Donnerstag, 18. April 2024

Archiv


Zusammen gegen die Mafia

In Sizilien, der Heimat der Cosa Nostra, baut das Anti-Mafia-Netzwerk Lìbera seit Jahren auf die Jugendarbeit und engagiert sich für die Vermittlung ethischer Werte gegen die Verführungen der Mafia. Das Konzept soll nun auch im Norden des Landes etabliert werden - eine Anti-Mafia-Karawane durch die Lombardei ist der Auftakt.

Von Kirstin Hausen | 01.04.2011
    Mailand, Piazza Macciachini um acht Uhr morgens. Neben dem U-Bahn-Eingang stehen zwei Lieferwagen mit bunten Aufklebern und dem Schriftzug "Libera, Namen und Zahlen gegen die Mafias". Der Plural ist bewusst gewählt. Denn in Mailand hat sich nicht nur die sizilianische Mafia breitgemacht, sondern auch die kalabrische Ndrangheta, die neapolitanische Camorra und die Sacra Corona Unita aus Apulien. Alle drei machen in der Wirtschaftsmetropole Norditaliens glänzende Geschäfte. Die Anti-Mafia-Karawane will genau darauf aufmerksam machen, sagt Maurizio.

    "Wir wollen zeigen, dass es die Mafia nicht nur in Sizilien gibt, sondern dass sie sich überall ausbreitet. Sie unterwandert auch die saubere Wirtschaft hier bei uns, indem sie reihenweise Firmen aufkauft und in bar bezahlt. So versucht sie, ihr schmutziges Geld reinzuwaschen."

    Immobilienkäufe, Unternehmensbeteiligungen, Aktienpakete - die organisierte Kriminalität pumpt Geld aus Drogen- Waffen- und Menschenhandel in den legalen Wirtschaftskreislauf, warnt der langjährige Mafiafahnder und Turiner Oberstaatsanwalt Giancarlo Caselli. Im Rahmen der Anti-Mafia-Karawane besucht er Schulen und diskutiert mit den Jugendlichen über die Mafia, ihre Ursachen und ihre Methoden. So auch in Quarto Oggiaro, einem vernachlässigten Stadtviertel von Mailand. Es liegt an der Peripherie und beherbergte früher vor allem Zuwanderer aus Süditalien. Heute ist es ein sozialer Brennpunkt mit hoher Arbeitslosigkeit und resignierten Jugendlichen. Der 16-jährige Tomaso, dessen Versetzung wegen der häufigen Fehlstunden gefährdet ist, rekelte sich zu Beginn der Anti-Mafia-Unterrichtsstunde noch gelangweilt auf seinem Stuhl. Nach dem Treffen mit dem Oberstaatsanwalt ist er wie verwandelt:

    "Das meiste von dem, was hier heute gesagt wurde, wusste ich nicht. Aber jetzt werde ich das Thema vertiefen und im Internet nach Informationen suchen, mich interessiert das nämlich."

    Fast überall, wo die Anti-Mafia-Karawane Station macht, stößt sie auf Informationsbedarf. Die Machenschaften der Mafiafamilien in Mailänder Vororten wie Bignasco oder Corsico sind den wenigsten Bürgern bekannt. Erst wenn es zu Festnahmen kommt, schrecken viele auf. Wie in Buccinasco, wo der Bürgermeister und zwei Gemeinderäte wegen Korruption verhaftet wurden. Sie sollen regelmäßig hohe Geldsummen eingestrichen haben, im Tausch gegen Baulizenzen und öffentliche Aufträge. Die Baubranche ist ein lukratives Geschäft für die Mafiafamilien. Sie sichern sich die Aufträge für Infrastrukturprojekte oder öffentlichen Wohnungsbau, indem sie die Verantwortlichen für die Vergabe bestechen, oder -wenn das nicht klappt- bedrohen. Und dann schlagen sie diese zusätzlichen Kosten auf den Endpreis auf. Außerdem drücken sie die Kosten für die Bauten, indem sie Schwarzarbeiter schuften lassen und keine regulär angestellten Arbeiter. Oft sind das Einwanderer aus Afrika und Osteuropa, die deutlich unter Tarif bezahlt werden und keinerlei Krankenversicherungsschutz haben. Das ist illegal, aber niemand geht zur Polizei, sagt der Gewerkschafter Marco di Girolamo. Und er hat dafür Verständnis.

    "Eine Anzeige birgt ein enormes Risiko, besonders für diese Arbeiter aus Nicht-EU-Staaten. Sie riskieren Kopf und Kragen, denn hinter dem Geschäft mit der illegalen Arbeitsvermittlung steckt die organisierte Kriminalität. Und die rächt sich nicht mit Worten, sondern mit Gewalt."

    Obwohl die Mafiagruppen im Norden mehr mit Geld überzeugen als mit Gewalt, besteht die Gefahr von Morden wie die Ndràngheta sie im August 2007 in Duisburg verübte, auch in Mailand. Denn Mitglieder, die auf eigene Rechnung wirtschaften wollen, werden ausnahmslos beseitigt. Das innere System der Organisation besteht in Reggio Calabria genauso wie in Mailand.

    Programmtipp

    Mit dem Kampf gegen Mafia und Co in Norditalien befasst sich am Samstag, 2.4.2011, um 11:05 Uhr auch die Sendung "Gesichter Europas" im Deutschlandfunk unter dem Titel: "Aufgekauft und ausgepresst: Mafia, Camorra und Ndrangheta erobern Norditalien"