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"Zustimmungsgesetz" in Schweden
Mehr als nur Symbolkraft

Die Anzahl an Urteilen gegen Vergewaltigungen ist in Schweden gestiegen - seitdem das "Zustimmungsgesetz" in Kraft ist. Es fordert ein, dass Menschen dem gemeinsamen Sex ausdrücklich zustimmen müssen. Andernfalls macht man sich strafbar.

Von Victoria Reith | 03.07.2019
Die Hände eines Mannes und einer Frau sind zwischen zerknitterten Laken in einem Bett zu sehen.
Seit dem 1. Juli 2018 gilt in Schweden: Ja heißt ja. Nur wenn alle dem gemeinsamen Sex zustimmen, ist er legal. (picture alliance / Christin Klose)
Die Nacht nach einer Party in Schweden im Spätsommer 2018. Eine Frau ist auf einem Sofa eingeschlafen. Als sie wach wird, ist ein Mann, den sie im Laufe des Abends mehrfach abgewiesen hatte, dabei, sie auszuziehen. Bevor es ihr gelingt zu protestieren, dringt er in sie ein. Christina Voigt war Staatsanwältin in diesem Fall. Sie sagte dem Schwedischen Rundfunk:
"Sie hat es nicht richtig geschafft, stopp zu sagen, weil sie nicht dachte, dass das passieren könnte. Aber plötzlich ist es passiert. Es ging sehr schnell. Aber es ist genug vorgefallen, dass er zwei Jahre Gefängnis bekommt."
Mehr Anzeigen, höhere Strafen
Seit einem Jahr ist in Schweden ein Gesetz in Kraft, das die ausdrückliche Zustimmung vor dem Sex einfordert. Der Mann ist der erste, der nach dem neuen Straftatbestand "fahrlässige Vergewaltigung" verurteilt wurde. Staatsanwältin Voigt:
"Hätte man ihn nach der alten Gesetzgebung verurteilt, wäre er höchstens wegen sexueller Belästigung verurteilt worden und hätte vielleicht ein paar Monate Gefängnis bekommen oder eine Geldstrafe."
Der neue Straftatbestand führte bisher zu 94 Anzeigen, das ist eine Steigerung im Vergleich zum Vorjahr. Die Fälle sind noch nicht alle bearbeitet und die Kriminalstatistik ist noch nicht fertig. Aber Medien berichten über mindestens acht Fälle, in denen es zum Urteil kam.
Die Sozialdemokratin Carina Ohlsson hat im schwedischen Parlament lange für das Gesetz gekämpft. Sie sagt:
"Es ist ein wichtiges Signal an die gesamte Gesellschaft, dass Sex freiwillig sein muss. Dass Urteile gefällt werden, ist wichtig. Aber genauso wichtig ist, dass die Gesellschaft und vor allem die Jugend informiert ist - und dass es eine Änderung in der Einstellung gibt."
Aktives Handeln heißt Zustimmung
Für die Zustimmung muss kein Schriftstück aufgesetzt werden. Man muss auch nicht einmal ausdrücklich Ja zum Sex sagen. Als Zustimmung gelten auch Handlungen, zum Beispiel das aktive Mitmachen. Im Fall der Vergewaltigung auf der Party schlief die Frau auf dem Sofa - sie war also weder in der Lage, ja zu sagen, noch durch Gesten ihre Zustimmung ausdrücken.
Einige alte Probleme bestehen weiter: Vergewaltigungen sind schwer zu beweisen, und daran, dass der Staatsanwalt die Beweise erbringen muss, ändert sich nichts. Auch sind die Grenzen zwischen dem neuen Tatbestand der Vergewaltigung, die achtlos erfolgt und der bisherigen mutwilligen Vergewaltigung haarfein. Die Staatsanwälte hoffen, dass das höchste schwedische Gericht Högsta Domstolen dazu Stellung nimmt und den Weg weist.
Auch die 31-Jährige Malin ist zwiegespalten:
"Ich habe tatsächlich so meine Zweifel. Ich glaube in der Praxis hat das Gesetz keinen so großen Effekt. Aber es sendet wichtige Signale."
Umstritten unter den Geschlechtern
90 Prozent der schwedischen Frauen sind für das Gesetz, bei den Männern sind es weniger - rund zwei Drittel. 22 Prozent der Männer lehnen das Gesetz ausdrücklich ab. Auch Nilas Alakoski kommt das bekannt vor:
"Unter allen Männern in meinem Freundeskreis bin ich der einzige, der hinter dem Zustimmungsgesetz steht. Die allermeisten denken, dass es zu schwammig ist, seltsam, schwer zu definieren. Aber ich finde, es ist ganz schön eindeutig. Ein Ja ist ein Ja, ein Nein ist ein Nein. Hast du kein Ja, ist es keine Zustimmung."
Im schwedischen Reichstag gab es große Einigkeit bei der Einführung des Gesetzes, es wurde ohne Abstimmung per Akklamation angenommen.
"Das Gesetz hat einen realen Nutzen"
Die rechtspopulistischen Schwedendemokraten hätten sich aber noch höhere Strafen gewünscht und mehr polizeiliche Maßnahmen bei Vergewaltigungen. Die Moderaten im Parlament hatten bezweifelt, dass die neue Gesetzgebung überhaupt zu mehr Urteilen führt. Die Sozialdemokratin Carina Ohlsson wendet ein:
"Wir sehen, dass Urteile gefällt werden, und es scheint so, als ob die Schwierigkeiten aller Kritik zum Trotz nicht gestiegen sind. Das Gesetz hat einen realen Nutzen."