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Zurück zur Normalität

Nach dem Chemieunfall beim Lebensmittelkonzern Kraft in Niedersachsen herrsche wieder Alltag in Bad Fallingbostel, berichtet Dirk Drazewski. Die Geschäfte in der Stadt hätten geöffnet und auch die Beschäftigten seien wieder ins Werk zurückgekehrt.

Dirk Drazewski im Gespräch mit Jule Reimer | 17.10.2012
    Jule Reimer: Für die Stadt Bad Fallingbostel ging gestern ein aufregender Tag gut zu Ende. Nach einem Chemieunfall in einem Werk des Lebensmittelkonzerns Kraft Foods mussten 1800 Menschen in Sicherheit gebracht werden. Weil aus Versehen Salpetersäure mit Natronlauge vermischt worden war, war eine Gaswolke über der Stadt entwichen. In Lüneburg bin ich mit meinem Kollegen Dirk Drazewski verbunden. Herr Drazewski, wie sieht es jetzt um die Fabrik herum aus?

    Dirk Drazewski: Wir haben es ja gerade schon ein bisschen gehört: wieder Alltag in der Stadt. Die Geschäfte in Bad Fallingbostel haben wieder geöffnet und direkt vor dem Werkstor der Parkplatz ist auch wieder gefüllt. Das heißt, die Beschäftigten vom Kraft-Werk konnten jedenfalls in das Werk hineingehen. Ob heute noch produziert wird in allen Werksteilen, das ist noch offen, sagt eine Unternehmenssprecherin. Zurzeit werden nach und nach die einzelnen Anlagen vom Gesundheitsamt und von der Lebensmittelüberwachung wieder freigegeben. Klar ist aber auf jeden Fall auch, dass heute noch Techniker des Lebensmittelkonzerns die Unfallstelle noch einmal genau untersuchen werden.

    Reimer: Wie genau weiß man heute, was gestern tatsächlich passiert ist?

    Drazewski: Ein LKW hat Salpetersäure angeliefert und hat sie auch dort, wo er sie abladen sollte, abgeladen. Nur in diesem Tank war noch Natronlauge vorhanden. Es war anscheinend ein Versehen. Die Natronlauge kommt in den Tank, weil damit reinigt man die Siloanlagen. Es wird Mayonnaise hergestellt, es wird Frischkäse hergestellt, man muss also auch auf Hygiene achten, und eigentlich braucht man die Salpetersäure in verdünnter Form, um nachher diese Tankanlagen einmal durchzuspülen, dass sich das wieder neutralisiert. Aber in diesen hochkonzentrierten Formen haben die beiden Stoffe sehr heftig miteinander reagiert, sagt Professor Wolfgang Ruck vom Institut für nachhaltige Chemie an der Leuphana-Universität.

    O-Ton Wolfgang Ruck: "Unten Natronlauge, oben drüber Salpetersäure und dazwischen eine kochende Schicht – das gibt immer Verwirbelungen. Das heißt, dass immer wieder Lauge und Säure zusammenkommen und diese Reaktion weitergeht."

    Drazewski: Und genau das ist bereits am Montagabend passiert in einem kleineren Tank. Dort ist dann auch eine ätzende Wolke entwichen, Sie haben es gesagt, und deswegen wurde Katastrophenalarm ausgelöst.

    Reimer: Dann beschreiben Sie uns noch mal genau, was alles so gefährlich war, also diese ätzende Wolke?

    Drazewski: Ja. Zustande gekommen ist die wie gesagt durch 14.000 Liter Natronlauge und 10.000 Liter Salpetersäure. Zum einen kann Natronlauge im Zusammenhang mit einigen Metallen Wasserstoff bilden und Wasserstoff ist explosiv. Wenn dieser Tank geborsten wäre, dann könnte aufgrund der Salpetersäure Gas ausweichen, und zwar nitroses Gas, und dieses nitrose Gas ist ätzend. Wenn man es einatmet, würde es die Lunge verätzen, ähnlich so, als wenn man sich ganz normal die Haut mit Säure verätzt.

    Reimer: Welche Konsequenzen sind jetzt aus diesem Chemieunfall zu schließen?

    Drazewski: Eine Unternehmenssprecherin hat angekündigt, dass man auf jeden Fall das Sicherheitskonzept des Werkes überarbeiten und überprüfen wird und Professor Ruck sieht jedenfalls aus der Ferne betrachtet eindeutigen Handlungsbedarf.

    O-Ton Wolfgang Ruck: ""Normalerweise müsste man da einfach Schläuche haben, die nicht aufeinander gehen. Solche Systeme kann man schon idiotensicher machen, dass das gar nicht geht."

    Drazewski: Und was zukünftig wirklich in dem Werk geändert werden soll, darüber beraten seit heute auch Techniker von Kraft Foods. Der Unfallhergang wird noch einmal genau rekonstruiert. Aber auch die Feuerwehr und der Katastrophenstab sitzen in den kommenden Tagen zusammen und wollen den Einsatz noch einmal auswerten.

    Reimer: Nach dem Chemieunfall in Bad Fallingbostel – Dirk Drazewski informierte.