Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien
Von Willkommenskultur kaum eine Spur

Mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit ist die Zahl der Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien nach Deutschland seit 2014 kräftig gestiegen. Es kamen und kommen aber viele Menschen mit geringer Qualifikation und wenig Sprachkenntnissen. Das hat die sozialen Probleme in Städten wie Gelsenkirchen, Duisburg oder Dortmund verschärft.

Von Wolfgang Landmesser | 23.12.2018
    Eine Rumäne sitzt in Frankfurt am Main auf dem Gelände einer ehemaligen Möbelspedition in seiner notdürftig eingerichteten Unterkunft.
    Neu-Eingewanderte können zur Arbeitssuche bis zu sechs Monate in einem anderen Mitgliedsland bleiben. Finden sie keine Arbeit, müssen sie ausreisen. Viele bleiben trotzdem. (dpa / picture-alliance / Andreas Arnold)
    Vor einem Café um die Ecke vom Nordmarkt in Dortmund: Etwa ein Dutzend Männer stehen in kleinen Gruppen zusammen. Die meisten von ihnen kommen aus Rumänien - und einige warten auf Arbeit, sagt Vassili Marin.
    "Sie übernehmen alle möglichen Jobs, schwere Sachen schleppen, zum Beispiel Schränke. Für 40, 50 Euro pro Tag. Die Türken kommen vorbei und verteilen Arbeit."
    Auch Vassili Marin selbst ist Gelegenheitsarbeiter. Er hat auf dem Bau malocht, als Bodyguard. Er übernehme jeden Job.
    Ohne Job in Deutschland, das bedeutet für Bürgerinnen und Bürger aus anderen EU-Ländern- kein Hartz IV, keine Sozialhilfe, kein Geld.
    Viele Arbeitslose gehen trotzdem nicht zurück
    Laut den EU-Regeln können sich Neu-Eingewanderte zur Arbeitssuche bis zu sechs Monate in einem anderen Mitgliedsland aufhalten. Danach haben sie kein Recht zu bleiben, es sei denn, es besteht konkret Aussicht auf einen Arbeitsplatz. Viele gehen aber trotzdem nicht zurück, weil auch die Lage zu Hause schlecht ist. Wie groß diese Gruppe genau ist, lässt sich kaum schätzen. Sie taucht jedenfalls nicht in der Dortmunder Arbeitslosenstatistik auf.
    NRW, Ruhrgebiet, Dortmund, Nordstadt, Der Stadtbezirk Innenstadt-Nord gilt mit 53.000 Einwohnern und einer Bevölkerungsdichte von 36,7 Einwohnern pro Hektar als größtes und dicht besiedelstes, zusammenhängendes Altbaugebietes im Ruhrgebiet.
    Die Dortmunder Nordstadt gilt mit 53.000 Einwohnern und einer Bevölkerungsdichte von 36,7 Einwohnern pro Hektar als größtes und dicht besiedelstes Altbaugebiet im Ruhrgebiet. (imago/Ralph Lueger)
    Rund 9.000 Bulgaren und Rumänen wohnen aktuell in Dortmund, die meisten von ihnen im Bereich Nordstadt. Eine enorme Herausforderung für einen ohnehin benachteiligten Stadtteil, sagt die Dortmunder Sozialdezernentin Birgit Zoerner. Das zeichnete sich bereits 2007 mit dem EU-Beitritt von Bulgarien und Rumänien ab.
    "Im Bereich Innenstadt Nord haben wir eine Verneunundvierzigfachung der Menschen aus Rumänien und Bulgarien. Man kann sich schon vorstellen, dass das eine deutliche Veränderung in einem Quartier ist."
    Schrottimmobilien in einer Datenbank
    Im Viertel, das schon seit Jahrzehnten von der Zuwanderung geprägt ist, verschärften sich die Probleme, etwa mit den sogenannten Schrottimmobilien:
    Betrügerische Vermieter brachten Großfamilien in viel zu kleinen Wohnungen unter, mit kaputten Fenstern und Türen, oft ohne fließendes Wasser. Für die Nachbarn eine teilweise extreme Belastung durch Lärm und sich türmenden Müll auf der Straße.
    Müll liegt im Stadtteil Marxloh in Duisburg auf der Straße. Ein Teil der Häuser zählt zu sogenannten Schrottimmobilien, die aus Brandschutzgründen geräumt werden müssen. 
