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Zusammenarbeiten statt vor sich hin puzzeln

Naturschutz ist Ländersache, doch Tiere und Pflanzen kümmern sich nicht um Grenzen und so stellt sich die Frage, ob solch föderal orientiertes Denken der Sache gerecht wird. Naturschützer, egal ob ehrenamtlich bei den Umweltverbänden oder hauptberuflich beim Staat, halten es jedenfalls für höchste Zeit, diese Herangehensweise zu ändern. Am Wochenende trafen sie sich auf einer Fachtagung in Göttingen und plädierten für neue Konzepte.

Von Elke Drewes | 21.11.2005
    Flüsse werden in ein Betonkorsett gezwungen, Moore und Feuchtwiesen trocken gelegt. Rosmarinheide, Lungenenzian und Sumpfdotterblume verlieren ihren Lebensraum. Bisher ist Naturschutz Ländersache. Das heißt, jedes Bundesland stellt eigene Rote Listen auf und bestimmt, welche Pflanzen schützenswert sind. Diese regionalen Bemühungen sind wichtig. Christian Berg vom Naturschutzbund Deutschland sieht aber auch Defizite beim regionalen Artenschutz:

    "Dort kocht jeder sein Süppchen nach eigenen Kriterien. Also ich gucke, welche Pflanze selten ist und vielleicht nach ästhetischen Kriterien: welche Pflanzen haben große Blüten, besonders schöne. Das sind die häufigsten Ansätze. Aber international ist das irrelevant, weil eine sehr seltene Pflanze in Schleswig-Holstein zum Beispiel in Bayern verbreitet sein kann. Also, wenn ich den Blick erweitere, dann muss ich gucken: sind die Arten global, weltweit gefährdet? Und sind die Arten beschränkt auf ein Gebiet, ein sehr kleines mitteleuropäisches Areal? Das sind Gesichtspunkte, die bisher im Naturschutz kaum eine Rolle gespielt haben."

    Deshalb haben auf der Göttinger Tagung Umweltschützer aus Vereinen, Universitäten und Behörden beschlossen, sich weltweit zu vernetzen und zusätzlich zu den Flora-Fauna-Habitat-Gebieten weitere Bereiche, so genannte "important plant areas" auszuweisen und zu erhalten. Das sind Gebiete mit bedrohten Pflanzen, die es weltweit nur noch an wenigen Orten gibt. Christian Berg vom Naturschutzbund Deutschland:
    "Wir haben im Umweltschutz wenig Geld und müssen Prioritäten setzen. Zum Beispiel den Schierlingswasserfenchel gibt es nur im Hamburger Tiedegebiet, dort wo das Mühlenberger Loch mit dem Airbuswerk in Verbindung gebracht wurde. "

    International vorbildliche Arbeit auf dem Gebiet der überregionalen Vernetzung leistet das Planta Europa Netzwerk mit Sitz im englischen Salisbury. Dort koordiniert Meike Kretschmar Strategien zum Erhalt der Wildpflanzen:

    "Im Moment wissen wir gar nicht: Wo sind die wichtigsten Gebiete, um Pflanzen zu erhalten? In diesem Fall ist Osteuropa sehr weit vorn: alle osteuropäischen Länder haben auf nationaler Ebene sich zusammengesetzt und bestimmt, das sind die wichtigsten Gebiete, die wir auf jeden Fall erhalten müssen, um Pflanzenvielfalt zu schützen. In Deutschland hat das noch nicht stattgefunden bisher. Und genau diese Brücke wollen wir schlagen: Was machen unsere Nachbarn, was funktioniert wo gut und kann das bei uns klappen. Dass Projekte nicht immer neu erfunden werden."

    Bund und Länder sollen die Vorbereitungen für dieses internationale Pflanzenschutz-Projekt koordinieren und finanziell unterstützen, so der bisherige Plan. Ein erster wichtiger Schritt war die Tagung in Göttingen mit 200 ehrenamtlichen und hauptberuflichen Naturschützern. Denn eines ist klar - ohne die vielen tausend Ehrenamtlichen im Naturschutz, die Pflanzen erkennen, erfassen und die Schutzgebiete pflegen, geht es nicht, sagt Annemarie Schacherer vom Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz:
    "Die Ehrenamtlichen sind für den Naturschutz unverzichtbar, ohne die Ehrenamtlichen könnte die Arbeit zumindest nicht in diesem Umfang geschafft werden. "

    Nach der Konvention von Rio, die auch Deutschland vor 13 Jahren unterzeichnet hat, haben sich mehr als 150 Staaten verpflichtet, bis 2010 die Hälfte aller bedrohten Pflanzenarten zu sichern und 60 Prozent aller artenreichen Gebiete unter Schutz zu stellen.