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Zweifel am Zwei-Grad-Ziel der Klimapolitik

Das Ziel, die globale Temperatur auf maximal zwei Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit ansteigen zu lassen, soll schlimmere Folgen der Erderwärmung vermeiden. Der Weltklimarat gibt nun zu bedenken, dass bereits ein geringerer Anstieg Grönlands Eispanzern stark zusetzen könnte.

Von Volker Mrasek | 28.10.2013
    Rund drei Kilometer dick ist der Eispanzer auf Grönland. Doch es gab schon Zeiten, da war er ganz verschwunden. Zum letzten Mal schmolz die Eiskappe vor rund 120.000 Jahren ab, im sogenannten Eem, einer längeren Warmphase. Doch wie warm war es damals genau?

    Mit dieser Frage setzt sich auch der Weltklimarat IPCC intensiv auseinander, schon in seinem vorletzten Sachstandsbericht aus dem Jahr 2007. Der Ozeanograf Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung:

    "Die entscheidende Frage ist: Wo liegt diese kritische Temperaturgrenze, ab der der grönländische Eispanzer abtaut? Und der frühere IPCC-Bericht hat diese Grenze irgendwo zwischen 1,9 und 4,6 Grad lokalisiert. Und das war mit einer der Gründe, warum man sich in der internationalen Klimapolitik auf die Zwei-Grad-Grenze geeinigt hat, das heißt, die globale Erwärmung soll zwei Grad nicht überschreiten."

    Dann, so war die Überlegung, sollte Grönlands Eispanzer eigentlich stabil bleiben. Und der Meeresspiegel auch. In der letzten Zwischeneiszeit waren die Pegel durch das ganze Schmelzwasser der abgetauten grönländischen Eiskappe vermutlich am Ende um sechs bis sieben Meter höher als im Moment.

    So etwas wäre heute eine Katastrophe für unzählige Küstenstädte. Und die Angst davor dürfte jetzt wachsen. Denn offenbar kann Grönland schneller abtauen als bisher gedacht. Und zwar nicht erst bei zwei Grad Celsius mehr auf dem Globus, sondern schon früher. Rahmstorf verweist auf die revidierte Einschätzung des Weltklimarates in seinem gerade veröffentlichten, fünften Sachstandsbericht. Darin stützt sich der IPCC auf neue Forschungsergebnisse über die Polkappen der Erde:

    "Jetzt sagt der neue IPCC-Bericht: Diese kritische Grenze liegt irgendwo zwischen ein Grad und vier Grad, das heißt, selbst wenn wir die Erwärmung auf zwei Grad begrenzen, besteht durchaus die Gefahr, dass wir schon über dieser kritischen Grenze liegen. Das bedeutet, dass schon unterhalb der zwei Grad Erwärmung wir uns erhebliche Gefahren für die Zukunft einhandeln. Das könnten wir also schon in wenigen Jahrzehnten überschreiten."

    Es wäre dann ein Punkt erreicht, an dem es wahrscheinlich kein Zurück mehr gibt, solange das Klima wärmer bleibt - wie damals im Eem vor 120.000 Jahren. Davor warnt auch Philippe Huybrechts, Glaziologe und Professor für Geowissenschaften an der Freien Universität Brüssel:

    "Wenn die Temperaturschwelle einmal überschritten wird, gerät Grönland aus dem Gleichgewicht. Der Prozess der Eisschmelze ist dann vermutlich nicht mehr aufzuhalten. Dinge, die wir heute tun oder lassen, haben im Fall von Grönland also langwierige Konsequenzen."

    Die Politik sollte ihr Zwei-Grad-Ziel deshalb auf jeden Fall noch einmal überdenken, findet Stefan Rahmstorf, der auch Professor für Physik der Ozeane an der Universität Potsdam ist:

    "In den Dokumenten der UN-Klimaverhandlungen steht ja drin, dass diese Zwei-Grad-Grenze noch einmal überprüft werden soll, auch im Lichte der neuen Erkenntnisse des Weltklimarats. Ob man vielleicht doch eine niedrigere Grenze ansetzen sollte? Ich denke, aus Sichtweise der Folgen des Klimawandels wäre das durchaus angebracht."

    Ein größerer Sicherheitspuffer ist in der Vergangenheit schon diskutiert worden. So hatten kleinere Inselstaaten und viele Entwicklungsländer vorgeschlagen, höchstens 1,5 Grad Erwärmung zuzulassen. Doch damit konnten sie sich am Verhandlungstisch nie durchsetzen. Inzwischen ist Zeit äußerst knapp geworden. Und man fragt sich, an welchem Punkt die Welt überhaupt noch die Kurve kriegen kann.

    "In der Praxis muss man sagen, dass die Chancen, die Erwärmung noch unter 1,5 Grad zu halten, doch sehr gering sind, weil schon die Begrenzung auf zwei Grad sehr rasche und starke Emissionsreduktionen erfordert."

    Auch das unterstreicht der neue IPCC-Report - und erhöht so den Druck auf die Regierungen beim bevorstehenden Weltklimagipfel in Warschau, mehr gegen die globale Erwärmung zu tun.