    Ein Teil dieser Häuser in Duisburg-Marxloh zählt zu sogenannten Schrottimmobilien (picture alliance / Roland Weihrauch/dpa)
    Die Stadt steuerte gegen: Heruntergekommene Häuser ließ das Wohnungsamt räumen, renovierungsbedürftige Immobilien wurden in eine Datenbank aufgenommen. Heute sei das Problem weitgehend im Griff, sagt Susanne Linnebach, Leiterin der Dortmunder Stadterneuerung.
    "Verschwunden sind sie noch nicht, aber sie sind absolut reduziert und man hat eine Kenntnis über die Problemimmobilien. Und das macht das Vorgehen natürlich leichter. Wenn ich weiß, wo sind denn meine Problemlagen, dann kann ich was tun."
    Netzwerk für EU-Zuwanderer mit sozialen Problemen
    Außerdem ist in Dortmund ein Netzwerk entstanden, um speziell EU-Zuwanderer mit sozialen Problemen zu unterstützen, von der gesundheitlichen Versorgung von Menschen ohne Krankenversicherungsschutz über die Hilfe bei der Wohnungssuche bis zu speziellen Sprachkursen für Deutsch am Arbeitsplatz.
    Im Zentrum der Hilfsangebote steht die Beratungsstelle für EU-Auswanderer "Willkommen Europa", ein Gemeinschaftsprojekt von Diakonischem Werk und Caritas. Johanna Smith ist eine der Leiterinnen.
    "Also die Herausforderungen sind sehr vielfältig. Viele Menschen sind bildungsfern, die zu uns kommen. Das heißt, hier versuchen wir durch intensive, sehr kleinschrittige Arbeit, das System Deutschland zu erklären und auch Arbeitgeber zu finden, die auch für die Probleme der Menschen sensibel sind."
    Erzieher und Kinder in einer Kindertagesstätte in Dortmund
    Erzieher und Kinder in einer Kindertagesstätte in Dortmund (Imago)
    Nur 10 Prozent haben eine Berufsausbildung
    Nur etwas mehr als zehn Prozent der bulgarischen und rumänischen Arbeitssuchenden verfügen über eine abgeschlossene Berufsausbildung. Selbst einen Schulabschluss können viele Menschen, die nach Dortmund kommen, nicht vorweisen.
    Ähnlich ist die Situation von bulgarischen und rumänischen Zuwanderern auch in anderen strukturschwachen Ruhrgebietsstädten, vor allem in Duisburg und Gelsenkirchen.
    "Ein herzliches Willkommen für Bulgaren und Rumänen, das sieht anders aus…"
    CSU mahnte vor Einwanderung in die Sozialsysteme
    Rückblick: Kurz vor Neujahr 2014 entbrannte ein heftiger politischer Streit um die Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien. Wenn ab Januar die volle Freizügigkeit in Kraft trete, würden mittellose Menschen aus den beiden Ländern in großer Zahl in die Sozialsysteme einwandern, befürchtete vor allem die CSU und machte Stimmung mit dem Slogan: "Wer betrügt, der fliegt". Andreas Scheuer, damals CSU-Generalsekretär:
    "Die CSU empfindet es als ungerecht, dass auch aus anderen EU-Staaten Menschen zu uns kommen und auf unsere nationalen Sozialkassen zugreifen können, auf eine Solidarkasse, die von deutschen Beitragszahlern ja garantiert wird."
    Zur Frage, ob EU-Bürger in Deutschland Anspruch auf Sozialleistungen haben, standen damals beim Europäischen Gerichtshof zwei Grundsatzentscheidungen an.
    Wollen keine "Freizügigkeit in die Sozialsysteme"
    Im November 2014 ergingen die Urteile in den Fällen Dano und Alimanovic: Bürgerinnen und Bürgern aus anderen EU-Ländern, die noch nie in Deutschland gearbeitet haben, steht demnach keine Arbeitslosenunterstützung zu, kein Hartz IV.
    Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, war erleichtert:
    "Wir begrüßen das Urteil des Europäischen Gerichtshofs. Das ist ein ganz wichtiger Baustein für weniger Sozialtourismus in Europa. Und es ist auch ein wichtiges Signal, dass wir zwar Freizügigkeit wollen, aber nicht Freizügigkeit in die Sozialsysteme."
    Kommunen fürchteten neue Milliardenlasten
    Ein anderes Urteil dagegen schockte die Städte und Gemeinden: Das Bundessozialgericht entschied im Dezember 2015, dass mittellose EU-Bürgerinnen und Bürger im Zweifel Sozialhilfe beziehen können. Die Kommunen fürchteten neue Milliardenlasten.
