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Zwei Welten

Netzpolitik. - Vor dem Treffen der G8-Regierungschefs in Deauville traf Gastgeber Nicolas Sarkozy auf dem EG8-Forum in Paris auf Größen der Internet-Szene. Auf seine Annäherungsversuche reagierten viele jedoch skeptisch. Zu unterschiedlich sind in Sachen Urheberrecht, Netzkontrolle- oder Freiheit offenbar weiterhin die Positionen.

Von Pia Grund-Ludwig | 28.05.2011
    Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy gab sich in seiner Eröffnungsrede auf dem EG8-Gipfel ausgesprochen diplomatisch. Er verglich die anwesenden Internet-Unternehmer mit Wegbereitern der Moderne wie Kolumbus und Galilei, Newton und Edison. Neu sei an der derzeitigen digitalen Umgestaltung der Gesellschaft, dass es sich um eine totale Revolution handele, die niemandem gehöre und die keine Slogans habe. Das Internet sei ursprünglich neutral ausgelegt gewesen, so der Staatschef, aber die Art und Weise, wie es verwendet wird, sei eben nicht neutral. Der Prominenz aus der Internetbranche sprach er ins Gewissen:
    "Die Verantwortung für das Internet ist eine historische Verantwortung. Diese Verantwortung muss zwischen Ihnen und uns geteilt werden. Es geht für die G8-Staaten – darunter befinden sich die mächtigsten Staaten der Welt – darum, unsere und Ihre geschichtliche Rolle zu erkennen."

    Das Internet sei kein Paralleluniversum mit eigenen Regeln, so Sarkozy weiter. Sarkozys Vorschlag: Es solle zu Fragen der Entwicklung des Internet künftig regelmäßige EG8-Gipfel geben. Das klang einigen dann doch zu sehr nach Versuchen, von staatlicher Seite Regeln zu definieren, wie das Internet funktionieren soll. Der Konter zu Sarkozys Vorstoß kam von Lawrence Lessig. Lessig ist Professor an der Harvard Law School und war einer der wenigen Vertreter, die auf dem Forum in Deauville die Forderung nach der Neutralität des Internet einbrachten. Er warf dem französischen Staatspräsidenten vor allem vor, bei seinen Vorschlägen einseitig die Interessen der großen Unternehmen zu vertreten und damit der Entwicklung des Internet zu schaden:

    "Präsident Sarkozy hat gesagt, es gäbe wichtige politische Fragen zu beantworten. Wir haben schon verstanden, dass es ihm um politische Fragen wie Copyright, Datenschutz, Sicherheit, das Problem der Monopole geht. Das haben wir gut verstanden. Aber wir trauen den Antworten der Regierungen nicht, und zwar aus gutem Grund. Denn bei jedem einzelnen Thema, wo moderne demokratische Regierungen hier Lösungen anboten, halfen diese Lösungen wie 'zufällig' den Amtsinhabern."

    Lawrence Lessig kritisierte das von Sarkozy in Frankreich eingeführte Modell der "Three Strikes" das bei vermeintlichen Copyright-Verstößen ein Abschalten der Internet-Verbindungen für den einzelnen Bürger erlaubt. Vertreter von Nichtregierungsorganisationen, die kritische Positionen zu Zensur oder Netzneutralität hätten formulieren können, spielten beim EG8-Forum allenfalls als Zaungäste eine Rolle. Zu den Debatten waren sie nicht geladen.

    Eine Ausnahme war neben Lawrence Lessig John Perry Barlow, Mitbegründer der amerikanischen Cyberrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation und Verfasser der "Unabhängigkeitserklärung des Internet". Bei einer Podiumsdiskussion mit Vertretern internationaler Verlage und Medienunternehmen fühlte sich Barlow sichtlich unwohl; er meinte, er käme sich vor wie jemand "von einem anderen Planeten". Barlow sprach sich vehement gegen Ideen des früheren Google-Chefs Eric Schmidt aus, der mit Bots, also kleinen, durchs Web wandernden Programmen, missliebige Internet-Inhalte aufspüren und entfernen wolle. Das lasse sich gegen Copyright-Verstöße anwenden, aber eben auch zur Zensur nutzen, sagte Barlow.

    Welche volkswirtschaftliche Relevanz das Internet hat, belegte eine McKinsey-Studie, die auf dem Gipfel vorgelegt worden ist. Sie bescheinigt der Netzwirtschaft einen Anteil am Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von 21 Prozent. Auch als Job-Motor sei das Internet relevant. Auf 2,6 neue Jobs komme eine Entlassung. Die meisten Regierungen hätten das noch gar nicht begriffen, wie stark ihre Länder eigentlich vom Internet abhängig seien mahnte Danny Hillis von Applied Minds:

    "Sie haben kein Konzept dafür, wenn das Internet ausfällt. Sie denken, dann sind halt Facebook und Amazon nicht erreichbar. Aber das ist nicht alles. Es wird der Strom ausfallen. Spediteure und ihre Laster werden ihre Ziele nicht finden. Lebensmittel werden die Menschen nicht erreichen. Das wird sich in den nächsten fünf Jahren alles bewahrheiten."