Dienstag, 19. März 2024

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Zusammensetzung von Schulklassen
Viele Sprachen erschweren die Integration

Unterschiedliche Muttersprachen in einer Schulklasse sind keine Ausnahme mehr - sie erschweren jedoch die Integration, wie eine Studie zeigt. Schulen sollten bei der Zusammensetzung der Klassen die jeweiligen Muttersprachen im Blick behalten, empfahl die Migrationsforscherin Julia Bredtmann im Dlf.

Julia Bredtmann im Gespräch mit Benedikt Schulz | 25.02.2019
Zwei Kinder beugen sich über einen Schreibtisch und notieren etwas, eine Lehrerin steht hinter ihnen und beugt sich über sie.
Kinder aus Libyen und Albanien in der Charles-Darwin Grundschule in Chemnitz. (dpa/Hendrik Schmidt)
Benedikt Schulz: Unterschiedliche Muttersprachen in einer Schulklasse sind einerseits eine Herausforderung für die Lehrer, andererseits natürlich längst schon keine Ausnahme mehr. Aber wie wirkt sich das aus auf die Klasse, wenn dort deutsche, türkische, arabische Muttersprachler und so weiter sitzen? Das hat eine Studie des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung in Essen untersucht. Und ein zentrales Ergebnis ist, in einer Schulklasse mit hohem Anteil an Kindern, die keine deutschen Muttersprachler sind, sind die Leistungen in den Fächern Mathe und Deutsch schlechter im Schnitt. Das ist so weit nicht überraschend und bestätigt, was man aus anderen Untersuchungen schon kennt. Aber neu ist das hier: Gibt es in der Klasse mehrere unterschiedliche Muttersprachen nebeneinander, also nicht nur zwei, sondern drei, vier fünf oder noch mehr, dann hat das keinen weiteren Einfluss auf die Leistungen. Aber – jetzt kommt das Aber – je mehr unterschiedliche sprachliche Hintergründe es gibt, desto schlechter fühlen sich die Kinder integriert. Was sagt uns das jetzt über die Zusammensetzung von Schulklassen? Darüber will ich sprechen mit einer der Autorinnen der Studie, Julia Bredtmann. Frau Bredtmann, hallo!
Julia Bredtmann: Hallo!
Schulz: Ein hoher Anteil an nicht-deutschen Muttersprachlern senkt offenbar das Leistungsniveau in einer Klasse, aber es ist egal, wie viele unterschiedliche Sprachen dabei im Raum stehen. Wie erklären Sie sich das?
Bredtmann: Zum einen, es gibt ja verschiedene – also a priori ist ja nicht ganz klar, wie sich eben die sprachliche Zusammensetzung von Schulklassen auf den Lernerfolg auswirken kann. Man könnte einerseits denken, dass, wenn es zum Beispiel eine große Sprachgruppe gibt, also wenn viele Kinder in der Klasse dieselbe andere Muttersprache sprechen als Deutsch, dass es dann einen geringen Anreiz gibt, eben Deutsch zu sprechen. Als Beispiel, wenn es sechs Kinder gibt, die nicht die deutsche Muttersprache sprechen und alle beispielsweise Russisch sprechen, dann können diese Kinder untereinander Russisch sprechen und haben weniger Anreiz, als Deutsch zu lernen. Das wäre die eine Sache. Auf der anderen Seite kann natürlich auch die gemeinsame Muttersprache vielleicht das Wohlbefinden fördern, dass die Kinder sich untereinander besser austauschen können, besser helfen können. Deshalb ist a priori erst mal nicht klar, wie sich eben die Diversität oder die Zusammensetzung der Sprachen auf den Lernerfolg auswirken.
Gleichsprachige Mitschüler verbessern das Wohlbefinden
Schulz: Ein anderes Ergebnis Ihrer Arbeit betrifft die Integration in der Klasse. Mehr unterschiedliche muttersprachliche Hintergründe erschweren die Integration von Kindern mit Migrationshintergrund. Inwiefern?
Bredtmann: Unsere Studie basiert ja auf Befragungsdaten. Das heißt, die Kinder werden dazu befragt, wie gut sie sich in die Klasse integriert fühlen. Und da finden wir eben genau, dass in Klassen, in denen viele verschiedene Sprachen gesprochen werden, dass sich dort die Kinder schlechter integriert fühlen. Oder man kann es andersherum formulieren, dass in Klassen, in denen es mehrere Nicht-Muttersprachler gibt, die die gleiche Sprache sprechen, dass die sich dort besser integriert fühlen. Das heißt, wenn man mal ein ganz praktisches Beispiel sich vorstellt, wenn es in der Klasse vier Nicht-Muttersprachler gibt, dann fühlen die sich wohler, wenn eins der Kinder Russisch spricht, fühlt es sich wohler, wenn noch ein oder zwei weitere Kinder Russisch sprechen, als wenn alle Kinder unterschiedliche Sprachen sprechen.
Schulz: Aber dass jetzt Klassen für eine bessere Integration sozusagen homogener zusammengesetzt werden sollten, das ist auf den ersten Blick ja zumindest ein bisschen überraschend. Irgendwie widerspricht es doch ein bisschen auch dem eigenen Bauchgefühl. Also, der Kontakt mit dem Fremden, sollte man ja meinen, erhöht Akzeptanz, führt zu mehr Integration. Aber es ist genau anders. Warum genau?
Bredtmann: Unsere Ergebnisse beziehen sich nun ja auch nur auf die Nicht-Muttersprachler. Wir finden ja, dass für das Wohlbefinden oder die Integration der Muttersprachler in die Klasse die sprachliche Zusammensetzung keine Rolle spielt. Aber für diejenigen, die eben nicht Deutsch als Muttersprache sprechen, die fühlen sich eben wohler, wenn sie, sagen wir einfach mal, ihresgleichen in der Klasse haben, wenn sie sich auch vielleicht mehr in ihrer Muttersprache mit anderen Kindern austauschen können.
Kein Patentrezept für Zusammenstellung der Klassen
Schulz: Und wie sollte dann eine Schulklasse idealerweise zusammengesetzt werden? Jetzt mal so praktische Forderungen daraus ableiten?
Bredtmann: Ich glaube, sehr konkrete politische Forderungen daraus abzuleiten, ist schwierig in dem Sinne. Ich meine, wir finden ja, dass es auf den Lernerfolg keinen Einfluss hat. Insofern kann man hier auch keine sehr starke politische Schlussfolgerungen ziehen. Aber wenn natürlich ein Schulleiter vor der Entscheidung steht, es sind beispielsweise zwei polnische Schüler, wie werden die auf zwei Klassen verteilt, wäre unsere Empfehlung, die beiden Schüler zusammenzulassen und in einer Klasse zu lassen, als sie eben zu trennen.
Schulz: Das war Julia Bredtmann vom RWI-Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen über die sprachliche Zusammensetzung von Schulklassen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.