    Sinti und Roma osteuropäischer Herkunft in Duisburg | imago stock&people
    Einwanderer in Duisburg (imago)
    Als Reaktion darauf brachte die damalige Bundessozialministerin Andrea Nahles ein neues Gesetz auf den Weg. Demnach haben Neu-Einwanderer aus der EU in Deutschland fünf Jahre lang kein Recht auf Sozialhilfe. Sie können bei Bedürftigkeit lediglich ein Überbrückungsgeld beantragen, um sich etwa mit Essen versorgen zu können. Und sie bekommen ein wenig Geld, um in ihre Herkunftsländer zurückzukehren.
    Das Prinzip: ohne Arbeit keine sozialen Leistungen für EU-Einwanderer. Andrea Nahles formulierte es so:
    "Ich erwarte schlicht, dass hier Erwerbstätigkeit die Grundlage für die Integration auch auf Basis der Freizügigkeit ist."
    Bulgarien - "Da gab es keine soziale Unterstützung"
    Sprechstunde bei "Willkommen Europa", der Anlaufstelle für EU-Migranten in der Dortmunder Nordstadt. Beraterin Elena Genova hilft einer Kundin beim Ausfüllen eines Jobcenter-Antrags.
    Katsche Emurua kommt aus einem kleinen Ort in Bulgarien. Ihr Mann arbeitet ein paar Stunden pro Woche, auf Abruf für eine Bäckerei. Weil er nur 390 Euro verdient, bekommt die Familie sogenannte aufstockende Leistungen. Das Geld muss beim Jobcenter regelmäßig neu beantragt werden. Und weil sie kein Deutsch versteht, kommt sie zur Beratungsstelle.
    "Wir haben in Bulgarien beide gearbeitet. Aber das Geld reichte nicht, obwohl wir da noch kein Kind hatten. Jetzt haben wir wieder wenig zum Leben, aber wir fühlen uns besser als in Bulgarien. Da gab es keine soziale Unterstützung, und die Kosten, zum Beispiel für Miete und Gas, waren sehr hoch."
    Viele mit Roma-Hintergrund in Dortmunds Nordstadt
    Ärger mit dem Jobcenter, Wohnungsmängel, Mahnungen wegen Zahlungsverzug- Elena Genova ist heute mit allen möglichen Problemen konfrontiert. Ein typischer Tag, meint die Beraterin, die selbst aus Bulgarien stammt.
    "Es ist normal, die Fälle sind wie immer sehr kompliziert. Man muss auch viel recherchieren, bis man rausfindet, woran es liegt, dass so gekommen ist oder die Zusammenhänge zu erfassen."
    Die schwierige Situation der Kundinnen und Kunden von "Willkommen Europa" hat oft auch zu tun mit der Diskriminierung in ihrem Herkunftsland. So leben in der Dortmunder Nordstadt viele Einwanderer aus Stilipinovo, einem Stadtteil von Plovdiv, in dem vor allem Menschen mit Roma-Hintergrund leben.
    Einen dauerhaften Job zu finden, fällt schwer
    Sebastian Kurtenbach, Stadtsoziologe an der Fachhochschule Münster hat die Beziehungen zwischen den beiden Vierteln untersucht. Die Nordstadt sei ein typisches Ankunftsquartier für die Menschen aus Stilipinovo.
    "Es ist eine länger ansässige Bevölkerung mit Migrationshintergrund, die praktisch als Brückenkopf in die Herkunftsregion fungiert, die einem erste Orientierung gibt: Warum haben hier sonntags die Geschäfte zu? Wo kann man Kindergeld vielleicht beantragen? Wo ist der Sozialarbeiter, der einen weiter helfen kann?"
    Dennoch: Einen dauerhaften Job zu finden, fällt den Einwanderern aus dem Roma-Stadtteil häufig schwer.
    Kindergeld - Leistung auch für EU-Migranten ohne Job
    Sinti und Roma osteuropäischer Herkunft in Duisburg | imago stock&people
    Sinti und Roma osteuropäischer Herkunft in Duisburg (imago)
    Die einzige Sozialleistung, die auch EU-Migranten ohne Job zusteht, ist das Kindergeld. Ein Teil davon fließt an Kinder, die gar nicht in Deutschland leben, sondern daheim geblieben sind. Um zehn Prozent stiegen die Kindergeldzahlungen nach Polen, Bulgarien oder Rumänien allein zwischen Ende 2017 und Mitte 2018.
