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"Zwei intellektuelle Pioniere und Entdecker"

Sie gehören zusammen wie Tauschwert und Gebrauchswert. Wie Histomat und Diamat. Marx und Engels. Leben und Lebenswerk dieser beiden seien so ineinander verwoben, dass sie unmöglich getrennt werden können. Doch was wäre aus dem einen ohne den anderen wohl geworden?

Von Detlef Grumbach | 19.10.2009
    Marx ist tot - so schien es nach der Zeitenwende 1989. Zwanzig Jahre später zeigen sich zwei Tendenzen: Zum einen wächst mit der Krise des Kapitalismus das Interesse am kritischen Gehalt des Marxismus: "Das Kapital" erschien in den vergangenen Jahren als Kurzfassung, im Taschenbuch, als illustrierte Luxus-Ausgabe, als Hörbuch. Zum anderen, so Klaus Körner, wurde der Marxismus nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Regime in Ostdeutschland und Osteuropa davon befreit, als in Beton gegossene Doktrin der Arbeiterbewegung zu dienen.

    "Nach dem Untergang des sogenannten realen Sozialismus ist ein unbefangener Blick auf die Begründer des "wissenschaftlichen Sozialismus" möglich. Sie lassen sich als Klassiker des politischen und ökonomischen Denkens des 19. Jahrhunderts qualifizieren, die versucht haben, den Aufstieg und Fall des Kapitalismus theoretisch zu erfassen."

    Mit dem neuen, durchaus kühlerem Interesse am Marxismus nimmt auch die Beschäftigung mit den Autoren des "Kommunistischen Manifestes" wieder zu, vor allem mit Marx, …

    "…der das Problem der Entfremdung durch die Fabrikarbeit behandelt und dann auf die politische Ökonomie stößt und zunächst noch an die Macht des Aktivismus und der revolutionären Begeisterung glaubt, dann aber sehen muss, nach dem Scheitern der Revolution von 1848/49, dass eigentlich die materiellen Verhältnisse und die ökonomischen Verhältnisse sehr viel wichtiger sind als die Betriebsamkeit der Betroffenen."

    Der Hamburger Zeithistoriker und Publizist Körner weitet in seiner originellen Doppelbiographie jedoch die Perspektive. In sieben übersichtlichen Kapiteln folgt er der Chronologie der Ereignisse von 1844 bis 1895. Er zeigt auf teils anrührende Weise, wie eng die Einheit von Freundschaft, theoretischem Denken und politischen Kämpfen war, in der die grundverschiedenen Charaktere Marx und Engels ihr gemeinsames Werk geschaffen haben. Der 1818 in Trier geborene Marx war Sohn einer fast biedermeierlich bürgerlichen Familie, wurde während des Studiums in Berlin politisiert und verdiente sein Geld als Journalist. Der zwei Jahre jüngere Engels dagegen kam aus einer Fabrikantenfamilie und sammelte in Manchester, in der Firma seines Vaters, praktische Erfahrungen mit den sozialen Folgen industrieller Produktion. 1844 trafen sich beide in Paris. Beide waren Mitte zwanzig. "Marx hatte keine Ahnung von Ökonomie", stellte Engels später fest, Marx erkannte im Gegenzug, dass Engels ihm "stets zwei Schritte voraus war". Sie stellten dennoch eine "vollständige Übereinstimmung auf allen theoretischen Gebieten" fest und verabredeten ihre Zusammenarbeit, das, was sie später als "Compagniegeschäft Marx & Engels" bezeichneten.

    "Typisch für die unterschiedliche Arbeitsweise von beiden ist, dass Engels eigentlich schon von seiner kaufmännischen Lehre her gelernt hat, auf Ordnung zu halten, überschaubare Sachen in Angriff zu nehmen und in kurzer Zeit auch tatsächlich zum Abschluss zu bringen. Er hat also innerhalb weniger Monate sein Buch über "Die Lage der arbeitenden Klasse in England" geschrieben, ein genialisches Frühwerk, während Marx immer dazu neigte, gewaltige Werke anzufangen und damit eigentlich nie recht überkam."

    Marx hatte zunächst zugesagt, eine kleine Broschüre gegen die Berliner Links-Hegelianern zu verfassen - heraus kam mit deutlichem Verzug ein umfangreiches, allerdings auch wenig stringentes Werk: "Die Heilige Familie". In den bewegten Jahren bis zur Revolution arbeiteten Marx und Engels eng und gleichberechtigt zusammen. Nach dem Scheitern der 48er-Bewegung mussten sie sich neu organisieren, weil Marx aus Köln nach London ausgewiesen wurde.

    "Dann entschließt sich Engels, in das für ihn grauenhafte Manchester zu gehen, um dort im väterlichen Betrieb einem Erwerb nachzugehen als Baumwollkaufmann, während Marx die Revolution gleichsam am Schreibtisch organisiert. Er wird finanziert von den Erträgen aus Engels' beruflicher Tätigkeit und kann sich nur damit eigentlich über Wasser halten und setzt sich dann ran, sein großes ökonomisches Werk zu schreiben, von dem er und auch Engels erwarten, dass es die Analyse für die große Revolution erarbeiten wird."

    Einen Verlagsvertrag für die "Kritik der Nationalökonomie" hatte Marx schon 1845 abgeschlossen, der erste Band des "Kapital" erschien erst 1867. Körner zeigt die Gründe dafür, erzählt, wie sich immer neue Anforderungen stellten, wie die Arbeitervereine und später die SPD die beiden um Unterstützung angingen. Er verfolgt in seiner Darstellung nicht die einzelnen, nebeneinander laufenden Linien, sondern webt einen Teppich, vermittelt ein ebenso komplexes wie anschauliches Bild, wie gesellschaftliche Verhältnisse, politische Auseinandersetzungen und Diskussionen in Marxens Arbeitszimmer ineinander greifen. Privat prallten bei den beiden allerdings Welten aufeinander. Engels ging seiner geregelten Arbeit nach, der Bourgeois Marx musste ihn dauernd um Geld anbetteln. Marx war Familienmensch, litt darunter, dass er seiner Frau kein standesgemäßes Leben bieten konnte, dass sie sich für seine Arbeit aufopferte. Engels war Teil der High Society, ging zum Reiten, auf die Fuchsjagd, lebte aber in wilder Ehe mit zwei irischen Arbeiterinnen, die nicht einmal lesen und schreiben konnten.

    "Wenn man heute Marx und Engels würdigt, dann geht es nicht darum, Propheten ewiger quasireligiöser Wahrheiten zu verherrlichen","

    so resümiert der Autor,

    ""sondern zwei intellektueller Pioniere und Entdecker zu würdigen, die quer zu den herrschenden Tendenzen ihrer Zeit standen und deren klassisch gewordenen Werke man mit großem Gewinn liest."

    Mit dem Tod von Marx 1883 begann eine neue Phase des "Compagniegeschäfts", wurde Engels für zwölf ihm noch verbleibende Jahre zum Nachlassverwalter und Propagandisten der gemeinsamen Anstrengungen. Die Lektüre dieser erfreulich schmalen Doppelbiografie, die auch den Stand der Marx-Engels-Forschung referiert und mit einem Personenregister versehen ist, ersetzt nicht die Einführung in den Marxismus. Sie macht aber den Hintergrund einer noch immer nicht ganz ausgeleuchteten Theorie äußerst lebendig.

    Detlef Grumbach: Klaus Körner: "Wir zwei betreiben ein Compagniegeschäft". Karl Marx und Friedrich Engels. Eine außergewöhnliche Freundschaft.
    Konkret Literaturverlag, 180 Seiten, 15,00 Euro