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Zweifelhafte Rechtslücke

Für Mitte der Woche hat der Sportausschuss des Deutschen Bundestages die Nationale Anti Doping Agentur (NADA) und den Bund Deutscher Radfahrer nach Berlin eingeladen. Thema dann: Zuwendungen und Neuerungen im Anti-Doping-Kampf.

Von Grit Hartmann | 06.11.2010
    Zunächst klang, was die Nationale Antidoping-Agentur kürzlich ins Gespräch brachte, nach einer interessanten Offensive im Antidopingkampf. Die Nada, gebeutelt durch den Rücktritt ihres Geschäftsführers Göttrik Wewer, konstatierte eine "Rechtslücke" in der Zusammenarbeit mit Staatsanwaltschaften. Als schlechtes Beispiel musste die Behörde in Hamburg herhalten. Dort ermittelten Staatsanwälte seit Ende 2006 gegen den Arzt Tilman Steinmeier. Der Doktor hatte Radprofis mit Epo und Anabolika flott gemacht. Auch gegen drei Radler lief ein Verfahren. Schon im Juni 2008 akzeptierte Steinmeier einen Strafbefehl über 39.000 Euro. Die Sportler kamen später mit geringen Geldbußen davon; Betrug konnte ihnen nicht nachgewiesen werden. Bizarr: Zwei der drei Fahrer, einer hatte seine Laufbahn schon vor Beginn der Affäre beendet, sitzen bis heute im Sattel. Dafür, dass es keine Dopingsperren gab, machte die Nada die Staatsanwälte verantwortlich. Justiziarin Anja Berninger erörterte im Deutschlandfunk, man habe spät von den Ermittlungen erfahren, die Verhandlungen zur Akteneinsicht seien "schwierig" gewesen:
    "Die Akteneinsichtsrechte haben wir erst im vergangenen Jahr bekommen und haben nach entsprechender Sichtung der Akte dann unmittelbar den zuständigen Fachverband informiert."
    Der Fall dokumentiere jene "Rechtslücke", die es zu schließen gelte, nämlich:
    "..., dass es grundsätzlich hier in Deutschland nicht verpflichtend ist für Staatsanwaltschaften und Gerichte, die Nada über dopingrelevante Sachverhalte zu informieren. Das ist eben ein Umstand, den wir als Nada sehr bedauern, weil wir der Meinung sind, dass, wenn wir Kenntnisse über Strafverfahren hätten, wir eben gegebenenfalls zügiger Akteneinsichtsrechte gewährt bekommen könnten und dann entsprechend zügiger auch auf sportrechtlicher Ebene tätig werden können."
    Die Auskünfte mussten stutzig machen. Denn die Nada war schon 2006 über den Fall Steinmeier informiert – ein Zeuge hatte sich an die Agentur gewandt, noch bevor die Hamburger Ermittler aktiv wurden. 2008 berichteten Medien über den Strafbefehl. Kann das der Nada entgangen sein? Schließlich: War der Bund Deutscher Radfahrer untätig? Wusste auch der von Rudolf Scharping geführte Verband nichts von den Ermittlungen, oder hat er nur die Nada nicht informiert?
    Auf Deutschlandfunk-Anfrage holten die Hamburger Staatsanwälte die Akten aus dem Archiv, um den Vorgang zu rekonstruieren. Demnach hat der BDR bereits im Februar 2007 Akteneinsicht in das Verfahren gegen Steinmeier beantragt. Das wurde abgelehnt, ebenso ein zweiter BDR-Antrag aus dem Jahr 2007 – unter Hinweis auf mögliche Gefährdung der Ermittlungen. Entscheidend, sagt Oberstaatsanwalt Wilhelm Möllers, war jedoch ein Austausch im Juli 2008, unmittelbar nach dem Strafbefehl gegen Steinmeier, als der dritte BDR-Antrag einging:
    "’’Ebenfalls war dieser Antrag auf Akteneinsicht in dem Verfahren Dr. S. gerichtet. Dies wurde abgelehnt, weil der Verteidiger des Dr. S. hier Widerspruch eingelegt hatte. Telefonisch erging aber der Hinweis an den BDR, dass Akteneinsicht in die Ermittlungsverfahren gegen die Radsportler gewährt werden könnte.""
    Mit dem Tipp wollte die Staatsanwaltschaft dem Verband auf die Sprünge helfen:
    "Von Bedeutung ist auch, dass die Akten letztlich identisch aufgebaut waren. Insbesondere war die Sachakte in dem Verfahren gegen Dr. S. in Kopie als Beiakte Bestandteil in dem Ermittlungsverfahren gegen die betroffenen Radsportler."
    Der BDR aber ignorierte den Hinweis auf jene Akten, die ihn zuerst hätten interessieren müssen – die zu den Athleten. Damit verzögerte er die Einleitung sportrechtlicher Verfahren. Und die Nada? Sie hat sich in Wahrheit nicht im vergangenen, sondern erst in diesem Jahr für den Fall interessiert, reichliche anderthalb Jahre nach dem Strafbefehl gegen Steinmeier:
    "Ein erster Antrag der Nada ging hier am 8. Januar 2010 in dem Verfahren gegen den betroffenen Arzt ein. Diesem Antrag hat die Staatsanwaltschaft am 18. Januar 2010 stattgegeben."
    Bei einer Genehmigung nach zehn Tagen kann von "schwierigen Verhandlungen" kaum die Rede sein. Auch der BDR erhielt im Mai noch Akteneinsicht. Seinen Antrag, erneut für die Steinmeier-Akten, nahm die Staatsanwaltschaft dann selbst zum Verfahren gegen die Radsportler und genehmigte ihn. Möllers bilanziert:
    "Von einer ’Rechtslücke’ oder von einem Verantwortlichmachen der Staatsanwaltschaft bei der Gewährung verspäteter Akteneinsicht kann überhaupt keine Rede sein. Die Staatsanwaltschaft hat alle Anträge ordnungsgemäß beschieden. Dass die Nada erst im Januar 2010 Akteneinsicht beantragt, ist kein Problem der Staatsanwaltschaft. Wichtig war eigentlich nur, dass die Verfahren gegen die Radsportler und den Arzt Dr. S. letztlich identischen Inhalts waren."
    Der Vorgang wirft Fragen auf: Warum kaschiert die Nada ihr jahrelanges Nichtstun mit falschen Angaben? Warum deckt sie einen umstrittenen Verband wie den BDR? Der wird übrigens am Mittwoch im Sportausschuss befragt – Thema ist ein bekannterer Sündenfall: die Weiterbeschäftigung von Sportdirektor Burckhard Bremer, der gerichtsfest als Dopingvertuscher überführt ist. Die Abgeordneten werden auch die Anti-Dopingberichte für das Jahr 2009 debattieren. Dabei handelt es sich um Auskünfte der Verbände, die von der Nada überprüft worden sind. Bei Verstößen gegen den Nada-Code droht Rückzahlung von Steuergeldern. Die Stellungnahme aus dem Bundesministerium des Innern liegt dem Deutschlandfunk vor, und sie passt ins Bild: Der BDR ist, bestätigt von der Nada, ein Musterexemplar des sauberen deutschen Sports. Heißt: Er soll nichts zahlen.