sich die Union nicht aus der Umklammerung dieser Krise befreien kann."

    Das Ende ist schnell erzählt: Der Weg ist frei für Angela Merkel, die mit 95 Prozent der Stimmen zur ersten Chefin einer Volkspartei gewählt wird. Ende des Jahres 2000 verhängt Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, SPD, ein Strafgeld gegen die CDU in Höhe von 7,8 Millionen D-Mark. Eineinhalb Jahre später, im Juni 2002, legt der Untersuchungsausschuss seinen mit rot-grüner Mehrheit verabschiedeten Abschlussbericht vor. Tenor: Die Regierung Kohl sei zwar nicht im rechtlichen Sinn, aber doch politisch korrupt gewesen - die Union weist das zurück.

    Für Wolfgang Schäuble blieb die Affäre politisch auch langfristig nicht folgenlos. Als er im Jahr 2003 als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten gehandelt wird, schallt es via "Bild Zeitung" über den Atlantik: Er, Schreiber, werde "wesentlichen Leuten der deutschen Politik und der Justiz Unterlagen zur Verfügung stellen". Am Ende geht Schäuble leer aus.

    Geschickt versteht es Schreiber über Jahre, der Auslieferung nach Deutschland zu entgehen. Zuletzt stürzt er die kanadische Innenpolitik in eine Krise. Schreiber lässt die Öffentlichkeit wissen, dass Ex-Regierungschef Brian Mulroney Schmiergeldzahlungen von ihm verlangt habe. Die Behauptung, dass die Zahlung von 150.000 Euro mit einem Airbus-Geschäft zusammenhing, ist nie bewiesen worden. Doch auf diese Weise sorgt Schreiber selbst für seine Sicherheit - schließlich soll er zwei Untersuchungsausschüssen in Kanada Rede und Antwort stehen; allerdings nur bis zum 31. Juli. Diese Frist ist letzte Woche ausgelaufen. Als Schreiber einen letzten Versuch unternimmt, seine Auslieferung zu stoppen, formuliert die zuständige Richterin Barbara Conway wörtlich:

    "Herr Schreiber ist einen langen Weg gegangen, um seine Auslieferung zu verhindern. Er ist nun am Ende dieses Wegs."

    Nun also sitzt Karlheinz Schreiber in Untersuchungshaft. Nicht vor der Bundestagswahl am 27. September wird der Prozess gegen ihn beginnen - zunächst müssen zahlreiche Zeugen geladen werden. Wird Karlheinz Schreiber - wie er so gerne behauptet - das politische System erschüttern? Wird das Verfahren den Bundestagswahlkampf beeinflussen?

    Der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering ist sich sicher: Die Sozialdemokraten wird das Thema nicht belasten - Schreiber sei schließlich CSU-Mitglied gewesen. Man werde das Thema nicht aktiv im Wahlkampf ausschlachten, aber:

    "Stinken tut es nicht bei uns, sondern bei ganz anderen. Und da muss man nur einfach gucken, damit die Leute alle sehen, von wo der Duft kommt."

    Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Horst Seehofer sieht allerdings auch keinen Anlass zur Sorge:

    "Ich habe auf jeden Fall mit der Sache nichts zu tun. Das ist ja allgemein bekannt und ich glaube, aus der Vergangenheit wird da nichts mehr stattfinden. Ich sehe das mit größter Gelassenheit."

    Das sieht der stellvertretende Vorsitzende der Bündnisgrünen im Bundestag, Hans-Christian Ströbele, ein wenig anders. Das damalige Mitglied im Untersuchungsausschuss erhofft sich von Schreiber durchaus Aufklärung in entscheidenden Punkten - und schließt auch nicht aus, die Untersuchungsarbeit noch einmal aufzunehmen:

    "Also, Herr Schreiber weiß sicher sehr, sehr viel. Er steht im Zentrum dieser Schmieren- und Spendengeschichte. Er hat ja immer wieder Informationen gegeben, die sich nicht haben verifizieren lassen, wo man sogar Zweifel haben kann, ob die richtig sind. Aber: Im Kern waren seine wichtigsten Aussagen richtig und sind belegt worden durch Urkunden und Akten oder Zeugenaussagen. Das heißt: Man darf dem Schreiber nicht alles glauben, was er sagt, aber man soll ihm das glauben, was durch Urkunden belegt werden kann, und da kann er uns auf den richtigen Weg führen."

    Der damalige Vorsitzende des Untersuchungsgremiums, Volker Neumann (SPD), erhofft sich ebenfalls neue Erkenntnisse - vor allem im Fall Schäuble / Baumeister. Es könne durchaus sein, dass Schreiber noch etwas in der Hinterhand habe, was die Version von Brigitte Baumeister belegen würde:

    "Einer hat nur die Wahrheit gesagt. Aber einer hat auch vorsätzlich gelogen. Und wenn Schreiber noch Beweismaterial hat, dass die Übergabe in Kaufring an Frau Baumeister erfolgt ist und nicht an Schäuble, dann hat Wolfgang Schäuble gelogen und dann ist er nicht mehr tragbar als Bundesinnenminister."

    Das Problem: Der Fall Schäuble / Baumeister ist gar nicht Gegenstand des Verfahrens gegen Schreiber. Und auch über das System der Schwarzen Kassen in der CDU dürfte Schreiber nach Ansicht Neumanns wenig Neues zu sagen haben, wenn er dies - mit Blick auf den CDU-Steuerberater Horst Weyrauch - auch nicht gänzlich ausschließen will:

    "Meine persönliche Meinung ist ja, dass es gar keine Spender gab. Also, es gab Geld, das ist zu bestimmten Punkten, in runden Summen á sechsstelligen Summen, zu Kohl gelangt. Und die letzte Zahlung waren Schweizer Franken. Ich glaube, es handelt sich um ein Konto, was aufgelöst worden ist. Rein theoretisch wäre es allerdings möglich, dass Schreiber etwas weiß davon, weil er sehr eng auch mit Weyrauch zusammengearbeitet hat, der ja diese schwarzen Konten verwaltet hat. Und vielleicht hat er von dem etwas gehört."