    Die Bundesregierung will die Höhe des Kindergeldes bereits seit Längerem an die Lebenshaltungskosten im jeweils anderen Mitgliedsland anpassen. Eine aussichtslose Initiative, sagt Rolf Schmachtenberg, Staatssekretär im Bundessozialministerium. Denn die meisten EU-Staaten sehen keinen Grund, etwas zu ändern am Kindergeldbezug.
    "Ich finde, dass wir jetzt auch mal zur Kenntnis nehmen müssen, dass wir mit dieser Position in der EU recht isoliert sind. Weder unser Nachbarland Frankreich, das ja auch ein großes und reiches Land ist, noch Luxemburg, noch Belgien tragen das mit."
    Deutsche Wirtschaft profitiert massiv von Zuwanderung
    Plänen wie der Kindergeldkürzung für Arbeitnehmer aus anderen Mitgliedsstaaten widersetzt sich die EU-Kommission. Für Sozialkommissarin Marianne Thyssen wäre das ein klarer Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz.
    "Die Grundregel in der Europäischen Union besagt: Wenn jemand in einem anderen Mitgliedsstaat arbeitet, Steuern und Sozialversicherungsbeiträge bezahlt, genauso viel wie die Einheimischen, hat er oder sie auch ein Recht auf dieselben Sozialleistungen."
    Tatsächlich profitiert die deutsche Wirtschaft massiv von Zuwanderung aus anderen EU-Ländern- gerade aus Bulgarien und Rumänien.
    Kunstvolle Streifen auf dem Glas zaubert ein Fensterputzer während seiner Arbeit.Können Helfer-Jobs und Zeitarbeit Flüchtlingen einen Einstieg in den Arbeitsmarkt ermöglichen? Oder sind sie bei der Integration eine Sackgasse?
    Nicht alle Zuwanderer werden es schaffen, alleine zurechtzukommen, so die Erfahrungen von Beraterin Elena Genova. (picture alliance / Wolfgang Kumm)
    Beschäftigungsquote bei Bulgaren und Rumänen hoch
    Termin in Nürnberg, beim Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Ehsan Vallizadeh beschäftigt sich beim IAB mit Migrationsfragen. Fast eine Million Menschen aus Bulgarien und Rumänien arbeiten inzwischen in Deutschland. Und die Zuwanderung aus den sogenannten EU2-Ländern wächst besonders schnell. Insgesamt gelinge es den Zuwanderern erstaunlich gut, auf dem deutschen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.
    "Dieser Anstieg ist eigentlich einmalig. Und wenn man sich diese Zahlen anschaut, dann sind die Migranten aus Bulgarien und Rumänien… gehören die eigentlich zu den besten in den deutschen Arbeitsmarkt integrierten Personengruppen."
    Abzulesen ist das an der EU2-Beschäftigungsquote: 2014 lag sie bundesweit bei 35 Prozent; mit 64 Prozent ist der Anteil der Bulgaren und Rumänen mit Job aktuell fast doppelt so hoch.
    Auf dem Bau, in der Gastronomie und Lagerhaltung
    Allerdings sind die EU2-Migrantinnen und -Migranten derzeit überwiegend in gering qualifizierten Jobs beschäftigt. 55 Prozent der Bulgaren und Rumänen arbeiten in Helfertätigkeiten: auf dem Bau, in der Gastronomie, in der Lagerhaltung.
    Rundgang durch die Nordstadt mit Elena Genova von "Willkommen Europa". Regelmäßig sind die Mitarbeiterinnen der Beratungsstelle im Viertel unterwegs, um Menschen aus der Zielgruppe auf das Beratungsangebot aufmerksam zu machen und überhaupt ein Gefühl zu bekommen, was auf der Straße gerade los ist.
    Keine Zeit für Kompetenzfeststellungstests
    Auf dem Platz vor einer Kirche wird Elena Genova von einem Mann angesprochen. Es ist zu spüren, dass er unter großem Druck steht. Vor Kurzem hat er seinen Job als Packer in einem Supermarkt verloren. Jetzt will er schnell neue Arbeit finden. Elena Genova reicht ihm den Flyer über den Service von "Willkommen Europa", aber er winkt ab.
    Er kenne das Angebot, sagt Dimiter Pauno, aber es gehe zu langsam bei der Beratungsstelle, er habe keine Zeit für die obligatorischen Kompetenzfeststellungstests.
    "Ich arbeiten muss, muss arbeiten."
