Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


Zwei Oldenburger Schulen starten mit inklusiver Pädagogik

Die beiden Kommunen Wiefelstede und Edewecht bei Oldenburg starten zum neuen Schuljahr mit gemischten Klassen - Kinder mit und ohne Behinderung lernen gemeinsam. Der Rechtsanspruch wird in Niedersachsen aber erst 2013 eingeführt.

Von Beate Hinkel | 25.07.2012
    Timo hat viele Freunde. Er ist zehn Jahre alt und geht seit zwei Jahren in die Grundschule Edewecht. Eigentlich müsste er in die benachbarte Förderschule gehen, denn er kam mit einem Downsyndrom auf die Welt und gilt als geistig behindert. Doch Timo hat engagierte Eltern und Glück gehabt, erzählt seine Mutter Ludmilla Hartwig.

    "Natürlich gab es Gespräche. Die Schule hat uns diese Möglichkeit gegeben, und wir waren auch bei der Schulbehörde. Natürlich muss man überall präsent sein."

    Timo wollte mit seinen Freunden aus dem Kindergarten zusammenbleiben. Und Eltern wie Erzieherinnen waren sich einig, dass Timo mehr gefordert werden kann:

    "Die Voraussetzungen hat er mitgebracht. Der hat sein Thema Tiere. Das liebt er über alles. Der weiß, wo jedes Tier wohnt, er weiß, was jedes Tier frisst. Das ist ja Sachkunde. Die Buchstaben kennt er schon alle. Lesen hat er hier gelernt. Der liest sehr gut. Und auch die Sonderpädagogin, die ihn unterstützt, sagt: Der Timo wäre da untergegangen, der ist viel weiter als die in der 1. und 2. Klasse."

    Ab 2013 sollen in Niedersachsen alle Kinder das Recht haben, zusammen zur Schule zu gehen. Egal, ob behindert oder nicht. Das geht auf eine UN-Konvention zurück, die 2009 in Kraft trat und von Deutschland ratifiziert wurde. Deshalb steigt auch nach einer Studie der Bertelsmannstiftung der Anteil der Schüler mit Förderbedarf an den allgemeinen Schulen. Bundesweit gingen vor einem Jahr rund 22 Prozent der Inklusionskinder dorthin. Niedersachsen brachte es allerdings nur auf einen Anteil von 8,5 Prozent. So ist und bleibt die Umsetzung der Inklusion an den Schulen in Niedersachsen eine große Herausforderung. Zwar werden die Klassen mit der Einführung der Inklusion ein bisschen kleiner. Doch auch weiterhin wird es nur zwei Förderstunden pro Klasse und Woche geben. Viel zu wenig, sagt der Schulleiter der Grundschule Edewecht, Egbert Kosmis. Geistigbehinderte Kinder können so nicht verantwortungsvoll unterrichtet werden:

    "Es ist grenzwertig. Wir brauchen einfach zusätzlich Unterstützungskräfte. Förderschullehrerstunden müssen sein, zusätzliche Assistenz wie pädagogische Mitarbeiter, Sozialpädagogen, die Teile der Arbeit übernehmen. Und da möchten wir einfach auch aufzeigen in dem kommenden Schuljahr, dass es so nicht geht, dass man einfach doch mehr Personal braucht."

    Kosmis möchte, wie seine Kollegen in den benachbarten Grundschulen, jedoch wenigstens von dem wenigen profitieren, was das Land für die Inklusion derzeit zur Verfügung stellt. Das sind Fortbildungen für die Lehrer, 2 Stunden pro Woche und Klasse für einen Förderschullehrer und kleinere Klassen. Denn nach seiner Erfahrung mit der Einführung der Ganztagsschulen befürchtet er, dass sich das noch reduzieren wird. Dabei fehlen ihm, wie vielen anderen Schulen auch, neben zusätzlichen Lehr- und Betreuungskräften, auch noch geeignetes Lehrmaterial und behindertengerechte Sanitäranlagen. Häufig müssen dringend auch Fahrstühle eingebaut werden, damit auch gehbehinderte Kinder ihre Klassenräume erreichen können. Doch für bauliche Veränderungen sind die Kommunen zuständig, - und die haben kein Geld.

    Timo wird erst einmal der einzige geistig behinderte Schüler in der Grundschule Edewecht bleiben. Und das auch nur, weil ihm ein Einzelfallhelfer zur Seite steht, den seine Eltern jedoch jedes Jahr aufs Neue bei der Sozialbehörde beantragen müssen. Doch in einem Jahr, haben alle Eltern behinderter Kinder in Niedersachsen ein Recht darauf, ihre Kinder an allgemeinen Grundschulen anzumelden. Und viele Eltern wünschen sich das auch. Egal, ob ihre Kinder verhaltensauffällig, geistig-, lern- oder körperbehindert sind. Das Glücksspiel, das Timo und seine Eltern gespielt haben, sollte damit eigentlich ein Ende haben. Allerdings werden Eltern und Lehrer dann wohl noch die nötigen Bedingungen einfordern müssen, damit ein gemeinsamer Unterricht und eine differenzierte Förderung auch möglich wird. Ein Zurück, gibt es für Schulleiter Egbert Kosmis auf diesem Weg nicht:

    "Inklusion ist ein Menschenrecht. Ich bin optimistisch und denke dennoch, das wird viele Jahre dauern, bis wir das umgesetzt haben. Aber wenn wir nicht anfangen, wenn wir nicht die ersten Schritte tun, wird es uns nicht gelingen. Also fangen wir an."