    Er erwarte keine neuen politischen Enthüllungen, legt sich Hans Leyendecker hingegen fest, der schon bei der Aufdeckung des CDU-Spendenskandals maßgeblich beteiligt war. Die Aufregung um Schreiber sei maßlos übertrieben, meint der Ressortleiter "Investigative Recherche" bei der "Süddeutschen Zeitung":

    "Also, so schrecklich dieser Schreiber ist, der ja seit vielen Jahren unterschiedliche Leute bedroht, der immer wieder Ankündigungen macht, der ein großer Wichtigtuer ist, so merkwürdig ist ja auch unsere Reaktion darauf. Obwohl wir wissen, dass vieles von dem, was er angekündigt hat, von ihm nie erfüllt worden ist, also was er enthüllen möchte und was er bringen wird und wie er eingreifen wird in die Politik, wird immer noch sein Schreien, seine, was er als Warnung ausgibt, ernst genommen und man sagt: 'Wer muss vor ihm zittern?' Ich finde das lächerlich!"

    Er sehe auch den einzigen heute noch aktiv Handelnden nicht in Gefahr, Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble:

    "Die Staatsanwaltschaft hat am Ende gesagt: 'Wir wissen nicht genau, war die Baumeister-Theorie richtig, war die Schäuble-Theorie richtig?' Gegen beide ist das Verfahren damals eingestellt worden. Und da geht es nicht um die Frage einer Einflussspende, soweit erkennbar ist, sondern es geht um Landschaftspflege. Das heißt, Schreiber hatte zeitweise Geld und da wollte er die Landschaft düngen. Das war also sein Prinzip und da hat er die 100.000 übergeben. Ob er sie an Baumeister oder Schäuble übergeben hat, spielt heute im Jahr 2009 keine Rolle mehr."

    Wie Neumann hat auch Leyendecker wenig Hoffnung, dass Schreiber dazu beitragen könnte, die offenen Fragen bezüglich der schwarzen Kassen bei der CDU zu klären - also etwa die Namen der Kohl-Spender zu offenbaren. Er hält auch die Bezeichnung "Schlüsselfigur für die CDU-Spendenaffäre" für nicht zutreffend:

    "Schlüsselfigur meint, dass er wirklich der Schlüssel zu dieser Affäre ist. Das war er nicht, sondern er hat die Tür geöffnet, um in das Reich zu schauen, aber er hat von dem Reich mit den vielen schwarzen Kassen, mit den Geheimtresoren, mit den Geheimkonten, davon hatte er null Ahnung - und hat null Ahnung. Das Schreibersche System und das Kohlsche System sind völlig verschieden. Kohl hat mit diesem Mann nichts zu tun gehabt. Der hat immer versucht, der Schreiber, sich ranzuwanzen an Kohl, so wie er sich auf früher bei Franz Josef Strauß rangewanzt hat. Es wird heute so getan, als könnte Schreiber da etwas enthüllen. Andersherum ist es richtig: Kohl hat, um Schäuble auszubremsen, Schreiber benutzt."

    Natürlich: Dem damaligen Untersuchungsausschuss habe viel Material nicht zur Verfügung gestanden. In Kanada seien einige neue Dokumente vorgelegt worden - aber das Bild auf die Affäre, so Leyendecker, werde sich nicht ändern:

    "Die entscheidende Frage: Von wem hat Doktor Helmut Kohl das Geld bekommen? Was hat er mit diesem Geld gemacht? Wie lange hat es diese Praxis gegeben, dass er am Recht vorbei jongliert hat? Zu diesen Fragen kann Schreiber mit seinen Unterlagen null Aufklärung geben. Das heißt, das, was wirklich auch aufklärerisch wäre, zu fragen - von wem für was? Das werden wir mit Schreiber nicht lösen können. Von daher macht ein Untersuchungsausschuss auch keinen Sinn."

    Hat die Schreiber-Affäre dennoch das Potenzial, den Bundestagswahlkampf zu beeinflussen? Der Politikwissenschaftler Gero Neugebauer:

    "Nein, das wird in der Öffentlichkeit nicht auf ein dauerhaftes Interesse stoßen. Die Menschen sind an anderen Problemen interessiert. Der Wahlkampf wird durch Herrn Schreiber nicht beeinflusst werden - entgegen seiner Annahme. Es sind die Themen Arbeitsmarkt, Wirtschaftsentwicklung, die die Leute bewegen."

    Ganz auszuschließen ist es allerdings nicht, dass Schreiber noch eine Bombe platzen lässt - oder es jedenfalls versucht, meint Hans-Christian Ströbele von den Bündnisgrünen:

    "Herr Schreiber hat immer gesagt: Wenn ich nach Deutschland ausgeliefert werde und dort in Untersuchungshaft komme, dann ist es so weit, dann schone ich niemanden mehr. Dann lege ich alles auf den Tisch. Die Frage ist: Wird er das jetzt tun? Eins ist sicher: Herr Schreiber ist haftsensibel, muss man sagen. Er möchte ungern in Haft sitzen, er leidet darunter. Und ich könnte mir vorstellen, dass er sich alle möglichen Überlegungen jetzt schon macht, wie er in den nächsten Wochen sich verhält."