    Neben ihm stehen seine Frau und die vier Kinder. Vor drei Jahren ist die Familie nach Deutschland bekommen. Er hat schon in verschiedenen Jobs gearbeitet und einen Gabelstapler-Führerschein gemacht. Aber jetzt wird das Geld knapp.
    "Wenn ich in absehbarer Zeit nichts finde, gehe ich von hier weg, in eine andere Stadt. Dann gehe ich vielleicht nach England oder Italien oder Frankreich."
    Großkriminelle versuchen, Geringqualifizierte auszubeuten
    Während wir mit der Familie sprechen, beobachtet uns ein Mann. Einer der selbst ernannten Berater, die ihren Landsleuten Unterstützung anbieten und ihnen dafür viel Geld abnehmen, vermutet Elena Genova.
    "Der wollte, dass wir die Familie nicht aufklären, das habe ich sofort gesehen. Aber weil Sie auch da waren, konnte er sich nicht wehren."
    Das Mikrofon hat offenbar abschreckend auf den Mann gewirkt.
    Beamte der Bundespolizei führen bei einer großangelegten Razzia gegen eine Bande von mutmaßlichen Menschenschleusern einen festgenommenen Mann ab.
    Razzia gegen mutmaßliche Menschenschleuser in NRW (dpa-Bildfunk / Paul Zinken)
    Vor allem Einwanderer mit geringen Qualifikationen fallen oft in die Hände von kleinen Geschäftemachern wie diesem Mann, oder sie werden Opfer von Großkriminellen. Organisierte Schlepperbanden locken arme Menschen aus Bulgarien und Rumänien gezielt nach Deutschland, bringen sie in überteuerten Wohnungen unter, beschäftigen sie zum Schein in geringfügigen Jobs und streichen die aufstockenden Leistungen vom Jobcenter ein.
    Immer mehr Städte verfolgen den Missbrauch
    Solche kriminellen Geschäftsmodelle will die Stadt Dortmund auf keinen Fall dulden, sagt Sozialdezernentin Birgit Zoerner.
    "Das heißt, wir müssen eigentlich immer alles betrachten und müssen auch deutlich machen, hier in Dortmund hast Du eine Chance, wenn Du kommst, weil Du eine Perspektive suchst, dann unterstützen wir Dich auch. Menschen, die hier versuchen, andere auszubeuten, die haben hier kein schönes Leben. Und wir merken es auch daran, dass die Zahlen in anderen Städten steigen und bei uns eben nicht mehr."
    Neben Dortmund verfolgen immer mehr Städte den Missbrauch konsequent, lobt Ina Scharrenbach, die für Migration zuständige NRW-Ministerin:
    "Wir gehen eben dann auch repressiv vor und sagen, dass wir bestimmte Dinge nicht dulden. Das heißt dass man hinguckt, dass man sagt, hier findet auch zum Teil Missbrauch statt. Dann ist das eben Ausdruck dieses Fordern und Förderns."
    Plädoyer für rigorosere Ausreiseanordnung
    Der konsequente Kampf gegen das Geschäft mit der Migration ändert aber nichts an der prekären Lage vieler Einwanderer.
    Ministerin Scharrenbach von der CDU plädiert für ein rigoroseres Vorgehen: Wenn nach den EU-Regeln kein Aufenthaltsrecht bestehe - also Migranten nach sechs Monaten keinen Job gefunden haben - müssten die Ausländerbehörden die Ausreise anordnen.
    "Davon wird zugegebenermaßen wenig Gebrauch gemacht, aber das Recht besteht."
    EU-Einwanderer müssen Sprachkurse oft selbst bezahlen
    Die Dortmunder Sozialdezernentin sieht das grundsätzlich anders. Ein härteres Durchgreifen der Ausländerbehörden werde am Problem nichts ändern, ist Birgit Zoerner überzeugt.
    "Die Menschen werden hierbleiben oder sie reisen für zehn Minuten aus und wieder ein. Da muss ich doch sagen: Ok, wenn es so ist, dass ein großer Teil der Menschen hier bleiben will und eine Perspektive sucht, dann gibt es doch überhaupt keine vernünftige Alternative zur Integration."
    Wer einen besseren Job bekommen will, muss Deutsch lernen. Aber Sprachkurse müssen die EU-Einwanderer oft selbst bezahlen. Was bei Flüchtlingen normal ist - die Förderung des Spracherwerbs- gibt es für EU-Einwanderer nicht als Regel-Angebot.
