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Zwei Seelen in der Brust

Er ist der Inbegriff der deutschen musikalischen Romantik, obwohl er selbst mit dieser Einordnung unglücklich war: Robert Schumann. Er war ein eher introvertierter Künstler mit einem hochfahrenden Lebens- und Kunstkonzept, gleichermaßen literarisch und musikalisch begabt.

Von Frieder Reininghaus | 08.06.2010
    Schon der Gymnasiast Robert Schumann hatte Großes mit sich vor.

    "Er war von der absoluten Gewissheit beherrscht, künftig ein berühmter Mann zu werden",

    notierte sein Schulfreund Emil Flechsig.

    "Worin berühmt, das war noch sehr unentschieden, aber berühmt unter allen Umständen."

    Der Abiturient entwickelte, so der Augenzeuge,

    "eine wahnsinnige Vorliebe für geniale Menschen"

    Damit sind zwei der Kernpunkte für Schumanns Leben und für die Rezeption seines Lebenswerks genannt, das er in wenigen Jahren und unter teilweise widrigen gesundheitlichen Bedingungen anhäufte: Wahnsinn und Genialität. Und wiewohl er in den Jahren des Vormärz die allgemeinen demokratischen Bestrebungen mit Sympathie begleitete, überwog bei ihm – wie bei seinem Freund Mendelssohn – die Vorliebe für gekrönte Häupter oder Künstlerstars, die Zuneigung zu republikanischen Zusammenkünften oder gar Kämpfen. Der 17-Jährige notierte im Tagebuch:

    "Politische Freiheit ist die eigentliche Amme der Poesie."

    Auch der musikalischen; zugleich schrieb er:

    "Democratie in Deutschland [ist] Unsinn."

    Gleichwohl setzte er den Demokraten 1849, als sie die große Schlacht um Dresden verloren hatten, in seinen Märschen op. 76 ein Denkmal – kurz nach dem Abschluss der Arbeiten am Album für die Jugend.

    Gut zwei Jahrzehnte zuvor, am 8. Mai 1828, empfing der damals schon recht prominente Heinrich Heine, in München als Redakteur für Cottas Neue allgemeine politischen Annalen angestellt, Robert Schumann. Der hatte soeben das Abitur abgelegt und sah sich in der (geistigen) Welt um.

    Eine weitere Begegnung zwischen den beiden fand nicht statt. Heine verließ Deutschland für immer in Richtung Paris, um dort den sozialrevolutionären Saint-Simonisten als Hoher Priester zu dienen – stattdessen wurde er Kritiker. Schumann studierte eine paar Semester Jura in Heidelberg, schrieb musikjournalistische Texte und zog sich, wie Heine, eine syphilitische Infektion zu. In Leipzig gründete Schumann die Neue Zeitschrift für Musik, zugleich publizierte er originelle Klavierwerke, deren rhythmische "Verrückungen" ein besonderes Kennzeichen wurden: den Carnaval, die Davidsbündlertänze, die Kreisleriana. Und er ließ es sich, als er sich der Liedkomposition zuwandte, nicht nehmen, Verse des mit preußischem Haftbefehl gesuchten Dichters Heine in Musik zu setzen:

    "Mehr als von jedem anderen Autor!"

    Aus seiner Prominentenverehrung resultierten wunderschöne Liebeslieder, um derentwillen die "deutsche Romantik" bis heute in aller Welt große Verehrung genießt. Vornan die Dichterliebe.

    Die Liebe zur Prominenz bestimmte auch die Wahl der Frau seines Lebens: Robert Schumann ertrotzte, zuletzt mithilfe eines Gerichtsurteils, die eheliche Verbindung mit der damals schon in den Konzertsälen Europas bekannten Clara Wieck. Das Ehepaar, dem in kurzer Zeit sechs Kinder zuwuchsen, definierte sich als Lebens- und Produktionsgemeinschaft, zog nach Dresden. Dann, als Schumann endlich auf eine Musikdirektorenstelle berufen wurde, nach Düsseldorf. Dort erlebte er einen letzten, wahnwitzig anmutenden Schaffensschub mit virtuoser Kammermusik, dem Cellokonzert, dem Melodram Manfred, den Faust-Scenen, der Rheinischen Symphonie.

    Der Rhein, in den er am Rosenmontag 1854 sprang, als sich zu viele Probleme gleichzeitig eingestellt hatten, besiegelte das Schicksal des introvertierten und als Dirigent gescheiterten Künstlers (er dämmerte dann noch zwei Jahre in einer Psychiatrischen Anstalt in Bonn dahin). Geboren wurde Robert Schumann am 8. Juni 1810 in Zwickau, in einem Verlegerhaushalt, der seine Doppelbegabung und seine verzweigten Interessen früh förderte. Als politisch unpolitischer Musiker und Publizist lieferte er der Mit- und Nachwelt Stoff für so manche Kontroverse. Und mehr noch für schwärmerische Zuneigung.