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Zwangspause in Genf

Der Large Hadron Collider (LHC) am Forschungszentrum Cern scheint derzeit unter keinem guten Stern zu stehen. Nach einer Panne am vergangenen Freitag bleibt der Beschleuniger wohl bis zum Frühjahr 2009 abgeschaltet. Wie die Wissenschaftler am Cern mit der Zwangspause umgehen, berichtet der Physiker Frank Hartmann, der seit drei Jahren am Cern Teilchendetektoren betreut, im Gespräch mit Marieke Degen.

24.09.2008
    Marieke Degen: Der Physiker Frank Hartmann arbeitet seit drei Jahren am Cern. Er betreut die Detektoren, mit denen die Teilchen im Magnetfeld des Beschleunigers gemessen werden sollen. Mit ihm habe ich vor der Sendung über die Zwangspause für den LHC gesprochen und dabei erfahren, dass die Physiker heute Abend trotzdem etwas zu feiern haben.

    Frank Hartmann: Wir erwarten ungefähr 2000 Physiker heute Abend im Rahmen von einer Feier zur Inbetriebnahme unseres Detektors und auch zur Inbetriebnahme des Detektors mit dem Strahl vom LHC, weil unser Detektor im Prinzip funktioniert und bereit ist für den Strahl. Wir müssen jetzt nur etwas länger warten. Unsere Arbeit an der Stelle ist eigentlich großteils getan.

    Degen: Wie denken Sie wird denn die Stimmung heute Abend sein? Wahrscheinlich doch schon ein bisschen gespalten und nicht ganz so euphorisch?

    Hartmann: Also nach der ersten Frustration am Freitag, Samstag hat sich das Ganze wieder gelegt. Ich meine, wir sind immer noch teilweise frustriert, aber Sie müssen sehen: Wir arbeiten jetzt seit 20 Jahren an diesen Detektoren und an der Maschine. Die Laufzeit von dieser Maschine beträgt zehn Jahre. Danach planen wir auch jetzt schon wieder ein Design, ein Upgrade für weitere zehn bis 15 Jahre. Und auf diesem Zeitrahmen sind ein paar Monate nicht so kritisch. Wir müssen jetzt einfach wirklich aus dem Stand weiterarbeiten und unsere Detektoren verbessern, einige Dinge, wir eigentlich für den Shutdown nächstes Jahr geplant haben, vorziehen und das Beste daraus machen.

    Degen: Anfang der Woche hieß es ja noch, dass die Reparaturen so um die zwei Monate dauern sollen. Warum sind denn daraus jetzt mindestens sechs Monate geworden?

    Hartmann: Ende letzter Woche haben sogar noch gehofft, dass wir nur einen kleinen Quench, also Verlust der Supraleitfähigkeit eines Magneten, haben, was man in situ reparieren kann. Die ersten Einschätzungen gingen erst mal ein, zwei Wochen. Dann haben wir wirklich verstanden, dass es wohl eine Transferleitung zwischen zwei Magneten ist, die einen elektrischen Defekt hat und Helium ausgetreten ist. Das heißt, wir müssen diesen Sektor aufwärmen. Und wir befinden uns in Temperaturen unter zwei Kelvin, um die Suprafluidität des Heliums zu gewährleisten und die Supraleitung der Magneten. Das heißt, wir brauchen alleine mal drei, vier Wochen, um aufzuwärmen, und wir brauchen alleine fünf Wochen, um es wieder abzukühlen. Drei Wochen plus fünf Wochen plus Magnet ausbauen, Magnet einbauen heißt in dem Moment mindestens zwei Monate. Das war sehr konservativ.

    Danach haben wir gesehen: OK, es ist Helium ausgetreten mit einer gewissen Druckwelle, und jetzt müssen wir einfach in größeren Segmenten dieses Sektors garantieren, dass die anderen Magnete keinen Kollateralschaden haben. Das heißt, wir müssen mehrere Magnete ausbauen, um zu verstehen, was in den Magneten passiert ist, auch als Präventivmaßnahme, dass es nicht wieder passiert. Wir haben aber mehr als 50 Stück als Ersatzteillager von diesen Magneten hier direkt am Cern, die wir austauschen können. Also es ist geplant, dass wie Magnete austauschen. Wir wissen nur noch nicht wie viele. Aber wir haben definitiv mehr auf Halde, als wir brauchen werden.

    Degen: Was bedeutet der Aufschub denn jetzt konkret für Sie und Ihre Kollegen?

    Hartmann: Ich bin ein Hardware-Mensch: Ich baue seit meiner Diplomarbeit Detektoren. Wir werden einfach die Zeit nutzen, um Arbeiten vom nächsten Jahr vorzuziehen. Wir werden an vielen Stellen noch die Sicherheit verbessern. Für meine Kollegen, die wirklich die Analyse der Daten betreiben, besonders für die Doktoranden, ist es schwieriger, weil viele Doktoranden sind auf Daten angewiesen, bevor sie promovieren können. Und das heißt für die Leute wirklich ein Aufschub von mehreren Monaten, bevor sie überhaupt wirklich anfangen können mit ihrer Arbeit. Wir werden das Beste daraus machen und uns noch besser vorbereiten, als wir jetzt schon sind.

    Degen: Mit Hilfe des LHC soll unter anderem ja auch das Higgs-Teilchen nachgewiesen werden. Damit stehen Sie und Ihre Kollegen ja in direkter Konkurrenz zu den Forschern des Teilchenbeschleunigers Tevatron in Chicago. Könnte es sein, dass die amerikanischen Kollegen Ihnen jetzt zuvorkommen, dass die also vor Ihnen das Higgs-Teilchen entdecken?

    Hartmann: Prinzipiell ist das möglich. Ich meine, unsere amerikanischen Kollegen betreiben diesen Beschleuniger mit diesem Detektor seit 2000 in dem neuen Upgrade und sammeln Statistik. Dass sie jetzt genau in diesem letzten halben Jahr die Statistik soweit erhöhen, um das Higgs-Teilchen zu finden, halte ich persönlich für nicht sehr wahrscheinlich, aber es ist möglich. Ich würde mich auch für die Kollegen in Amerika freuen, denn immerhin habe ich auch an diesem Detektor in meiner Doktorandenzeit mitgearbeitet. Es wäre dann auch noch immer so ein bisschen noch mein Higgs-Teilchen.