    Städtetag fordert Hilfe für betroffene Städte
    Ein Schild "Hier sind wir zuhause" in verschiedenen Sprachen hängt am 12.08.2015 in Duisburg (Nordrhein-Westfalen) auf der Straße. Händlern brechen die Geschäfte weg, Familienclans reklamieren die Gegend für sich.
    Duisburg-Marxloh: Das Schild "Hier sind wir zuhause" trotzt der sozialen Misere. (picture alliance/dpa/Maja Hiti)
    Genau das fordern jetzt die betroffenen Kommunen. Pünktlich zum fünften Jahrestag der vollen Freizügigkeit für Bulgarien und Rumänien ist der Deutsche Städtetag in die Offensive gegangen. Das Ziel laut einem Städtetagsbeschluss…
    (Zitat) "… das Thema wieder auf die bundespolitische Agenda zu heben und für die betroffenen Städte Hilfsstrukturen zu entwickeln."
    Der Bund habe viel zu wenig unternommen, um die betroffenen Kommunen zu unterstützen. Nur mit einheitlichen und dauerhaften Strukturen sei den Folgen der Armutszuwanderung beizukommen. Die Netzwerke in den Städten bestehen bisher aus Projekten, die meist zeitlich befristet sind.
    Den Teufelskreis durchbrechen
    Viele Menschen, die Qualifizierung brauchen, haben ein grundsätzliches Problem: Weil sie Geld verdienen müssen, haben sie keine Zeit für Weiterbildungskurse und bleiben so auf schlecht bezahlte Gelegenheitsjobs angewiesen.
    Diesen Teufelskreis gelte es zu durchbrechen, sagt die Dortmunder Sozialdezernentin.
    "Aus unserer Sicht wäre es dringend erforderlich, dass man Qualifizierungsmaßnahmen auch mit Gelderwerb kombinieren könnte. Die Überlegung, wie das funktionieren kann, die haben wir. Und da, wo wir Geld vom Land oder vom Bund bekommen, um solche Programme umzusetzen, da funktioniert das auch. Das sind aber in dem Sinne keine Regelangebote. Das heißt, wir müssen uns diese Dinge immer irgendwie zusammenstrippen."
    Hilfe nach bundesweitem Standard erforderlich
    Auch Rolf Schmachtenberg, Staatssekretär im Bundessozialministerium, sieht noch Bereiche, wo die Förderung benachteiligter Zuwanderer verbessert werden könnte. Andererseits gebe es in den Städten bereits viele Projekte, die erfolgreich genau daran arbeiten.
    "Das bezieht sich einmal auf die Förderung der Arbeitsmarktintegration, was die Städte da diskutieren. Da bin ich auch bei denen. Da haben wir halt das Problem bei der Gruppe, die gar nicht arbeiten und die auch keine Leistung des Jobcenters beziehen und deswegen vom Jobcenter zunächst ja nicht unterstützt werden. Das ist im Grunde genommen die schwierigste Gruppe."
    Der Städtetag fordert: EU-Zuwanderer auf Jobsuche brauchen Hilfe durch die Bundesagentur für Arbeit, und zwar nach einem bundesweiten Standard. Nur so lasse sich der Zugang zu Sprachkursen und Qualifizierung überall gewährleisten.
    Der Umgang wird eine Herausforderung bleiben
    Mehr Initiative, um Zuwanderer für den Arbeitsmarkt fit zu machen, könnte sich für Deutschland auszahlen, sagt auch EU-Sozialkommissarin Marianne Thyssen.
    "Es gibt in Deutschland viele offene Stellen und eine schrumpfende heimische Bevölkerung. Wenn Europäer schon da sind, die hier leben wollen, ist es doch eine gute Politik, ihnen dabei zu helfen einen Job zu finden und so die Zahl der offenen Stellen zu reduzieren und die Wirtschaft zu stärken."
    Aber es gibt offenbar auch eine Gruppe von Zuwanderern, die wegen zu geringer Bildung oder starker kultureller Unterschiede, nicht dauerhaft auf dem deutschen Arbeitsmarkt Fuß fassen werden.
    So viel Hilfe die Dortmunder Beratungsstelle "Willkommen, Europa" auch leistet, nicht alle Kundinnen und Kunden werden es schaffen, alleine zurechtzukommen, so die Erfahrungen von Beraterin Elena Genova.
    "Es gibt wiederum Menschen, die auch angewiesen auf unsere Hilfe bleiben würden. Kann ich mir das mir anders nicht vorstellen."
    Der Umgang mit ihnen wird eine Herausforderung bleiben.