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Zurück zur Kunst

Der Rundgang über die Zehnte Architekturbiennale eröffnet Erstaunliches: Es ist wenig Architektur zu sehen. Insbesondere im Hauptteil der Ausstellung in den dreihundert Meter langen, alten Hallen der Corderie wird das Konzept von Biennale-Leiter Richard Burdett deutlich, die Architektur aus ihrer selbstverliebten Isolation der letzten Jahrzehnte herauszuholen. Mit dem Thema der Megastädte drängt Burdett Architektur in den Hintergrund und holt soziale, wirtschaftliche, ökologische Probleme in den Vordergrund. Die Architektur, so Burdetts Bekenntnis, ist dazu da, Lösungen für die Probleme der Städte zu schaffen.

Von Carsten Probst |
    " Die Kritik, die immer wieder an dieser Ausstellung geübt worden ist, sagt ja, das ganze sei ein bisschen siebzigerjahre-mäßig aufgezogen, weil sie wieder mal darüber reflektiert, wie sich Gesellschaft und städtischer Raum zueinander verhalten, was natürlich auch schon vor dreißig Jahren auch in der Kunst ein großes Thema war. Aber das große Desiderat ist doch, diese Probleme der Stadt nicht nur ästhetisch, sondern in ihrer Dreidimensionalität zu sehen. In diesem Sinn kann die Architektur eine fundamentale Rolle spielen, auch wenn alle schon die Architektur abgeschrieben zu haben scheinen. Das betrifft nicht zuletzt auch die ökologischen Probleme von Städte. Nur eine Architektur, die es versteht, sich auf die komplexen Verhältnisse vor Ort wirklich einzulassen, kann beispielsweise für eine Balance sorgen zwischen Umweltbedingungen und dem Energiebedarf von Städten."

    Architektur hat den Menschen zu dienen, so Burdett weiter, und nur weil sie in den letzten Jahrzehnten meist nur noch sich selbst hat feiern wollen, hat sie inzwischen den Anschluss an die Weltentwicklung verpasst. Das, und nicht die Globalisierung, wie oft behauptet, ist ein Grund, weshalb man heute vom Bedeutungsverlust der Architekten sprechen müsse.

    Interessant daran ist, dass Burdett damit aber tatsächlich ein Thema wieder aufnimmt, das von zeitgenössischen Kunst seit Jahren vorbereitet worden ist, auf Großausstellungen wie den letzten beiden documentas und auch auf den letzten beiden Kunstbiennalen in Venedig spielten soziale und städtische Randgebiete eine Hauptrolle. Paolo Portoghesi, der Grand Old Man der Architekturbiennale, der vor 25 Jahren dafür gesorgt hat, die Architektur aus der Kunstbiennale herauszulösen, muss heute anerkennen, dass sich die Zeiten geändert haben. Mit Portoghesis Namen ist untrennbar der Einzug der amerikanischen Postmoderne auf den europäischen Kontinent verbunden. So geschehen auf der legendären ersten Architekturbiennale 1980, mit der jene Entwicklung begann, die Richard Burdett heute als architektonische Selbstverliebtheit geißelt. Portoghesi stimmt ihm mittlerweile im Grundsatz zu:

    "... denn heutzutage haben diese Probleme der Stadt und ihrer Gesellschaft ein geradezu unendliches, ja tragisches Ausmaß angenommen. Wenn man sich die Situation dieser städtischen Krise nur einmal ansieht, merkt man sehr schnell, dass es sich dabei um ein Spiegelbild der sozialen Konflikte der ganzen Welt handelt - und: dass wir allmählich an die Grenzen unseres Planeten stoßen. Deshalb wird in dieser Ausstellung auch nicht mehr allein der Stand der Dinge in der Architektur oder einzelner Metropolen beschrieben, sondern wir finden hier eine Beschreibung vom Stand unserer Welt, ihrer Bewohnbarkeit."

    Mit seinem Konzept hat Richard Burdett die Architekturbiennale zurückgebracht in eine Diskussion, die in anderen Bereichen der Kultur längst ohne sie stattgefunden hat. Das wird besonders deutlich, wenn man die Architekten selbst befragt. Jacques Herzog beispielsweise oder Rem Koolhaas beschreiben die Arbeit des Architekten heute wenig als bauen, sondern vor allem als ständiges Verhandeln und Kommunizieren, als Forschungsarbeit an immer wieder völlig unterschiedlichen Orten und Kulturen. Herzog bezeichnet die Arbeit als Vernetzung, als Künstlertum im Sinne von Joseph Beuys: Jeder wird eingebunden, denn jeder ist für seine Umwelt selbst verantwortlich: Jeder ist, im sozialen Sinn, ein Architekt. Womöglich kehrt die Architektur in absehbarer Zeit ja wieder in den Rang einer Kunstbiennale zurück.